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Nachruf auf Cornelius Perino: Sommer, das ganze Jahr!
Seit er denken konnte, wollte er tun, was er wollte. Aber man muss auch können, was man will.
Stand:
Der Sprung aus dem Fenster des Elternhauses war der Sprung in die Freiheit. Er wollte den Feldjägern der Bundeswehr entkommen, schlug sich hakenschlagend von der Hamburger Vorstadt nach Berlin durch. Soldat wollte er nicht werden. Er ließ sich ungern kommandieren, schon als Kind nicht, von niemand, da konnte er rabiat reagieren. Das hatten die Eltern mit Sorge gesehen, aber sie ließen ihm seinen Willen.
Künstler war er, schon immer; seit er denken konnte, wollte er tun, was er wollte. Aber man muss auch können, was man will. Also machte er auf dem Weg in die Kreuzberger Ateliers zuvor noch einen Schlenker über den Kurfürstendamm, wo er im Fachgeschäft „Boche“ Einrahmung, Vergoldung und Restaurierung lernte. Was ihm ein Gefühl gab für das Handwerkliche der Kunst, da war er stolz drauf.
Sich den Alltag vergolden, das war fortan Programm, und das ging in Kreuzberg in den wilden Jahren ganz gut und auf Jamaika noch besser. Dort war er mit einem Last-Minute-Flug eher zufällig gelandet. Er kaufte dort ein Grundstück, baute erst eine Blechhütte, dann ein Haus darauf, pendelte zwischen den Welten. Ganzjährig Sommer, das war seine Erwartung ans Leben.
Mit offenherzig eingestandener pyromanischer Neigung
„Come on, baby, light my fire / Try to set the night on fire“. Die Hymne der Doors war Lebensmelodie. Er nannte sich Bild- und Objektkonstrukteur, mit offenherzig eingestandener pyromanischer Neigung. Wohin er kam, brachte er Feuer mit, Ururenkel des Prometheus. Seine „Brenn- und Brandstempeltechnik“ verwandelte Veloursteppiche in Reliefs, die Farbe gab ihnen dann den Rest.
Er wanderte hoch hinaus ins Osttiroler Gebirge, um dort mit seiner Pyroperformance und Felsmalereien die Einöde aufzuhellen. Er brachte Licht dorthin, wo es düster war. Im Berliner Tränenpalast vertrieb er im März 1992 mit einer mehrtägigen Party-Perfomance die bösen Geister, das Grau der Bürokraten und Grenzwächter, grandios bunt und laut natürlich. Am Ende der Sound- und Pyroshow feierten DJ Dr. Motte und Kollegen den Abflug auf den „Tekkno-Planet“.
Viele seiner Freunde, die dort mit ihm auftraten, wurden berühmter als er. Aber mit der Herstellung von Ruhm ist es so eine Sache. Er hätte zur Marke werden müssen, einen Wiedererkennungswert mit seiner Kunst produzieren sollen. Profit durch Repetition. Aber er hasste Wiederholung. Er wollte die Freiheit, sich immer neu erfinden zu können.
Jede neue kosmische Eingebung forderte einen neuen Stil, neues Material, neue Herangehensweisen. In seiner Vulcano Art Factory sollte das Feuer niemals ausgehen. „Ich muss Kunst machen, um glücklich zu sein und um glücklich zu bleiben.“ Das Atelier war Labor, Experimentalraum und Besucherzimmer für all die Schönen, die Wilden und die Schrecklichen, die er in sein Leben einlud.
Er ging ein hohes Tempo in dieser Zeit vor der Jahrtausendwende. Vagabundierte durch alle Kunsträume, als ahnte er, dass die Zeiten bald andere werden würden. Er pushte sich selbst und Kollegen, manchmal unerbittlich, manchmal jähzornig, tat sich immer neu zusammen mit Künstlerfreunden und Galeristen. Was er an Projekten stemmte, war enorm, und ist alles gut dokumentiert auf seiner Homepage, in Katalogen, auf etlichen Videos.
Er wollte wahrgenommen werden. Er wollte geliebt sein. Von Menschen, denen Kunst wichtig ist. Von Frauen, möglichst von allen. Von seinem Sohn. Für den er immer Zeit finden wollte, aber nicht immer fand. Er war gern Vater, aber wenn es Herbst wurde und die Stadt grau, musste er weg. Da gab es nicht viel zu verhandeln. Kompromisse eingehen, war nicht so seine Art.
Aber der Spagat Berlin-Jamaika überdehnte selbst seine Kräfte. Auf Green Island hatte er seine Kämpfe gegen die überschwängliche Vegetation, die Hurrikans und die Termiten bestanden. Er hatte sich Respekt bei den Dörflern erarbeitet, er hatte seine große Liebe gefunden, aber von dort aus den Kunstmarkt in Amerika zu erobern, war utopisch.
Das Projekt löste sich auf. Ohne Wehmut.
Und in Berlin, da war der „Spirit“ in Kreuzberg längst ein anderer. Kunst und Kommerz hatten sich liiert. Und dann kam Corona. Keine Performances mehr, die Galerien geschlossen, das Publikum in Quarantäne. Eigentlich hätte es zu Ende sein müssen mit all seinen Träumen. Die er nicht loslassen konnte. Einmal noch der Welt zeigen, was er gewollt hatte in den 40 Jahren Künstlersein. Das Puzzle seines Lebens, er machte es anschaulich. Fabrizierte 104 Einzelteile, die zusammengesetzt eine Wand füllten, vier Jahre Arbeit.
Auf der Rückseite: In den Farben der Welt, Köpfe und religiöse Symbole im bunten Miteinander. Sein Friedensauftrag: „Come together and get inspired.“ Auf der Vorderseite sein künstlerischer Kreuzweg in markanten Stationen: „Enjoy the adventure!“ Nur einmal, in der Kunsthalle Brennabor in Brandenburg an der Havel, wurde die Wandtafel komplett zusammengesetzt präsentiert. Danach gab er die einzelnen Teile zum Verkauf frei. Das Projekt Cornelius Perino löste sich auf. Ohne Wehmut.
Den Winter 2023 verbrachte er wie immer auf Jamaika. Nach der Rückkehr die Diagnose Krebs. Er nahm es hin, ohne zu klagen. Den Sommer nutzte er in Berlin für die Chemotherapie, die keine Heilung brachte. Im Winter nahm er Abschied von seiner Frau auf Green Island. Als er nach Berlin zurückkam, ließ er sich nichts von seiner Trauer anmerken. Könnte sein, dass es doch irgendwie weitergeht, ließ er durchblicken.
Als er selbst nicht mehr essen konnte, hat er noch immer gern für andere gekocht. Er richtete sich ein in der Wohnung eines Freundes. Ein großer Fernsehapparat, auf dem er seine Lieblingsfilme sehen konnte. Sein Sohn kümmerte sich. Eine gute Freundin umsorgte ihn. Viele, die er noch einmal sehen wollte, sah er. Der Todestag, ein ruhiger Tag. Superman und Batman standen ihm bei. Ein letzter Wunsch an auserwählte Kollegen, seine Urne sollte ein Kunstwerk werden. So wie sein Leben.
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