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Cornelia Dörries

© privat

Nachruf auf Cornelia Dörries: Bis dahin: Leben!

Einen Karriereplan gab es nicht. Wozu auch? Es gab die Freiheit.

Stand:

Cornelia brauchte ihren Raum. Groß genug konnte er gar nicht sein. Einmal wagte sie es, mit einem Partner zusammenzuziehen, doch das war ihr bald zu eng. Einmal brüllte ein Chef sie an. Cornelia ging wortlos zu ihrem Schreibtisch und schrieb ihre Kündigung. Ein andermal lehnte sie einen Job mit 6000 Mark im Monat ab: Überstunden und Wochenendarbeit wurden erwartet. Nicht, dass sie nicht hart arbeiten konnte – Bücher schreiben etwa –, aber nur zu ihren Bedingungen. Geschlafen wird bis halb zehn. Wehe, jemand weckt sie früher.

Aufgewachsen ist Cornelia in Blankenhain, Thüringen. Die Mutter war streng und in ihrer Liebe zurückhaltend. Der Vater leitete die Außenstelle einer Schule, wo es um Handwerk und Produktion ging. Cornelia war die ältere von zwei Schwestern. Einmal waren die Eltern aus, die beiden lagen im Doppelstockbett, da fing es an zu blitzen und donnern, als ob der Untergang bevorstand. Cornelia erzählte, wie Blitze entstehen, wie gefährlich sie sind, besonders diese Kugelblitze! Schließlich hatten beide so viel Angst, dass sie im Nachthemd durch den Regen zur Oma rannten.

Über Träume, Bücher und die Liebe

Erst war Cornelia die Liebe und Ruhige, hübsch anzusehen mit ihren langen geflochtenen Zöpfen, doch mit jedem Buch, das sie las, und mit jedem Gemeindeabend, zu dem sie ging, wuchs der Widerspruch in ihr. Sie diskutierte mit den Lehrern, über „Wie der Stahl gehärtet wurde“ etwa, ein sozialistischer Propagandaroman. Als die Schüler im „Zivilschutz“ auf Zielscheiben in Menschengestalt schießen sollten, machte sie nicht mit. Wenn alle anderen Silvester feierten, blieb sie zu Hause, lud ihren besten Freund Maik ein und redete mit ihm über Träume, Bücher und die Liebe. Viele Männer waren in Cornelia verliebt. Maik nie; so hielt ihre Freundschaft ein Leben lang.

Cornelia probierte es mit einem Lehramtsstudium in Dresden. Geld verdiente sie im Buchladen. Hier fand sie ein deutsch-sächsisches Wörterbuch, das sie voller Hingabe Wort für Wort vertonte. Ihr Lieblingswort war „Orbeidorgollegdief“. Überhaupt liebte sie das Spiel mit Wörtern. Feinsäuberlich schrieb sie auf ihre Geburtstagseinladung: „So ist es uns, die wir reich bedacht mit historischen Momenten und Ereignissen sind, vergönnt, die letzten Zuckungen der DDE (Deutsches Demokratisches Etwas) zu erleben und angesichts des Nahen Endes ähnlich wie unsere Altvorderen damals in Pompeji sämtliche drohende Anzeichen mittels schadlosen Zeitvertreibs zu ignorieren.“

Das Studium war ihr nichts: die Dozenten zu verknöchert, die Kommilitonen zu ehrgeizig. Sie brach ab. Die Eltern waren böse, arbeitsscheu und faul sei sie! Arbeitsscheu klingt gut, dachte sie, zog nach Berlin und wollte Arbeitspsychologie studieren. Zunächst sollte sie die sozialistische Arbeitswelt kennenlernen, und zwar bei Narva an der Warschauer Straße. Eine schreckliche Zeit – weniger wegen der Arbeit, vielmehr wegen der Leute, die so mies miteinander umgingen.

Die DDR bröselte vor sich hin, Maik und Cornelia gingen auf die Straße. Einmal standen sie einem Soldaten gegenüber, das Gewehr im Anschlag: ein Schulkamerad aus Blankenhain. Ein andermal landeten sie in einem Polizeikessel an der Schönhauser Allee und gelangten noch irgendwie in die Gethsemanekirche zum Liedersingen. Nachts fuhren sie in Maiks Golf Schwarztaxi – den hatte er von seiner Tante aus dem Westen. Wer mitgenommen werden wollte, winkte an der Straße. Maik sagt, sie hätten mal David Bowie und ein andermal Rezzo Schlauch gefahren. Sie verdienten gut und konnten sich im „Grand Hotel“ den größten Eisbecher, den es gab, leisten.

„Das Karma des Joghurtbechers“

Cornelia studierte dann, als der Osten Westen war, Soziologie, Schwerpunkt Stadtentwicklung. Sie schrieb Artikel für Fachzeitschriften, einer über eine Müllverbrennungsanlage trug den Titel: „Das Karma des Joghurtbechers“. Für die Deutsche Welle begleitete sie Prominente. Roger Willemsen und Steffi Graf fand sie toll. Für die „Süddeutsche Zeitung“ schrieb sie eine Serie, in der sie Städte mit dem Blick bestimmter Künstler betrachtete.

Cornelia hatte kaum Geld und brauchte kaum Geld. Erst lebte sie in einer Bruchbude in Friedrichshain, die nicht einmal abschließbar war, dann zog sie nach Prenzlauer Berg. Damals konnte man sich das noch leisten. Es dauerte Jahre, bis sie das Geld für den Führerschein zusammenhatte. Zehn Minuten saß sie im Fahrschulauto, dann stieg sie aus: Nichts für mich! Mit dem Geld flog sie nach New York, wo sie alte Friedhöfe besuchte und darüber den Artikel „Wo New York begraben liegt“ für die „FAZ“ schrieb.

Cornelia verfasste Artikel und Bücher über Architektur, sie übersetzte, machte Pressearbeit. Mal kam mehr Geld rein, mal wieder weniger – einen Karriereplan gab es nicht. Wozu auch? Es gab die Freiheit.

Mitte der 2000er bekam Cornelia Krebs. Es sah nicht gut aus, aber sie sah überhaupt nicht ein, jetzt schon zu sterben. Ein Jahr dauerte das Elend mit der Chemo, ihre Schwester zog bei ihr ein. Als Cornelia wieder gesund war, wusste sie, dass alles, was jetzt kam, Extra war. Zu Nachsorgeuntersuchungen ging sie nicht mehr. Wenn die Schmerzen wiederkommen, dann ist das eben so. Bis dahin: leben!

Wenn sie einen ihrer vielen Freunde traf, dann gehörte dem ihre ganze Aufmerksamkeit. Sie hörte genau zu, und wenn sie den Eindruck hatte, dass Gedanken unpräzise waren, fragte sie nach und ließ nicht locker. Und sie achtete auf Diskretion. Sie mochte es überhaupt nicht, wenn man sie in großer Runde ausfragte oder über sie redete. Wenn sie einen Liebhaber hatte und es gut war, sagte sie nur: „Er war ein Könner“ und „No details, please“.

Cornelia liebte Fußball, die Queen Mom und die englische Sprache. Vor ein paar Jahren legte sie sich einen Schrebergarten mit Häuschen zu, ihre Oase mit Hanfanbau. Als der Klempner 100 Euro für einen Kloeinbau haben wollte, schaute sie sich ein Youtube-Video an und machte es selbst.

Und dann waren die Schmerzen wieder da … Ihre Asche sollte vor Hiddensee verstreut werden – das war ihr Wunsch. Und so machten es ihre Schwester, Maik und all die anderen Freunde.

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