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Francesco Sacco

© privat

Nachruf auf Francesco Sacco: Come fly with me

Er schuf Spezialeffekte, fürs Kino wie fürs Leben. Ein Startfeld für die Höhenflüge: seine Motto-Partys

Das Weltall, unendlich wirre Weiten. Wir schreiben das Jahr 2007, da trödelte im ZDF ein Raumpilot durch die Galaxis, dem Raum und Zeit sowie Grammatik und Syntax ziemlich schnuppe waren, weil er allein mit sich und dem Universum bleiben wollte, das locker Platz fand in seiner kleinen Wohnung, die er nur mit den Hyper-Kräften des eigenen Geistes zur Wartehalle der komischsten kosmischen Wunder erweiterte. Sein Name: Ijon Tichy.

Viele der optischen Spezialeffekte, die vorgaukelten, dass jede gewöhnliche Siebstempelkaffeekanne zur ionenschnellen Raumfähre taugt, schuf Francesco Sacco. Weil er es konnte, und weil er von Kindesbeinen an gewohnt war, an Bord der Enterprise die wildesten Abenteuer zu erleben. Denn sein Vater war ein Alien, der erste Ausländer im Dorf nämlich, aber wohlgelitten, weil katholischer Italiener. Die Nationalität war in Dohrgaul weniger wichtig als die Konfession. Der Schatten des Kölner Doms reicht weit. Francesco war fröhlich von Natur, quirliger noch als seine drei Geschwister und früh gewillt, die Welt mit seinen Erfindungskräften zu beeindrucken, auch musikalisch. Wobei er vorwiegend die Leuchtdioden blinken ließ, wenn Ede Schürmanns „ADAC“ auf der Bühne stand, die „Asoziale Dope und Alkohol Combo“. Die Musik lockte die Mädchen in Scharen, und Francesco blinzelte erfreut hinter seinen dicken Brillengläsern, denn er fühlte sich zu Recht von allen gemocht.

Als Raum- und Vergnügungsschiff taugte seinerzeit noch ein VW-Käfer, der auf der einen Seite bunt als Hippie-Auto angemalt war und auf der anderen Seite grün-weiß als Polizeikäfer mit der Aufschrift „Pipapo“ auf der Tür. Zur Blickfelderweiterung schweißte Francesco später das Dach des Käfers auf einen VW-Bus und dirigierte das Gefährt dann 1990 nach Berlin, wo ein neues Universum gerade seine Pforten öffnete, denn die gewesene Metropole schien als Babylon wieder aufzuerstehen.

Never ending space odyssey

Francesco tauschte die Brille gegen Kontaktlinsen, sah sich um und wusste recht bald, was zu tun war. Als gelernter Radio- und Fernsehtechniker sowie Tüftler-Universalgenie dank eigener Fortbildungsmaßnahmen, wurde er schnell erfolgreich mit seinem Studio für virtuelle Welten. Er unterrichtete an der Filmhochschule Computeranimation, arbeitete als Kameramann, als Cutter und in allen anderen erdenklichen Bereichen der Digitalisierung. Das Geheimnis seiner ruhelosen Umtriebigkeit: Er liebte, was er tat. Wer seine Wohnung betrat, ging an Bord der Discovery One, denn hier war die Kommandozentrale und wenig Privates, hier stand das Dirigentenpult der Fantasie in Gestalt mehrerer Monitore, und die Computer stellten immer stärkere Rechenleistungen für immer neue Weltenschöpfungen. Eine never ending space odyssey, die er zunehmend mit Arbeiten für die Immobilienwirtschaft finanzierte, bis er deren virtuelle Welten für zu scheinheilig befand.

