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Erhard Kraatz

© Mike Wolff

Nachruf auf Erhard Kraatz: „Wisst Ihr, wat in Kreuzberg los is’?“

Seit immerschon war er der Boss im Prinzenbad. Was geschah wohl, wenn irgend so ein Heinz aus der Verwaltung ihm was beibiegen wollte?

Von David Ensikat

Stand:

So sonnig wie 2009 war es selten im April. Erhard konnte sich richtig gut vorbereiten für die Saison, bräunungstechnisch, das war er den Badegästen schuldig. Und weil er in der Beziehung einen ganzheitlichen Ansatz verfolgte, stellte er an ein paar Sonnentagen, als noch kein Wasser drin war, seinen Schreibtisch ins Schwimmbecken. Denn das ist ja gar nicht gut, wenn die Sonne nur auf die eine Seite des Körpers bretzelt. Wenn man aber in so einem Becken sitzt mit hellen, frisch geputzten Kacheln, die die Strahlen reflektieren, dann funktioniert das super gleichmäßig von allen Seiten.

Irgendwann dann ließen sie das Wasser ein, Erhard trug das Goldkettchen auf der vorgebräunten Brust, und alles war fertig zur Eröffnung des Prinzenbades am 2. Mai.

Warum denn nicht am 1. Mai, fragte der neue Pressesprecher der Berliner Bäderbetriebe seine Chefs. Er ging selbst sehr gern dort schwimmen, der 1. Mai 2009 war ein freier Freitag und gutes Wetter angesagt. Ja, warum eigentlich nicht am 1. Mai?, fragten die Bäderbetriebschefs den Prinzenbadchef, Erhard Kraatz.

Na weil wir dit noch nie jemacht ha’m!, sagte der. Wisst ihr, wat in Kreuzberg los is‘ am 1. Mai?

In den letzten beiden Jahren war ganz wenig los. Kaum Randale, das Einsatzkonzept der Polizei war aufgegangen. Also. Mach das Ding auf, Erhard!

Der Chlorjehalt stimmt nich’!

Der Pressesprecher verfasste eine stolze Pressemeldung: Als erstes Berliner Freibad öffnet das Prinzenbad in diesem Jahr am 1. Mai! Erhard und seine Leute waren natürlich sauer; den einen ruhigen Tag mehr hätten sie gut gebrauchen können.

Am Morgen des 1. Mai, sehr früh, klingelte das Handy des neuen Pressesprechers, Erhard dran: Pass uff, wir können dit Bad nich’ aufmachen. Der Chlorjehalt stimmt nich‘!

Der Pressesprecher meinte, mehr Triumph als Bedauern in der Stimme des Badchefs durchzuhören. Er rief einen Techniker an, traf sich mit ihm im Prinzenbad, der Techniker maß den Chlorgehalt und sah: Der pegelt sich langsam ein. Gut möglich, dass der Badchef in der Stimme des Pressesprechers einen Anklang von Triumph vernahm, als der ihm kundtat: Erhard, das pegelt sich ein. Ihr könnt dann ruhig aufmachen.

Für Erhard war es natürlich bedauerlich, dann nun ein Tag mehr mit Publikumsstress anstand, auch wenn er seinen Job grundsätzlich mochte. Wirklich schlimm war aber, dass da einer gekommen war, so‘n Naseweis auch noch, und ihm sagte, wie er seinen Job zu machen hatte. Dass jemand Kraatz‘ Autorität anknabberte. Seit immerschon war er hier der Boss; nicht selten war es vorgekommen, dass irgend so ein Heinz von der Verwaltung ihm was beibiegen wollte und er, Kraatz, dann nur entgegnete: Wat willst du? Verpflüm dich hinter dein‘ Schreibtisch!

Für Erhard gab es nämlich in Kreuzberg zwei wichtige Gestalten: den Bürgermeister (dass das auch mal eine Frau sein würde, kam ihm bestimmt komisch vor) und ihn, den Bademeister. Nein, natürlich nicht Bademeister! „Geprüfter Meister für Bäderbetriebe“ war er und außerdem „Badbetriebsleiter des Sommerbades Kreuzberg“.

Wer bist’n du überhaupt?

Und dass er als solcher unterm Bürgermeister stand, war auch nicht ausgemacht. Es begab sich in den frühen 90ern, dass Kreuzbergs Bürgermeister ins Prinzenbad kam und den Badchef aufforderte, seinen Sohn ausrufen zu lassen. Wer bist‘n Du überhaupt?, fragte da der Badchef, der niemandem das Du anbot, weil er es sowieso immer praktizierte. Der Bürgermeister nannte seinen Beruf, Ehrhard zeigte sich erfreut – Na is doch jut, dass wir zwei uns mal kennenlernen – und klärte auf, dass der Bade- und nicht der Bürgermeister bestimme, wer hier ausgerufen werde. Dann rief er natürlich den Sohn aus, es gab auch einen guten Grund. Und der Bürgermeister beschwerte sich dann trotzdem bei der Bezirksverwaltung, der die Bäder damals unterstanden, über den unverschämten Kerl. Was dem sonstwo vorbeiging. Hat halt seinen Job gemacht.

Dass Erhard Mitte der 70er im Prinzenbad als Rettungsschwimmer angefangen hatte, lag an seinem Vater. Von dem er sagte, dass das einzig Gute, was es über den zu berichten gebe, sein Ratschlag war: Junge, geh in‘ Öffentlichen Dienst! Das war in West-Berlin die sicherste aller Banken, sicherer als Verkäufer, was Erhard nach der Schule gelernt hatte, allemal. Die Berlinzulage gab es sowieso (die guten alten Mauerzeiten!) und die Garantie für eine schöne Zusatzrente obendrauf. Und wenn man krank wurde, wurde man eben krank, und keiner hat was Dämliches gesagt.

