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Nachruf auf Wolfgang Oberle: Aber so ging er nie hinaus
So sehr vertiefte er sich ins Malen, dass er vergaß, zu essen, zu schlafen, rauszugehen, Geld zu verdienen
Stand:
Wolfgang brauchte Platz für ein neues Großprojekt. Also wuchtete er eins seiner Bilder, zwei mal zwei Meter groß, von vorn nach hinten. Im Gang brach er zusammen, sank in sein Bild, eine Umarmung zum Abschied.
Wolfgang und sein Atelier in Wedding. Vielleicht 30 Quadratmeter, zwei winzige Räume, Klo, Küchennische, hunderte Bilder, Holzskulpturen, Regale voller Bücher, Kleider, Stöckelschuhe und Handtaschen, hier lebte er fast 20 Jahre.
Auch jetzt, ein Jahr nach seinem Tod, ist hier noch alles fast so, wie es war. Sie haben aufgeräumt und ausgemistet, doch es ist, als ob er jeden Moment zur Tür hereinkommen, sich eine Zigarette drehen, ein Glas Wein trinken könnte. Manchmal sitzen sie noch hier, seine Tochter Katharina oder Caroline, seine Ex-Partnerin, sie riechen die Farben, den Rauch und fühlen diesem Menschen nach.
„Ich habe lange gebraucht, um zu verstehen, dass mein Vater nicht unglücklich war mit seinem Leben. Im Gegenteil: Er hat es genossen, seine Bilder zu malen, sich das Gesicht von der Sonne bescheinen zu lassen, einen Baum zu betrachten und in die Krumme Lanke zu springen. Nein, mit Wolfgang musste man kein Mitleid haben.“
Sonst setzte es was
Schwarzwald, Kurort, hier lebte Wolfgang mit Bruder und Schwester, Mutter und Vater. Der Vater beanspruchte das größte Zimmer, da saß er in seinem Sessel, hörte Opern, las Bücher oder bewunderte seine Modelleisenbahn. Stören verboten, sonst setzte es was. Die Kinder gingen im Winter mit löchrigen Schuhen zur Schule, er genoss das Leben. Die Mutter glich aus, schenkte Liebe und litt. Als Wolfgang nach einem Mopedunfall Wochen im Krankenhaus lag, besuchte sie ihn, der Vater nicht.
Barbara war Wolfgangs erste große Liebe. Sie war so schön, dunkle Haare, braune Augen, und außerdem so normal, ordentlich, organisiert. Er war ein Hippie, hatte wilde Locken, und er zeichnete und malte, Menschen, die Stadt, den Schwarzwald auf jedes Fetzchen Papier, das er in die Finger bekam.
Sein Vater hielt das für Zeitverschwendung, also machte Wolfgang eine Ausbildung zum Maschinensteller. Aber dann musste er hier weg, nach Kiel zum Kunststudium. Barbara wollte nicht weg, sie trennten sich, blieben befreundet. Überhaupt blieben viele Menschen Wolfgang treu, meldeten sich, halfen ihm, trotz allem. Er war einer, der einfach ging, ohne Erklärung, der nie fragte, wie es anderen ging, der ganz viel oder gar nicht redete, der im löchrigen Schlabberpulli und Flecken auf der Jeans bei einer Hochzeit auftauchte. Über das Leben und die Kunst sinnieren, zusammen Musik hören und Wein trinken, das ging wunderbar.
Wolfgang war Legastheniker, hatte kein Abi, an die Uni kam er mit Bewerbungsmappe und Begabtenprüfung. Er hatte erste Ausstellungen und hängte seine von beiden Seiten bemalten Bilder in den Raum. So sehr vertiefte er sich ins Malen, dass er vergaß, zu essen, zu schlafen, rauszugehen, Geld zu verdienen. Wenn er mal einen Job hatte, blieb er nicht lange. Alles zu eng, zu viele Vorschriften.
1988, Berlin, Neuanfang, Wolfgang war 35 und lernte Caroline kennen, 29. Sie war Kinderkrankenschwester auf einer Frühgeborenstation. Sie arbeitete im Schichtdienst, er malte bis tief in die Nacht und schlief dann gerne aus. Er rauchte, wie ein Schlot, sie hasste den Gestank. Doch sie waren verliebt. „Er sah toll aus, malte düstere Bilder, war Teil dieser verrückten Künstlerwelt. Mit ihm fühlte sich das Leben wie ein Abenteuer an.“ Und er sagte, dass er Kinder mit ihr wolle.
Eine Bruchbude von Wohnung im Erdgeschoss in Kreuzberg, Wolfgang baute eine Badewanne ein, zog die Böden ab, schleppte einen neuen Ofen an, errichtete ein Hochbett. Katharina kam auf die Welt, drei Jahre später Clemens, und Wolfgang war ganz verliebt in diese kleinen Wesen. Caroline verdiente das Geld.
In der Gerichtstraße in Moabit stand eine Fabriketage leer. Wolfgang und zwei Künstlerfreunde renovierten und bauten, viele kleine Details – ein gemeinsames Atelier sollte entstehen. Doch es gab Streit, sie überwarfen sich. Die Lösung: eine Mauer, die den schönen großen Raum durchtrennte.
Und er schminkte sich gern
Wolfgang verbrachte immer mehr Zeit im Atelier, bis er ganz dort einzog. Erst waren Caroline und er noch zusammen, besuchten einander. Nach der Trennung waren die Kinder jedes zweite Wochenende bei ihm. Zeichnen, basteln, Wände bemalen, lange aufbleiben, bei Papa gab es Freiheit und Abenteuer. Zähneputzen, saubere Unterhosen, baden? Überbewertet. Als sie älter wurden und keine Lust mehr auf Papas Atelier hatten, besuchte er sie sonntags und kochte für alle. Weihnachten, Ostern, Geburtstage feierten sie sowieso zusammen. „Wir sind immer eine Familie geblieben“, sagt Katharina.
Wolfgang hatte ein paar Ausstellungen, verkaufte ein paar Bilder. Und er fuhr Taxi – nachdem er viermal durch die Prüfung gefallen war und dann, als es doch noch klappte, vor Erleichterung geweint hatte.
Umzug in die kleine Ladenbude in Wedding, seine „kleinste Produzenten-Galerie Berlins“. Er produzierte ein Bild nach dem anderen. Ein Mädchen kam vorbei und fragte, was er da tue. Er gab ihr schließlich Malunterricht. Ein Nachbar fragte ihn nach Feuer, daraus wurde eine jahrelange Freundschaft. Er pflanzte Sonnenblumen vor sein Geschäft, das war ein schöner Anblick, Menschen hielten an, redeten mit ihm, Wolfgang gehörte zum Kiez.
Und er schminkte sich gern, trug Röcke, Blusen, hohe Schuhe, kaufte sich immer mehr davon, entwickelte seinen Stil. Aber so ging er nie hinaus. Das behielt er ganz für sich. Und hörte Beethoven, trank seinen Wein und malte seine Bilder.
Gefäßerkrankung, Hirnblutung, Demenz, Wolfgang konnte schließlich kaum noch laufen. Doch ihn von seinem Atelier, seinen Bildern, seinem freien Leben trennen? Unmöglich. „Das er hier gestorben ist, war der einzige richtig Weg, zwischen seinen Bildern und seinen Klamotten“, sagt seine Tochter.
In den Wochen nach seinem Tod legten die Nachbarn Blumen vor die Tür.
So sehr vertiefte er sich ins Malen, dass er vergaß, zu essen, zu schlafen, rauszugehen, Geld zu verdienen.
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