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Rolf Honold

© privat

Nachruf auf Rolf Honold: Ein Trostspender

Renoviert oder umdekoriert hat er seine Kneipe nie. Der „Diener“ sollte bleiben, wie er war

Stand:

Rolf rauchte wie ein Schlot, „Kette“, sagen die einen,  „mindestens eine Stange am Tag“, präzisieren die anderen. Er selber reduzierte in einem Interview auf 120 Zigaretten pro Tag. Obwohl Tag nicht ganz korrekt ist, denn Rolfs Tage waren vor allem die Nächte.

36 Jahre lang war er der Wirt vom „Diener“, einer legendären West-Berliner Künstlerkneipe, die erst um 18 Uhr öffnete und mit den letzten Gästen schloss, viele berühmt. „Ich kam, wenn es noch hell war, aß und trank, sprach mit den anderen Schauspielern über die letzte Premiere, dann ging ich noch woandershin, manchmal mit einem Mädchen im Arm, kam wieder und verließ den Diener bei Morgendämmerung“, sagt einer von ihnen.

Den Glimmstängel im Mund, zapfte Rolf das kalte Bier. Den Glimmstängel zwischen zwei Fingern, lehnte er am Tresen und ließ den Blick über sein Reich und seine Gäste schweifen. Den Glimmstängel in den Aschenbecher geklemmt, saß Rolf an seinem kleinen Privattisch neben dem Tresen. Aber immer nur mit dem halben Hintern auf dem Stuhl, jederzeit bereit, einem neuen Gast einen Schnaps, Zigaretten oder eins von den Soleiern zu reichen, die im großen Glas auf dem Tresen hin- und herschwappten.

Lilos Launen

Rolf war groß und kräftig, wer Ärger machte, den packte er am Arm und schob ihn raus. Machte jemand einen dummen Spruch, schoss Rolf mit einer sarkastischen Bemerkung zurück. Zumeist war er aber von einer gleichbleibenden Fröhlichkeit, eine beruhigende Konstante, denn egal wie es um die Welt oder wie es um einen selber stand, bei Rolf im „Diener“ fand jeder seinen Trost. Ein Freund sei er gewesen, heißt es, ein Kamerad voller Herzensgüte. Und als Linker immer bereit, über Politik zu debattieren. Oder über Fußball – Bayern München war sein Verein, was man ihm verzieh, denn er war ein Bayer.

In der „Diener“-Küche stand Lilo, Rolfs Lebens- und Kneipenpartnerin. Die einen fanden, dass ihre Gulaschsuppe im Mund geradezu zerschmolz, andere mochten ihre Bratkartoffeln mit Setzei lieber. Jeder aber bibberte vor ihren Launen. Nach den Stunden in der Küche ließ sie sich ächzend vorne am Privattisch nieder. Wagte es dann noch jemand, eine Portion Senfeier zu bestellen, fluchte sie los: „Das kann doch nicht wahr sein!“

Der „Diener“ liegt am Savignyplatz, einen Katzensprung von Schillertheater, Theater des Westens, Renaissance-Theater, Komödie am Kurfürstendamm. Nach den Aufführungen kamen die Schauspieler, debattierten über verpasste Einsätze, lästerten über neue Regisseure, beschwerten sich übers Publikum. Rolf war über jede Inszenierung bestens informiert, ohne auch nur eine selbst gesehen zu haben. Nach Premieren schauten sie alle nervös zur Uhr. War es endlich 1 Uhr 15, stand einer auf, fuhr zum Breitscheidplatz und brachte einen Stapel druckfrischer Zeitungen mit. Jeder bekam eine, dann wurden die Kritiken vorgelesen, mit Ärger, Belustigung, Spott und Freude.

Rolf schaute sich das Treiben vom Tresen aus an, nie setzte er sich zu seinen Gästen. Wenn einer der Opern- oder Schmusesänger, Schauspieler, Kabarettisten, Autoren, Kritiker und Regisseure sich zu wichtig nahm, dann rief er: „Oh Gott, die Gaukler sind heute wieder eitel.“ Und strich sich theatralisch Haare aus der Stirn.

Oder hat nur keiner nachgefragt?

