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Nachruf auf Cornelia Kemps: „Essen fertig!“
Drei Mädchen, der Haushalt, der Mann, das reichte nicht
Stand:
Cornelia fand immer einen Parkplatz für ihr altes knallgelbes Käfer-Cabrio – auch wenn sie sich dafür ins absolute Halteverbot stellen musste. Frechheit siegt. Raunzte sie dann einer an, konterte sie mit einem charmanten Augenaufschlag oder irgendeiner Ausrede. „Scheiße“, rutschte es ihr einmal heraus, als eine Ordnungsamtlerin dabei war, einen Strafzettel zu schreiben. „Wie war das?“, fragte diese. Cornelia hielt ihr Enkelkind hoch und rief: „Das musste dringend mal scheißen, was soll ich machen?“ Der Strafzettel war Geschichte.
Dietrich, ihr Mann, fand hingegen nie einen Parkplatz. Runde um Runde drehte er, bis er entnervt aufgab, und Cornelia weitersuchen ließ. So war das auch zuhause. Cornelia kochte, wusch die Wäsche, kaufte ein, machte mit den Kindern die Hausaufgaben, schloss Verträge ab, überwies das Geld. Cornelia war der Motor der Familie: War da eine viel zu lange Schlange vor dem Museum, ernannte sie die Familie zur Reisegruppe, und so stolzierten sie an allen anderen vorbei.
Es war nicht so, dass Dietrich ihr gesagt hätte, dass der Haushalt von nun an ihr Job sei. Sie scheuchte ihn aus Küche. Schließlich war er der Chirurg, der Nacht um Nacht im Operationssaal stand und selbst an seinen freien Tagen schnell in die Klinik huschte, um nach seinen Patienten zu sehen. Bei zwei Sachen ließ sie ihm freie Hand. Dietrich durfte sich um die Blumen, Beete und Bäume kümmern, er schiente sogar gebrochene Äste. Und Dietrich durfte die Fahrräder reparieren, sich ums Auto kümmern und um die kaputte Waschmaschine oder um den Holzhirten aus dem Erzgebirge, an dem irgendetwas abgebrochen war.
Wer war der fremde Mann?
Abends, wenn keins der drei Kinder mehr getröstet, nichts mehr gekocht oder repariert werden musste, setzten sich Cornelia und Dietrich auf ihr Sofa, regten sich mit Hingabe über die Welt auf, oder sie stritten sich eifrig über die Kleinigkeiten des Alltags, oder sie lachten über ihre Missgeschicke. Manchmal erlaubte Cornelia ihm, seine klassische Musik anzumachen, Bruckner, Mahler, Beethoven. Dann lauschten sie, Hand in Hand. Oder sie schauten sich „Bares für Rares“ im Fernsehen an, mit der Hingabe, die andere den aufregendsten Theateraufführungen entgegenbringen. Dietrich und Cornelia hatten sich gefunden.
Schöne Jugendstilvillen aus der Jahrhundertwende – im Viertel Schwachhausen in Bremen wohnt das gehobene Bürgertum. Cornelias Familie hatte hier ein wundervolles, altes Haus mit schweren, dunklen Möbeln. Einmal, als der Vater Heimaturlaub von der Front hatte, saß er an seinem riesigen Schreibtisch, Cornelia hockte auf der Tischplatte und schaute ihn mit großen Augen an. Wer war dieser fremde Mann? 1945 kam der Brief der Wehrmacht: Der Vater war verschollen. Zurück blieb die Mutter mit ihren fünf Kindern, mittellos und von den Nachbarsmüttern schief angesehen. „Ist ein Loch in der Wand, kommt da ein Bild hin“, war ihre pragmatische Antwort.
Cornelia machte eine Ausbildung als Hauswirtschafterin, für erste Anstellungen wechselte sie nach Stuttgart, München, Hamburg. An einer Pädagogischen Fachhochschule studierte sie dann und landete Anfang der 1960er Jahre in West-Berlin. An der Schwesternschule des Virchowklinikums unterrichtete sie Kochen, Nähen und Babypflege. Zum Klinikum gehörte auch ein Tennisplatz, und irgendwie schaffte Cornelia es, den Schlüssel zu bekommen und für Reservierung und Spielplanung zuständig zu sein. Ob Schwester, Arzt oder Oberarzt, alle mussten zu ihr. Am liebsten spielte sie selbst mit einer ihrer vielen Freundinnen.
Dietrich war wegen des Armeediensts aus der DDR nach West-Berlin geflohen. Nicht nach links, nicht nach rechts schauen, bloß das Medizinstudium abschließen. Bis er auf Cornelia beim Minigolf traf und beeindruckt war: diese kleine Power-Frau, die niemals stillstand, ließ ihn für ein paar Momente sein Studium vergessen.
Die Ungeliebten ohne Abitur
Das erste Mädchen kam 1966 auf die Welt. Zu dritt wohnten sie zur Untermiete in einem einzigen Zimmer mit dem Waschtrog auf dem Flur. Und während Diedrich von Prüfung zu Prüfung eilte, arbeitete Cornelia weiter, eine musste ja das Geld verdienen. Erst beim dritten Kind, das partout nicht in den Kindergarten gehen wollte, blieb sie zu Hause. Eine erste Wohnung in Neukölln, die Mädchen spielten jeden Tag auf dem Hof, gegen sechs öffnete Cornelia das Fenster und rief: „Essen fertig!“
Drei Mädchen, der Haushalt, der Mann, das reichte nicht. Also ging sie wieder arbeiten, hatte wieder Kollegen, mit denen sie reden, Schüler, um die sie sich kümmern konnte, und verdiente ihr eigenes Geld, all das, so schnell wie möglich. Beim Lette-Verein unterrichtete sie Hauswirtschaftslehre, zwei bis drei Tage die Woche. Und immer übernahm sie die unbeliebten Nicht-Abitur-Klassen mit den schwierigeren Schülern, die später in Großküchen arbeiten sollten. Ernährungslehre war ihr liebstes Fach, Cornelia brachte ihren Schülern bei, dass in Gurkenschalen die Vitamine stecken, und wie gesund Brokkoli ist. Herzlich war sie und schlagfertig, das kam gut an.
Tennis spielen, stundenlang telefonieren, spontan und mit einer Flasche Wein vor der Tür der Tochter in Wien stehen, als es dieser nicht gut ging, sich ausgiebig um jedes der fünf Enkelkinder kümmern, gebrechlich gewordene Freundinnen umsorgen, die Familie zum Essen einladen, töpfern und nähen und in die Welt reisen, Cornelia wirbelte weiter und weiter. Bis der Moment kam, 2018, als ihr Körper nicht mehr mitmachte. Multiorganversagen, 20 Prozent Überlebenschance, Tag für Tag standen die Töchter an ihrem Bett. Doch nach einem halben Jahr war Cornelia wieder da und wirbelte weiter. Nur den Haushalt musste sie jetzt fluchend an Dietrich abgeben.
Im Herbst 2023 starb er. Cornelia hielt es ohne ihn kaum aus, wurschtelte sich durchs Leben. Einmal noch wollte sie mit der Familie nach Paris, das war ihr großer Wunsch. Im letzten Sommer sind sie dann einen ganzen Tag durch den Louvre gelaufen, haben gelacht und sich gefreut, und dann, im Restaurant, mitten im Satz, blieb ihr Herz stehen.
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