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Christiane Bünemann-Buschmann

© privat

Nachruf auf Christiane Bünemann-Buschmann: „Das hab ich auch“

Als die Krankheit sie zum zweiten Mal heimsuchte, gings sie offen damit um. Man muss doch Mut machen!

Stand:

„Darf ich sie vielleicht sehen?“ Hugh Grant und Julia Roberts liegen in einer Wohnung in Notting Hill im Bett, zugedeckt. Und Hugh Grant fragt Julia Roberts. Sie darauf: „Ich verstehe wirklich nicht, was ihr Männer so an Brüsten findet.“ Dann fasst sie die Sache zusammen: Die Männer können ihr gesamtes Leben damit verbringen, über Brüste nachzudenken, doch sie, die Frauen, müssen sie den ganzen Tag herumtragen.

So sieht’s aus. Tag für Tag herumtragen, auch in schlimmen Zeiten. Wenn die Brüste, von außen betrachtet, unversehrt sind, sich innerlich jedoch in einem beklagenswerten Zustand befinden. Wenn die Frauen Brustkrebs haben.

Und dann die Kombination: Eine Frau hat Brustkrebs und ist Frauenärztin, tastet ab, überbringt Befunde, tröstet andere und könnte im selben Moment schreien.

Nach ihrer ersten Diagnose, 2008, verschwieg Christiane ihre Krankheit noch vor jenen, die sie untersuchte. Nach der zweiten Diagnose, 2011, sie dachte, sie hätte es geschafft, sagte sie zu den Patientinnen, die es ebenso getroffen hatte: „Das hab ich auch.“

Beim ersten Mal war sie noch der Ansicht, die Frauen würden dann nicht mehr in ihre Praxis kommen, die sie vor Kurzem mit einer Kollegin in der Wilmersdorfer Straße eröffnet hatte, als einige obendrein geunkt hatten, das würde nicht gut gehen mit den beiden, viel zu unterschiedlich im Charakter. Was sich als Unfug herausstellte: Die Gemeinschaftspraxis bestand 17 Jahre und funktionierte bestens.

Beim zweiten Mal überwand sie die Furcht, ihre eigene Betroffenheit zu offenbaren. Man muss den Frauen Mut machen, darum ging’s.

Die Löwenmutter

Die Dinge in die Hand nehmen, nicht klein beigeben, das hatte sie von ihrer Mutter, einer kleinen Frau, die Christiane manchmal „meine ostpreußische Löwenmutter“ nannte. Diese Löwenmutter hatte als Medizinisch-technische Assistentin in der Internistenpraxis ihres Mannes in Niedersachsen gearbeitet. Im Labor dieser Praxis hatte Christiane schon als junges Mädchen hantiert, untersucht, wie schnell sich rote Blutkörperchen in einem Röhrchen absetzen, solche Sachen. Während andere Mädchen Kreischanfälle erlitten im Angesicht jeden Tropfen Blutes. Für den Vater war es immer ausgemacht, dass seine beiden Kinder Medizin studieren würden. Christiane wollte das tatsächlich von ganzem Herzen. Allerdings reichte ihr Notendurchschnitt nicht, obwohl sie eine ausgezeichnete Schülerin war.

Aber es gab ja noch Wien. In Österreich wird die Aufnahme an die Uni nicht nach Noten, sondern über einen Test geregelt. Christiane machte den Test und wartete eine Weile. Keine Antwort. Da kam die Löwenmutter durch: Zunächst rief sie in Wien an. Der Bearbeiter dort schien ihr recht müde. Also setzte sie sich in den Zug. Platzte in das Büro des müden Mannes, der soeben an einem Eis leckte. Sie zeigte auf einen unbearbeiteten Aktenstapel, sagte: Ich helfe ihnen mal, zog ihre Bewerbung heraus, knallte sie auf den Tisch – und fuhr mit der Zulassung zurück.

Christiane liebte Wien. Sie liebte die Kunst und das Walzertanzen und ihren Freund Bruno, auch wenn sie sich dann doch trennten.

Eines Tages stand sie zum ersten Mal in einem Kreißsaal und sah ein Kind zur Welt kommen. Der Eindruck war dermaßen stark, dass sie sofort wusste, worauf sie sich in Zukunft konzentrieren würde: auf Endokrinologie und Kinderwunschbehandlung. So kam sie nach Potsdam, ans Klinikum Ernst von Bergmann, und dann nach Berlin, wo sie sich ganz diesen Themen widmen konnte.

Sie stellte fest, dass es für transsexuelle Menschen Versorgungslücken gibt; dass ein Transmann weiterhin die Untersuchung seiner Brüste benötigt, eine Transfrau zur Brustkrebsfrüherkennung muss. Und engagierte sich gleichzeitig im Vorstand der Canisiusgemeinde. So kompliziert ist es gar nicht, das römisch-katholische mit einem modernen Menschenbild zu verbinden.

Ich hätte noch eine zweite Idee

Und sie lernte Christoph kennen. Was etwas ungenau ist, da sie ihn schon als Mädchen in Bremen gekannt hatte, doch nur flüchtig und von Weitem. Christoph war eigentlich ein Freund ihres Bruders gewesen, der 2012 auf einer Autofahrt einen Herzinfarkt erlitten und darauf einen Unfall verursacht hatte. Sie war dabei, als er unter extremen Schmerzen starb. So die Umstände der Wiederbegegnung mit Christoph.

Ihr erstes Date verlief ein wenig kurios. Sie besuchte ihn in Bremen, es gab Tee, und sie schauten sechs Stunden lang eine Dokumentation über den Aufbau der Dresdner Frauenkirche. Was sie nicht abschreckte. Sie wollte richtig mit ihm zusammenkommen. Christoph nicht. Warum? „Weil ich ein Vollpfosten war.“ Er muss lachen, während er das erzählt. Er war ein bisschen feige, ein bisschen dies und das, und dann zog er doch zu ihr nach Berlin. Es wurde wunderbar.

Sie war selten misslaunig. Liebte die Farbe Gelb, gelbe Praxisliege, gelbe Praxisschränke, am Ende eine gelbe Urne. Sie unterstützte junge Künstlerinnen. Sie spielte Tennis und Golf. Sie war mit Christoph auf dem Weg ins Theater, das in fünf Minuten beginnen sollte, als jemand auf der Straße umkippte und sie natürlich aufs Theater pfiff und sofort half. Sie hätte sich, sagt Christoph, auch ohne zu zögern in jede Schlägerei geworfen, um dem Unterlegenen beizustehen. Sie kam irgendwo rein und hatte sofort eine Idee, die sie ihrem Gegenüber mitteilte, ob der wollte oder nicht. Das geht nicht? Na gut. Aber ich hätte noch eine zweite Idee, eine dritte...

Ihre Patientinnen waren froh, eine solche Gynäkologin gefunden zu haben. Jungen Frauen, die zum ersten Mal kamen, erklärte sie sanft, wie eine Untersuchung ablaufen würde und zeigte ihnen alle Instrumente; älteren Frauen empfahl sie, vorher eine Östrogensalbe zu benutzen. Sie kannte die Angst vor der Mammografie, klärte über Mythen auf, nein, die Strahlenbelastung erzeugt keinen Krebs, auch nicht das Zusammendrücken des Gewebes, ein Knie zum Beispiel, lassen sie doch auch ohne Furcht röntgen.

In ihr selbst breitete sich die Krankheit unterdessen aus.

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