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Nachruf auf Elly Untermann: Familie war das Wichtigste
Mutig schickte sie einer Kunstschule ihre Bewerbungsmappe, wurde sogar genommen. Doch sie zögerte.
Stand:
An der einen Säule lehnte Elly, an der anderen Detlef. Ihre Blicke trafen sich, verharrten, erst kurz, dann länger. Um sie herum laute Musik, Discolichter, Tänzer. Doch Detlef wartete ab. Ein anderer sprach Elly an, sie wies ihn zurück. Ein Zweiter sprach sie an, erfolglos. Dann ging Detlef auf sie zu, sah in ihre schönen, warmen Augen und wusste, dass sie diejenige sein würde, die er heiraten wollte. Ob sie nicht woanders hingehen könnten, in ein Café vielleicht, fragt er sie.
Elly und Detlef redeten und lachten. Das fühlte sich so vertraut und natürlich an, als ob sie sich schon seit Jahren kennen würden.
Detlef, der junge Zeitsoldat aus Deutschland, dessen Ausbildungsregiment hier in Holland stationiert war. Sie, Elly, die eigentlich Petronella hieß und aus Boekel stammte, einer kleinen Gemeinde in Nordholland. Unbedingt wollte Detlef sie wiedersehen, gleich nächsten Sonntag, dafür fuhr er anderthalb Stunden durch das Land. Beim dritten Treffen fragte er sie, ob sie seine Frau werden wolle. Sie fiel fast vom Barhocker, dann schaute sie ihn sehr lange an, brachte kein Wort heraus und verschwand erst einmal auf der Toilette. Im Januar 1974 war das. Elly war 20, Detlef 21.
Ein paar Jahre zuvor, gerade die Mittelschule beendet, träumte Elly von Malerei und Bildhauerei. Mutig schickte sie einer Kunstschule ihre Bewerbungsmappe, wurde sogar genommen. Doch sie zögerte, alleine hätte sie an das andere Ende Hollands ziehen und ihr altes Leben zurücklassen müssen. Als dann ihr Vater an Krebs starb, gerade einmal 44 Jahre alt, stand es fest, Elly würde bei der Familie bleiben, sie würde ihrer Mutter mit den Geschwistern helfen und statt Künstlerin Sekretärin werden. Jahrzehnte später gab es Momente, in denen sie die Entscheidung bedauerte. Wie anders ihr Leben wohl ausgesehen hätte?
Fels in der Brandung
An einer Schule für Europasekretärinnen lernte sie Englisch, Deutsch und Französisch - Sprechen, Schreiben, Stenografieren. Man brachte ihr bei, Reden für diplomatische Anlässe zu schreiben und Knöpfe an Jackets anzunähen. Ihr erster Job führte sie in eine Firma, die bedruckte Schaltungen verkaufte. Elly hatte die Befugnis, Verträge bis zu 100.000 Mark zu verhandeln.
Ein Jahr nach der Disko, 1975, verlobten sich Elly und Detlef, 1976 heirateten sie und zogen nach Münster, 1978 kam ihre erste Tochter auf die Welt, 1981 die zweite. Familie war das wichtigste, deswegen blieb Elly zuhause, kümmerte sich um die Kinder und um das Heim, während Detlef rausging und Karriere machte.
„Unsere Mutter war unser Fels in der Brandung. Immer da. Das starke Band, das unsere Familie zusammenhielt“, sagen ihre Töchter. Wachten sie morgens auf, stand das Frühstück auf dem Tisch. Kamen sie nach der Schule nach Hause wartete das Mittagessen auf sie. Wenn die beiden dann am Tisch saßen, es aus ihnen heraussprudelte, hörte Elle zu. Sie achtete auf die Zwischentöne, ob es da etwas gab, dass ihre Töchter sorgte. Mit dem Ball im Garten, stundenlang Rommé, Bücher vorlesen, Lieder zur Gutenacht, Elly hat immer alles mitgemacht. Nachts stand sie auf, um ihre dann älteren Kinder aus der Disco abzuholen. Auch als die Töchter längst erwachsen waren, telefonierten sie fast täglich. „Sie hat sich hintenangestellt und ihre Kraft aus dem Glück der anderen gezogen.“
Elly konnte Schmerzen wegbeten, das hat sie von ihrer Mutter gelernt. Stieß sich jemand, verknackste sich den Knöchel, verbrannte sich die Hand, Elly richtete ihre Gedanken an Gott, und wenn der Schmerz verschwand, lag es daran. Immer wieder betete Elly für diesen oder jenen, auch wenn derjenige das gar nicht wusste.
Das hier war nur für sie
Umzüge dorthin, wo Detlef arbeitete, bis sie 1992 schließlich in Berlin ankamen. Die Töchter erwachsen, fragte sich Elly, was es war, das sie selbst wollte. Mit den Händen etwas erschaffen, mit Holz, mit Ton, mit Steinen, vor allem mit Farben. Jede Woche ging Elly in eine Malklasse. Erst beschäftigten sie sich mit den Grundtechniken, dann arbeitete sie an Themen. Konzentriert stand Elly an der Leinwand; das hier war nur für sie. Hunderte Bilder entstanden, viele Gruppenmotive, von denen sie einige in Ausstellungen verkaufte.
Enkel kamen auf die Welt, um die sie sich kümmerte, mit denen sie Höhlen baute. Dann waren da die Babys, die zu früh auf die Welt gekommen waren, deren Eltern sich nicht kümmern konnten. Elly verbrachte Stunde um Stunde bei ihnen auf der Neugeborenenstation des Virchow Klinikums.
Ihr Mann machte sich selbstständig, und Elly half als Büroleiterin bei all dem aus, was im Hintergrund zu laufen hatte. Schließlich gründeten sie zusammen einen Verein, der es sich zur Aufgabe gemacht hatte, Grundschülern das Kochen beizubringen. Detlef gab Interviews, stand in der Öffentlichkeit, Elly kaufte ein und koordinierte die Einsätze der Kochpaten.
Der Tod war Elly bekannt. Nicht nur ihr Vater war viel zu früh gestorben. Ihre geliebte jüngere Schwester, mit der sie sich lange ein Zimmer geteilt hatte, starb mit 28, ebenfalls an Krebs. Sie selbst wäre fast an einer Colitis gestorben und reagierte ein andermal mit einem anaphylaktischen Schock auf ein Medikament: Die Notärztin kam mit aufgezogener Spritze ins Zimmer gerannt, es war eine Sache von Sekunden. Dann war da der Tumor im Gesichtsnerv, der gut wegoperiert werden konnte. Und schließlich die Diagnose zu Ostern 2023, Bauchspeichelkrebs.
Elly gestaltete die Todesanzeige, suchte die Musik heraus und führte das Gespräch für ihre Trauerrede mit dem Prälaten. Ohne Gram. Sie verabschiedete sich von ihrem Mann und ihren Töchtern. Sie wusste, dass es in dieser Nacht passieren würde.
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