Und das alles im Prinzenbad, wo andere Eintritt zahlen, um da rein zu dürfen! Erhard musste Kreuzberg nicht verlassen, und zwischen dem Bad und zu Hause gab es genügend Kneipen, in denen die Zumutungen und Heldentaten des Tages ausgewertet werden konnten.

Außerdem – der Job: immer draußen in der Sonne, und wenn das Wetter schlecht ist, hat man weniger zu tun. Man ist der Chef am Becken, was man sagt, ist Gesetz, wenn einer nicht hört, fliegt er raus. Man kann hier seine Sprüche machen, und so blöd, dass nicht irgendeiner lacht, kann gar keiner davon sein.

Ein Kollege schwärmt von den alten Zeiten, als fast alle den Chef mochten – außer den paar anderen, aber die waren ja selbst schuld. Mit dem hatte man einfach Spaß, und wenn es hart auf hart kam, verließ sich einer auf den anderen. Sie sind sogar zusammen in Urlaub gefahren, einmal in die Türkei. Da haben sie rumgewitzelt, dass sie sich jetzt rächen würden für den Stress, den die Türkensöhne im Bad verzapften. Hat dann aber nicht geklappt, weil die Türken viel zu freundlich waren. Ein Händler auf dem Markt in Istanbul erkannte Erhard von früher, rief: He, Bademeister!, und dann gab’s Raki.

Sektchen aufs Schwimmbrett

Wenn’s geregnet hat, hat Erhard seine Leute natürlich auch mal früher gehen lassen. Aber wehe, einer ging einfach so. Oder war ein paarmal unpünktlich. Da konnte der Chef eklig werden, denn: Du stiehlst mir meine Zeit, Freundchen! Und als es noch keine Bäderbetriebe mit Personalabteilung und dem ganzen Kram gab, schmiss er die, die nicht mitspielten, auch ganz schnell mal raus.

Klar gab’s Kerls, die besser aussahen als Erhard, aber es gab wenige, die von ihrer Wirkung auf die Frauen so überzeugt waren wie er. Hat ja auch oft genug funktioniert, je offensiver im Auftritt, umso besser. Er hatte ja auch was zu bieten: Nach Feierabend noch’n bisschen im Basseng, Sektchen aufs Schwimmbrett, allet festlich und jemütlich. Und wenn er mal ein bisschen zu direkt war, und eine war beleidigt, dann konnte Erhard nix dafür: Versteht die Kleene überhaupt keen‘ Spaß?

Bei Beate war das etwas anders. Nicht dass er ihr nicht aufgefallen wäre, er hatte die schönsten Beine im Schwimmbad, davon schwärmt sie heute noch. Er lud sie auf ein Getränk ein, höflich, gar nicht grob. Und sie sagte Nein. Sie war 17, er 31, selbstverständlich sagte sie Nein! Ebenso selbstverständlich gab er nicht auf. Beim vierten Versuch hat sie dann Ja gesagt.

Und es war toll mit ihm, vor allem immer lustig. Als sie wegen der Hochzeit zum Gespräch beim Pfarrer eingeladen waren, stieg er mit ihr über den Kirchzaun. War direkter so. Als sie schwanger war mit Sven und sich mitten auf der Straße übergeben musste, direkt vor einem Edelrestaurant, in das sie nie gegangen wären, rief er laut: In den Drecksladen jeh’nwa nie wieder!

Bisschen zu lustig

Ein bisschen zu oft war’s dann aber auch ein bisschen zu lustig, weil Erhard es übertrieb mit dem Alkohol. Musste ja oft nach der Arbeit zur Besprechung nochmal in die Kneipe. Und den einzig freien Tag in den Saisonwochen, Montag, beging er wie einen Feiertag, da wird gefeiert. Beate zog mit dem kleinen Sven aus, aber gute Freunde blieben sie. Die Scheidung war dann eine Formsache. Weil ein Anwalt sein musste, nahmen beide denselben, und zur Verhandlung mussten sie rennen, weil sie sich noch in der Gerichtskantine verquatscht hatten.

Sven mochte seinen Vater, nicht nur, weil der ihn immer mit ins Schwimmbad nahm. Er hat auch viel von ihm gelernt. Erhard wusste alles über Kreuzberg und die ganze Berliner Geschichte. Sie waren in allen möglichen Museen. Den Ordnungsfimmel seines Vaters fand er damals vielleicht nicht so lustig, heute erzählt er aber gern davon. Für die Teppichfransen gab es einen extra Kamm. Meistens hat Sven drauf geachtet rüber zu steigen; wenn nicht, musste er natürlich nachkämmen.

Und was ist Sven geworden? Badchef selbstverständlich, auch wenn der Job inzwischen ein ganz anderer ist. So wie Erhard damals macht das schon lange keiner mehr. Ist bei ihm auch nicht so richtig gut zuende gegangen. 2015 war sein letzter Sommer im Prinzenbad, per Fax haben sie ihm mitgeteilt, dass er versetzt wird. Sie hatten das Machtspiel satt, brauchten für ihr größtes Bad jemanden, der die Sache betriebswirtschaftlicher anging und nicht so eine große Klappe hatte.

Da ist er zur Amtsärztin gegangen, die hat ihn krankgeschrieben, und dann kam bald die Frührente. Erhard raus aus Kreuzberg? Da konnte ihn auch später sein Sohn nicht mehr überreden. Die Kneipe um die Ecke, die ganzen Versuchungen, das war nicht gut für seinen Vater. Diabetes, eine Niere raus, da muss man kürzertreten. Aber fürs Kürzertreten war Erhard nicht gemacht.

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