zum Hauptinhalt
Thomas Hofmann

© privat

Nachruf auf Thomas Hofmann: Warum bloß ist er da nicht geblieben?

Wenn er gut gelaunt war, hatte er so eine Leichtigkeit. Doch die gute Laune blieb öfter aus

Stand:

Thomas konnte die Welt erklären, Politik, Geschichte. Es machte Spaß ihm zuzuhören. Wenn man aber mit ihm diskutieren wollte, musste man auf Zack sein. Wie ein Seilspringer war er, der unablässig sprang und sprang. Setzte man an, auch etwas zu sagen, hob er seinen Zeigefinger: „Und das ist noch längst nicht alles.“ Und redete weiter.

Der Beruf des Lehrers hat gut zu ihm gepasst. Noch Jahre später erinnerten sich Schüler an Unterrichtsstunden mit ihm. Er fragte, ob Marinus van der Lubbe 1933 wirklich den Reichstagsbrand ausgelöst haben konnte, ganz allein. Er ließ die Schüler einen alternativen Geschichtsverlauf ausarbeiten: Was, wenn die Alliierten Stalins Vorschlag für ein neutrales Gesamtdeutschland angenommen hätten?

Sein Großvater war ein Notar in Bad Sobernheim. Die Familie lebte in einer Villa. Der Großvater war freundlich und zugänglich, die Großmutter groß und stolz. Thomas‘ Mutter hingegen war kühl und unnahbar und ständig unzufrieden. Sein Vater hatte sich hochgearbeitet, war Ingenieur bei RWE. Der Mutter reichte das nicht, immer wieder ließ ihn das spüren. Eines Abends, zur Weihnachtszeit, stritten sich die beiden wieder. Der Vater stürmte aus dem Haus, brach zusammen und starb im Krankenhaus.

Ein Revolutionszentrum

Thomas war aufmüpfig in der Schule. Nur weil ein Lehrer was sagte, hieß es noch lange nicht, dass er recht hatte. Vor Streit, egal mit wem, schreckte Thomas nicht zurück. Er war ja wer.

Studium der Geschichte und Germanistik in Berlin, das Lehramt als Notoption. Erst war Thomas bei der KPD AO aktiv, doch die Maoisten waren ihm zu dogmatisch. Er schloss sich dem „Aktionskomitee gegen Berufsverbote“ an, organisierte Demos und ein großes Tribunal. Seine WG, 600 Quadratmeter, war ein Revolutionszentrum. Jeden Tag Leute zu Besuch, die Küche vollgequalmt, Wein, Debatten.

Erst waren Thomas und Helmi nur Mitbewohner, nach vielen gemeinsamen Abenden landeten sie miteinander im Bett. Wenn Thomas gut gelaunt war, hatte er so eine Leichtigkeit.

Für seinen Uniabschluss brauchte er noch das Referendariat, an das man in den 80ern in Berlin nicht so leicht kam. Er wartete drei Jahre, in denen seine Laune immer schlechter wurde. Ein Mitbewohner, der Medizin studiert hatte, bekam eine Stelle als wissenschaftlicher Mitarbeiter in der Medizingeschichte. Da war Thomas neidisch. Ein ums andere Mal fand Thomas einen Grund, mit ihm zu streiten, bis dieser auszog.

Helmi und er wanderten in der Schweiz, fuhren mit dem Zug durch Spanien. Helmi kümmerte sich um die Routen. Alles war so lange schön, bis etwas schieflief. Einmal standen sie am Bahnhof in Madrid, und der Schalterbeamte verkündete, dass es keine Plätze mehr im Zug gab. Da schrie Thomas sie an, als ob es ihre Schuld wäre.

Schließlich klappte es mit dem Referendariat an einem renommierten Gymnasium mit einem anerkannten Historiker als Ausbilder, sowas war Thomas wichtig. Endlich konnte er zeigen, was in ihm steckte, er schloss ausgezeichnet ab. Da in Berlin keine Lehrer eingestellt wurden, wechselte er als wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Geschichtsdidaktik nach Hamburg. Endlich, könnte man meinen, eine Stelle, die seinen Ansprüchen entsprach. Doch Thomas verstand sich nicht mit dem Professor. Klar, dass er hier nicht bleiben konnte. Auch die Therapeuten, die er nun aufsuchte, waren nicht gut genug, um ihm zu helfen.

„Fühlen Sie sich dem gewachsen?“

Nächste Station, neues Glück: Kulturdezernent in Lauterbach. Er organisierte Konzerte, Lesungen, er scharte Leute um sich, sie verschafften ihm eine tolle Wohnung in der alten Mühle, wurden Freunde, hörten ihm gern zu. Thomas war glücklich – für drei Jahre. Warum bloß ist er da nicht geblieben, fragt sich Helmi, fragen sich die Freunde.

Helmis Telefon klingelte. „Du“, sagte Thomas, „ich werde Leiter der Gedenkstätte Buchenwald.“ Ihr fiel fast das Telefon aus der Hand. Wie kam denn das? Klar, er hatte Geschichte studiert, war an einem wissenschaftlichen Buch beteiligt gewesen, hatte eine Ausstellung organisiert, war gut im Reden und Schreiben, doch wie er sich gegen 52 renommierte Historiker durchgesetzt hatte, war ein Rätsel.

Die „taz“ fragte ihn in einem Interview: „Sie wechseln in das Legitimationszentrum des ehemaligen Staates DDR. Fühlen Sie sich dem gewachsen?“

Thomas geriet in ein Schlammassel, da waren die alten SED-Historiker, die alles so lassen wollten, wie es war. Buchenwald als Erinnerungsort für den kommunistischen Widerstand gegen die Nazis. Dann waren da Bürger aus Weimar und Politiker, die eine gleichwertige Gedenkstätte für die Opfer sowjetischer Internierung durchsetzen wollten.

Die Washington Post schrieb: „Mit einem begrenzten Budget, einem misstrauischen Team und einer mitunter feindseligen Bürgerschaft muss Hofmann nun den Überlebenden sowohl der Nazi- als auch der sowjetischen Lager Rechenschaft ablegen. Er muss einen Weg finden, die hier dargestellte Geschichte zu korrigieren, ohne alles Ostdeutsche niederzureißen. Zudem muss er die Bürokratie aus der Zeit des Kommunismus abbauen, die fast zwei Jahre nach dem Fall der Mauer hier noch immer besteht.“

Drei Jahre hielt er durch, versuchte mit allen zu reden, ging es pädagogisch an. Er erreichte auch einiges, so wurde 1993 das Mahnmal für die jüdischen Opfer im Konzentrationslager eingeweiht. Doch er stand auf ziemlich verlorenem Posten. 1994 wurde er entlassen, ihm wurde Hausverbot erteilt, er war gebrochen.

Kliniken, Psychiatrien, irgendwie schaffte er es, immer in den besten Einrichtungen mit den renommiertesten Ärzten aufgenommen zu werden, dann ging es aufwärts, dann schrieb er wissenschaftliche Aufsätze, ging in die Bibliothek, ins Café. In Lauterbach durfte er in seine alte Wohnung zurück, immer wieder gaben sie ihm eine Stelle als Lehrer.

Doch die Depressionen wurden schlimmer, die Arbeit wurde ihm unmöglich. Es ging abwärts, tiefer und tiefer, einsame, verwahrloste Jahre. Die letzte Station war ein Altenpflegeheim, hier blühte er noch einmal auf, wurde von allen gemocht.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
console.debug({ userId: "", verifiedBot: "false", botCategory: "" })