Rolf wuchs in Miesbach in Bayern auf. Sein Vater war Schauspieler, Drehbuchautor und Erfinder der „Raumpatroulle Orion“. Rolf spielte Fußball im Verein, pfiff als Schiedsrichter, machte eine Lehre, ob als Dekorateur, Drogist oder in einer Apotheke, da berichtet jeder etwas anderes. Auf jeden Fall war er danach oder auch davor als Zeitsoldat bei den Fallschirmspringern. Es gibt ein Foto von ihm in Uniform, ernster Ausdruck, breites Kinn, Kampfstiefel, Fallschirm vor der Brust. Ob er vielleicht wegen Drill und Gehorsam zu einem Linken wurde? Und wie kam er überhaupt nach Berlin, in die Gastronomie? Wann lernte er eigentlich die um einige Jahre ältere Lilo kennen? Haben sie sich sehr geliebt? So viel Rolf auch redete, über all das redete er nicht. Oder hat nur keiner nachgefragt?

Lilo und Rolf übernahmen 1969 den „Diener“ und zogen in eine kleine Wohnung im zweiten Stock darüber. Wenn sie im Sommer den „Diener“ für ein paar Wochen schlossen, schliefen sie erst mal aus, dann machte Lilo sich fein und ging ins KaDeWe und Rolf setzte sich in die S-Bahn und fuhr durch die Stadt. Machte der „Diener“ endlich wieder auf, staunten die Aufmerksameren: Die alten Gardinen waren gewaschen und Rolf hatte die ganzen Bilderrahmen geputzt. Renoviert oder umdekoriert hat er nie. Der „Diener“ sollte so bleiben, wie er war.

In den Bilderrahmen hängen die Fotos der berühmten Gäste, die meisten handsigniert: O.E. Hasse zum Beispiel. Wenn der am Ku’damm spielte, war für ihn ein Tisch reserviert, egal ob er kam oder nicht. Kam er, galt: Es dürfen nie zwei Leute gleichzeitig reden, meistens redete Hasse, und die anderen hörten zu. Oder Maria Schell, regelrecht Hof hat sie hier gehalten. Oder Walter Buschhoff, der immer nur für sich selbst bezahlte. Dann sind da noch Max Raabe, „ein zauberhafter Typ“, Rolf Eden, „ein wahrer Gentleman“. Oder Udo Jürgens, Hildegard Knef, Karel Gott, Romy Schneider, Horst Buchholz, Billy Wilder, Joachim Fuchsberger, Günter Lamprecht – insgesamt 500 Bilder hängen im „Diener“. Nur keins von Harald Juhnke. Der kam zwar regelmäßig unregelmäßig, trank einen doppelten Wodka, hatte kein Geld dabei, zog weiter. „Ich fehle“, sagte Juhnke manchmal mit Blick zur Wand. Er solle gefälligst ein Foto mitbringen, antwortete dann Rolf. Tat Juhnke aber nicht.

Samstagvormittags ging es auf den Fußballplatz in Alt Kladow. Hier spielte der FC Diener gegen andere Kneipen, Theater- oder Opernhäuser. Rolf war Trainer und Schiedsrichter. Da standen dann die bleichen Nachtgestalten im viel zu hellen Tageslicht, husteten sich die Raucherlungen aus dem Leib und rannten um ihr Leben. Es wurden gefault und gestritten und im Nachgang jedes Spiel detailliert ausgewertet, bei Rolf im „Diener“.

2005 gaben Lilo und Rolf die Kneipe ab, 2008 starb Lilo. Rolf kam aber immer noch jeden Abend runter, setzte sich an seinen Tisch, rauchte seine Zigaretten, redete mit den Leuten. Bis die Quarzerei ihren Tribut zollte, er in ein Heim musste, ein Bein abkam und es auch für ihn an der Zeit war.

Nun liegt die Asche von Rolf, dem irgendwie auch berühmten „Diener“-Wirt, in einem anonymen Grab. Geld für Beerdigung und Grabstein hat er nicht zurückgelegt. Wenigstens eine kleine Gedenktafel sollte da doch hin, finden seine Freunde. Ob ihm das wichtig gewesen wäre?

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