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Berlin: Neid, Missgunst und andere Unappetitlichkeiten

Das Kunsthaus Tacheles versinkt im Grabenkrieg der Bewohner, die sich mit Räumungsklagen und Strafanzeigen überziehen

Was sie eint, ist die Scham. Ansonsten eint sie nichts mehr. Sie schämen sich schrecklich für das Tacheles, die Tachelesen. Der Vorstand schämt sich, die Künstler schämen sich noch mehr, und die Gründungsmitglieder würden am liebsten vor Scham im Boden versinken. Das Tacheles, ein großer Abenteuerspielplatz für überspannte Egomanen, die sich gegenseitig vor den Kadi zerren – das scheint übrig geblieben von der Utopie eines offenen Kunsthauses ohne Konkurrenz und Kommerz. Zur Lage passt die aktuelle Ausstellung der „Nacht-Galerie“ im 5. Stock. Ihr programmatischer Titel: „Vom Dilettanten zum Genie und zurück“.

„Erst kämpft man gegen seine Feinde, dann schlachtet man sich selbst“, sagt Kemal Cantürk, Metallkünstler, Gründungsmitglied und kraft seiner 52 Jahre sowas wie der Alterspräsident des Hauses. Früher waren sie alle befreundet, vertrauten sich gegenseitig, verteidigten ihre künstlerische Freiheit gegen die Gesetze der Ökonomie. Seit zwei Jahren ist das vorbei. Ludwig Eben, der Betreiber des Cafés Zapata im Erdgeschoss, fing an zu misstrauen. Er wollte wissen, was der Tacheles-Verein eigentlich mit dem Geld macht, das er einnimmt. Er wollte Betriebskostenabrechnungen und Finanzpläne sehen. Darauf war der Vereinsvorstand nicht vorbereitet. Sowas brauchte man nicht, als man nach der Wende zusammen das Haus besetzte. Damals galt das Credo: Wer ständig an Geld denkt, hat die Freiheit zu denken verloren.

Das Tacheles ist eine Zweiklassengesellschaft. Es gibt die Künstler und die so genannten „Gewerbetreibenden“. Letztere sind eigentlich auch Künstler, können aber von ihrer Kunst leben und stehen deshalb unter dem Verdacht, kommerziell zu denken. Die Gewerbetreibenden müssen Miete zahlen, die Künstler nicht. Diese Quersubventionierung ist in der Satzung des Vereins festgeschrieben und wird von niemandem kritisiert. Ludwig Eben, selbst Gründungsmitglied, glaubt allerdings, dass der Vereinsvorstand seit Jahren in die eigene Tasche wirtschaftet und die Kontrolle durch Vereinsmitglieder und -beirat systematisch unterläuft. Der Vorstand sei ein „stalinistisches Kommando, das die Demokratie unterdrückt“.

Er habe Einblick genommen in Kassenbücher und „Cash-Flow-Listen“, sagt Eben. Daraus gehe hervor, dass satzungswidrig Geschäftsführergehälter und Provisionen an die Mitglieder des Vorstands gezahlt wurden. Außerdem habe der Verein jahrelang ohne Konzession eine Bar betrieben, die jährlich 260 000 Euro umsetzte. Diese hauseigene Konkurrenz wollte Eben nicht länger unterstützen, erstattete Anzeige beim Wirtschaftsamt und stellte seine Mietzahlungen ein. Im Gegenzug strengte der Verein eine Räumungsklage an. Seit Monaten werden immer neue Mitglieder-Versammlungen einberufen, die meistens in einer Farce enden. Es gibt drei konkurrierende Vorstände, die sich gegenseitig juristisch beharken. Pamphlete kleben an den Flurwänden, Hausverbote werden ausgesprochen. Die Atmosphäre ist vergiftet. Die Angst geht um, es könne bald Schluss sein mit dem Tacheles.

Martin Reiter, der Sprecher des „alten“ Vorstands, weist alle Vorwürfe weit von sich. Eben sei ein Opfer seiner eigenen Misswirtschaft. Er kämpfe um seine Existenz, was er, Reiter, irgendwie auch verstehen könne. Der gebürtige Österreicher ist als Künstler Mitte der 90er Jahre ins Tacheles gekommen. Nebenbei arbeitete er zusammen mit Eben im Zapata. 1999 wurde er in den Vorstand gewählt und verhandelte mit dem Eigner, der Fundus-Gruppe, über Sanierung und Mietkonditionen. Durchaus mit Erfolg, wie ihm selbst seine Gegner bescheinigen. Das Tacheles zahlt für das gesamte Haus eine symbolische Monatsmiete von 50 Cent.

Eine Räumungsklage hat inzwischen auch Hüseyin Arda am Hals. Arda betreibt die zweite Metallwerkstatt im Erdgeschoss und gehört zur Klasse der Gewerbetreibenden. Wie Eben forderte er genaue Betriebskostenabrechnungen und zahlt keine Miete mehr. „Es geht nicht primär ums Geld, sondern um die Kunst.“ Seit 1999 sei vom Verein kein ernst zu nehmendes Projekt mehr angeschoben worden. Das Haus leide an akuter Visionslosigkeit. Ihm sei es nur noch peinlich, wenn er sich außerhalb des Hauses als Tachelese oute. „Wir werden nur noch belächelt.“ Ausziehen will er trotzdem nicht. „Ich glaube, dass das Tacheles eine blühende Zukunft hat.“

Irgendwie glaubt das auch Reiter. „Der Konflikt bringt das Haus nach vorn.“ Man muss sich das wohl wie eine Katharsis vorstellen. Er sehe die Sache inzwischen „ein bisserl von der lustigen Seite“, sagt Reiter. Am vergangenen Donnerstag ist er in die Offensive gegangen. Zur künstlerischen Aufarbeitung der Tacheles-Selbstzerfleischung startete die Ausstellung: „Die wahrheit und nix als die WAR-heit." Untertitel: „neid/missgunst/angst/korruption/kleinstgewerbe und andere unappetitlichkeiten“.

Öffnungszeiten der Ausstellungen im Tacheles-Büro erfragen, Tel. 282 61 85

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