Im Leben eines Raumpiloten ist die Liebe von größter Wichtigkeit, denn sonst überkommt ihn die fürchterlichste abschlaffende Einsamkeit. Und so schuf sich der ZDF-Raumfahrer Ijon Tichy monogam egoistisch die „Analoge Halluzinelle“ als holografische Muse und Co-Pilotin, während Francesco die Augen selbstlos pluralistisch auf alle weiblichen Wesen gerichtet hielt, die in sein Blickfeld traten. Er liebte Frauen, und die Frauen liebten ihn, weil er jeder Einzelnen das Gefühl gab, genau am richtigen Ort zur richtigen Zeit zu sein, um aus dem Stand abzuheben: „Come fly with me!“ Und seltsamstes Wunder: Es gab immer einen freien Platz an Bord.

Das perfekte Startfeld für diese Höhenflüge waren seine Partys, meist als Motto-Party ausgerichtet, wie auf YouTube zu sehen ist, und von ihm als durchweg durchdachtes Spektakel inszeniert. Da kamen dann zum Revival der 20er Jahre über 100 Menschen, die er alle seine Freunde nannte, und sie nannten ihn ihren Freund, was verrückt ist, aber tatsächlich zutraf, denn für ihn war Freundschaft eine emotionale Gravitationskraft, die alle in einer stabilen Umlaufbahn hielt, sodass keiner abstürzte oder sich als einsamer Komet in den Weiten des Sternenraums verirrte.

Diese Kraft des Zusammenhaltens dankten ihm viele Menschen mit Liebe. Der Tod macht da wenig Sinn, wenn das Leben erfüllt ist mit guten Gefühlen, und so war er schwer erleichtert, als er seine erste Krebserkrankung gut überstand. Er wusste, dass er kürzer treten musste bei der Arbeit. Er ging auf Reisen, um fremde Länder zu sehen, aber vor allem, um Freunde zu treffen und seine Verwandten, die sich dank kosmopolitischer Partnerwahl überall in der Welt heimisch fühlten. Ansonsten gab es nichts, was er in hätte ändern wollen. „Ich wollte genau das Leben zurück, das ich vorher geführt habe.“

Und kaum hatte er es zurückerhalten, kam Corona, machte die Räume eng und die Partys unmöglich. Ihm wurde ganz anders in dieser Zeit, was auch daran lag, dass der Krebs zurückkam. Er wollte es nicht glauben. „Ich müsste mich ja völlig anders verhalten, wenn ich es zugeben würde.“

„Beam me up“, die Töne sollten die Räume schaffen, in denen sich sorglos sein ließ. Sein letzter großer Traum war, Musik zu machen, ganz allein das große Orchester zu spielen, alle Instrumente, gesteuert nur durch Gesten, mittels eines Computerprogramms, das er schon im Kopf hatte, aber zu verlieren drohte, weil der Krebs alles verdrängte.

Er verweigerte sich dem Tod, floh aus dem Krankenhaus, die Infusionsflasche in der Hand, aber die eigene Schwester dirigierte ihn telefonisch zurück. Mittels Leuchtreklamen fand er den Weg zurück aufs Krankenbett. Von wo er wieder floh: Wenn, dann zu Hause sterben, umgeben von der Familie. So zog es ihn zurück ins Heimatdorf. Sein letztes Raumschiff war wie das erste ein sehr buntes. Er hatte zwar keine Kinder, aber alle Kinder mochten ihn, weil er der beste Vater der Welt gewesen wäre. Viele Kinderzeichnungen hingen in seiner Wohnung an der Wand. Nicht nur von Großnichten und Großneffen, auch die Kinder seiner Freunde haben für ihn gezeichnet, ein letztes Mal dann auf seiner Beerdigung, als sie seinen Sarg bunt bemalten. Und so hatte, in Ijon Tychys Worten, ziemlich größter Held von Universum finalschlüsslich seinen Abgang, was nicht viel sagen will, denn wie in der Enzyklopädie der Sternfahrer deutlich rätselig vernotiert steht: Der Tod ist eine dieser Reisen, deren Ausgang gewisslich ungewiss ist.

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