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Nachruf auf Steffi Schulz: Dafür war das Leben draußen viel zu bunt
Gern lauschte sie, was am Nachbartisch besprochen wurde: die große Liebe, Familiendrama... Beides hatte sie selbst erlebt
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Wenn Steffi etwas erreichen wollte, dann flunkerte sie und setzte alles auf eine Karte. Einmal war sie mit ihren beiden Kindern, Yana und Ole, in der S-Bahn unterwegs. Sie wollte nur zwei Stationen fahren, da lohnte sich kein Ticket. Doch plötzlich standen die großen Kontrolleure vor ihr, der kleinen Frau. Sie raffte ihre Einkaufstüten zusammen, nahm die Kinder an die Hand und tat so, als ob sie kein Deutsch verstehen würde. So überzeugend, so laut, dass die Kontrolleure sie laufen ließen.
Hatte Kalle, ihr Mann, gerade keine Aufträge und hatte sie gerade keinen Job, konnte es knapp werden. Dann saß sie da am Wohnzimmertisch, rechnete hin und her, welche Kreditkarte gab noch was her. Doch auf einen Urlaub verzichten, oder darauf, ständig allen Geschenke zu machen? Oder darauf, alle einsamen Freunde und Bekannten zu Weihnachten in ihre große Wohnung im Hansa-Viertel einzuladen. Nein, dafür war das Leben draußen viel zu bunt. Wie gern sie im Café saß und lauschte, was am Nachbartisch besprochen wurde: die große Liebe, Familiendrama...
Beides hatte sie selbst erlebt. Ihr Vater war ein Geiger im Altenburger Theater, sah aus wie Max Frisch. Er trank gerne, schlug dann und wann Steffis Mutter. Die war Schneiderin und lange Hilfsarbeiterin in der Reinigung. Harte Jahre. Irgendwann dann, es muss 1960 gewesen sein, flohen sie in den Westen, mit kleinem Gepäck, der Geige des Vaters. Falls jemand fragte, wollten sie zu einem Vorspiel.
Und dann, tief in der Nacht, schlichen sie leise in ihr Zimmer
Der große Bruder war nach Amerika ausgewandert, Steffi besuchte ihn. War sie da 17 oder 18? Es war auf jeden Fall ein Abenteuer. In den USA machte sie Praktika in Krankenhäusern, hatte den Traum Chirurgin werden. Doch ohne Abitur wurde es erst einmal eine Ausbildung zur Gymnastiklehrerin in Berlin. Gelenkig war sie.
Noch bevor sie sich in Berlin orientiert hatte, stand dieser Kalle vor ihr, in der „Paris Bar“. Sie schlürften eine Zwiebelsuppe, und dann, tief in der Nacht, schlichen sie leise in ihr Zimmer. Herrenbesuch war untersagt. Sie zogen zusammen, heirateten, bekamen ihre Kinder, ganz schnell ging das. Kalle studierte Architektur, kam aus einer großbürgerlichen Familie. Steffi kümmerte sich zu Hause. Doch das reichte ihr nicht. Nicht nur aus ihrem Mann sollte was werden. Abitur auf der Abendschule, anschließend das Soziologiestudium, nebenbei jobben und den Kindern jeden Abend vorlesen, immer aus den neuesten und schönsten Kinderbüchern. Und überall lagen aufgeschlagene Kochbücher herum.
Das war manchmal ganz schön viel. Wenn Steffi richtig fertig war, gönnte sich ein Glas Wein oder zwei, manchmal auch die ganze Flasche. Wenn Kalle dann nach Hause kam, redeten und redeten sie. Oder schauten einen Film, der winzige Schwarzweiß-Fernseher stand auf dem Boden, sie lagen davor und lachten sich schlapp.
Jahrelang gab Steffi an der TU den Einführungskurs „Stadtsoziologie für Architekten“, arbeitete für Stadtplanerbüros, führte Befragungen durch oder jobbte für die Spastikerhilfe. Mit Kalle schrieb sie einen Architekturführer fürs Hansaviertel. Da flogen schon mal die Türen, wenn sie sich uneinig waren. Besondere Freude hatte Steffi an den Studenten-Exkursionen nach Beirut, nach Belfast, die sie organisierte. Geteilte Städte, das war ihr Thema.
Auch ihre Kinder sollten die Welt verstehen, und als die Tochter mit 17 nach Indien reisen wollte, durfte sie das, auch wenn Steffi dann weinend am Flughafen stand.
Kalle und Steffi hielten zusammen, mal ein Liebespaar, das stundenlang frühstückte, viel öfter ein Team, in dem man einander unterstützte, die Zeitung teilte, sich vom Tag erzählte. Bis Kalle starb, 2023, Krebs. Die Zeit ohne ihn war hart. Steffi wollte weiter am Leben teilhaben, ins Theater, raus in die Stadt, essen gehen mit Freunden, aber die Osteoporose machte es schwerer und schwerer. Dann die Gallenentzündung und eine Klinik-Odyssee. Als das Ende nahte, der Atem schwächer wurde, kamen noch einmal alle wichtigen Menschen, um Abschied zu nehmen. Sogar die geliebte Katze durfte bis zuletzt bleiben.
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