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Jens Dobler

© privat

Nachruf auf Jens Dobler: Warum dieser Hass auf Schwule?

Es ging nicht um ihn, um seine Gefühle. Es ging um Strukturen

Stand:

Alle reden von „Babylon Berlin“, den goldenen Zwanzigern. Tosendes Berlin, nach dem die Leute Sehnsucht haben, Nachtbars, versteckte Lokale, Frauen im Smoking, Männer in Röcken, Swing, orientalistische Kostüme, wilde Küsse, das Koks in Salzstreuern auf den klebrigen Tischen. Willy Pape, eine internationale Varietéberühmtheit unter dem Namen Voo Doo, präsentierte „indische Schlangentänze, „die in ihrer schauerlichen Schönheit wohl kaum ihresgleichen finden“, wie der „Münchner Stadtanzeiger“ schrieb, wohingegen in einem Hauptstadtblatt matt von „anerkennenswerten Leistungen“ die Rede war, Männer in Frauenkleidern, schon tausend Mal hier gesehen.

Während sich jedoch die Leute von heute ins babylonische Berlin zurückversetzen, vergessen sie ein bisschen das Ausmaß der Gewalt – noch heute – gegen jene, die sie so ausgezeichnet unterhalten. Die verbale Gewalt, die körperliche, in diesem Jahr mussten Umzüge zum „Christopher Street Day“ wieder von Polizisten geschützt werden. Jens frappierte dieser Hass. Er stieß auf eine Reihe von Morden im Baden-Württemberg der neunziger Jahre.

Morde an Schwulen, Tötungen aus Abscheu

Jens selbst verbrachte seine Kindheit und Jugend in einem Dorf bei Stuttgart, seine Eltern betrieben eine Gärtnerei, die er nach dem Hauptschulabschluss übernehmen sollte, was er aber ablehnte, weil er nach Berlin ging, wo er seinen Realschulabschluss und das Abi nachholte, um daraufhin Erziehungswissenschaften, Psychologie und Neuere Geschichte an der TU zu studieren und seine Dissertation zu schreiben. Ein Aus- und Aufstieg, angetrieben von Freunden, von Büchern, die ihm die Freunde gaben, von der Sehnsucht, Zusammenhänge zu entdecken.

Bevor er mit dem Studium anfing, begann er bereits zu forschen und zu schreiben. Ihm fiel auf, dass diese Morde als „normale“ Männermorde behandelt wurden. Es waren Morde an Schwulen. Tötungen aus Abscheu. Sadistische Vernichtungen.

Er stellte die einfache Frage: Warum? Warum dieser Hass auf Schwule? Wobei seine eigene Homosexualität dabei eine eher untergeordnete Rolle spielte. Es ging nicht um ihn, um seine Gefühle, es ging um Strukturen. Er fuhr in das Stuttgarter Gefängnis, in dem die Schwulenmörder einsaßen und führte Interviews mit ihnen. Leider kann niemand erzählen, wie das für ihn war, dort zu sitzen. Er hat es nicht gesagt. Er hat prinzipiell nicht so viel gesagt. „Man musste ihm die Dinge oft aus der Nase ziehen“, sagt sein Mann, mit dem er 2011 zusammenkam.

„Er hat mich damals aggressiv angeflirtet“, erzählt er. „Ich fand das toll.“ Einen Monat darauf sind sie in den Urlaub nach Palma gefahren. Aber oft habe er sich eben nach kürzester Zeit aus Gesprächen mit mehreren Menschen herausgezogen. Manchmal nannte er Leute Schwätzer. „Jens“, sagt sein Mann, „wollte lesen und schreiben.“

Die schauerliche Schönheit der Schlangentänze,

Er stellte ein Buch ums andere in seine Bibliothek. Er saß in Archiven und arbeitete akribisch an seinen Forschungen, seiner Promotion zum Thema der Homosexuellenverfolgung durch die Berliner Polizei bis zum Jahr 1933. Er war Archiv- und Bibliotheksleiter des „Schwulen Museums“ an der Lützowstraße. Leitete die Polizeihistorische Sammlung im Polizeipräsidium. Für die „Siegessäule“ verfasste er Texte unter der Rubrik „Der schwule Kriminalreport“. Er erstellte eine Konkordanzliste der Jahrbücher Magnus Hirschfelds.

Er schrieb das gut lesbare Buch „You have never seen a dancer like Voo Doo“ über den fast vergessenen Willy Pape und die „schauerliche Schönheit“ seiner Schlangentänze, erzählte Papes Leben, der ausgerechnet am 17. Mai 1937 wegen des Verdachts, „homosexuelle Handlungen“ begangen zu haben, ins Visier der Polizei geriet. Der 17.5. ist eine Chiffre für den Paragraphen 175. Nebenbei gelang Jens auch gleich noch eine Geschichte des Varietés.

Er wurde zum Ansprechpartner für Polizeigewalt (seine Freunde sagen, ihm selbst sei nie etwas passiert), ein Vermittler zwischen den Opfern und den Behörden und letztlich gehörte er zu denen, die maßgeblich dazu beitrugen, dass man Gleichstellungsbeauftragte einstellte.

Er ging zum Arzt, weil er merkte, dass etwas nicht stimmte. Da ist nichts, sagte der Arzt. Jens ging wieder hin. Nein, nichts. Ein halbes Jahr später dann die Diagnose, Krebs. Am 7. Februar, seinem Geburtstag, der Satz: Metastasen, überall, wir können nichts machen.

Zu seiner Beerdigung kamen eine Menge Polizisten, mit allem Pipapo, Uniformen, Orden. Sie standen an seinem Grab und spielten für ihn auf dem Dudelsack und der Trompete ein wunderbar trauriges Lied.

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