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Das B-Part am Gleisdreieckpark hat zwar einen Lift für Rollstuhlfahrer. Aber der ist an einem Hintereingang.

© Doris Spiekermann-Klaas

Neubauten in Berlin: Barrierefreiheit bleibt oft auf der Strecke

Noch immer werden Neubauten in Berlin ohne barrierefreien Zugang eröffnet – trotz entsprechender Vorschriften. Doch für Konsequenzen fehlt oft das Personal.

Von Sandra Dassler

Die Homepage wirbt mit Superlativen: Hier am preisgekrönten Gleisdreieckpark sei mit dem kürzlich eröffneten B-Part ein Labor für das ideale Stadtquartier entstanden, heißt es da: „Auf 1000 Quadratmetern bietet das temporäre Holzgebäude . . . Grund für Gründer und alle, die die Lebens- und Arbeitswelten von morgen erleben, erforschen und mitgestalten möchten.“

„Von wegen“, sagt Wolfgang Linsenhoff. „Hier können keineswegs alle mitgestalten. Ausgeschlossen sind bislang auf jeden Fall viele Menschen mit Behinderung, denn die finden keinen barrierefreien Zugang – trotz entsprechender Vorschriften für Neubauten.“

Immer wenn er am Gebäude vorbeifährt, ärgert sich Linsenhoff. Zum einen, weil seine Frau gern einmal das B-Part besucht hätte, dies aber im Rollstuhl, auf den sie seit Jahren angewiesen ist, einfach nicht möglich schien. Zum anderen, weil er selbst lange Jahre als Architekt gearbeitet hat. „Ich habe vor allem Schulneubauten in Brandenburg betreut“, erzählt er. „Da war es selbstverständlich, dass auch die Behinderten-Belange eingehalten wurden, bevor man ein Gebäude eröffnete.“

In Berlin erlebe er derzeit aber anderes. „Leider ist die allgemeine Auffassung, das Problem der Barrierefreiheit sei mit der gesetzlichen Einführung entsprechender DIN-Normen gelöst“, sagt er. „In Wahrheit werden hier in der Hauptstadt aber zahlreiche Bauten eröffnet, ohne dass der behindertengerechte Zugang hergestellt wurde. Erst wenn – wie etwa bei der Grimm-Bibliothek – die Öffentlichkeit heftig protestiert, passiert etwas.“

Öffentlicher Protest regt Änderungen an

Tatsächlich gab es vor mehr als acht Jahren viele Proteste, weil das Jacob-und-Wilhelm-Grimm-Zentrum, die neue Vorzeigebibliothek der Humboldt-Universität, auch Monate nach der Eröffnung noch zahlreiche Barrieren aufwies, die für Menschen mit Behinderung unüberwindbar waren. Irgendwann wurde zwar nachgerüstet, doch „wenn barrierefreies Bauen durch Proteste von Betroffenen erzwungen werden muss, ist etwas faul am System“, meint Wolfgang Linsenhoff.

Dabei sei das Problem durchaus bekannt. „Der damalige Berliner Landesbeauftragte für Menschen mit Behinderung sagte mir schon vor Jahren, dass es für eine wirksame Kontrolle der Vorschriften zur Barrierefreiheit einfach kein Personal gibt“, erzählt er. Damals ging es um die fehlende Rampe für Besucher einer Bestattungshalle in Treptow.

Problem mit Vorgeschichte

Die derzeitige Landesbeauftragte für Menschen mit Behinderung, Christine Braunert-Rümenapf, bestätigt die Aussage ihres Vorgängers. „Das ist ein Missstand, der eine längere Geschichte hat“, sagt sie. „Seit etwa den Jahren 2006, 2007 gibt es in Deutschland verstärkt das Bestreben, die manchmal sehr komplexen Bauordnungen zu deregulieren.“ Und wie so oft fielen solchen Deregulierungen vor allem die Schwächsten der Gesellschaft zum Opfer.

Während der Brandschutz höchste Priorität habe, werde der barrierefreie Zugang schon einmal vermeintlich vergessen. Sie könne nur immer wieder auf die Missstände aufmerksam machen, sagt Christine Braunert-Rümenapf. „Ich habe als Landesbeauftragte kein Weisungs- oder Vetorecht, wenn es um neue Gesetze oder Vorschriften geht, ich kann lediglich eine Stellungnahme abgeben.“

Nicht alle Bauenden halten sich an Regeln

Das tut sie ebenso wie die Beauftragten für Menschen mit Behinderung in den einzelnen Bezirken. Dennoch muss sie konstatieren, dass inzwischen zwar das Problembewusstsein gestiegen sei, dies aber noch lange nicht heiße, „dass sich schon alle Bauenden daran halten“. Das beginne schon bei deren Ausbildung, sagt Braunert-Rümenapf. „Wichtig wäre zum Beispiel, dass Barrierefreiheit an den Hochschulen nicht nur ein Wahlpflichtfach ist.“

Noch wichtiger sei allerdings die Kontrolle der gesetzlichen Vorschriften in Sachen Barrierefreiheit. Und da sieht es – wie so oft in Berlin – nicht gut aus. Bei der Architektenkammer kennt man das Problem nur zu gut, und auch im Abgeordnetenhaus ist es hinreichend bekannt.

Es fehlt Personal

Erst zu Beginn dieses Jahres wurde die Anfrage des FDP-Abgeordneten Bernd Schlömer nach der personellen Ausstattung der Bauaufsicht im Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg wie folgt beantwortet: „Durch den jahrelangen Stellenabbau ist die Personalsituation der Bauaufsicht generell angespannt… Die Aufgaben müssen priorisiert werden…“. Daraus folge unter anderem, dass Verstöße gegen erhaltungsrechtliche Auflagen nicht geahndet und „Ordnungswidrigkeitsverfahren sowie das Controlling nicht durchgeführt werden“.

Auch im Fall des B-Part am Gleisdreieck war nie kontrolliert worden, inwieweit der vorgeschriebene barrierefreie Zugang in Form einer Rampe vorhanden war. Die Aufnahme der Nutzung sei am 20. Februar ohne Einschränkung hinsichtlich einer Ausführung ohne barrierefreien Zugang angezeigt worden, hieß es aus dem Bezirksamt Friedrichshain-Kreuzberg. Das sei gemäß Paragraf 83 der Berliner Bauordnung die Pflicht des Bauherren. Keine Pflicht sei hingegen die „Durchführung von Bauüberwachungen durch die Bauaufsicht. Somit kann nicht ausgeschlossen werden, dass … bei Bauvorhaben die Nutzung aufgenommen wird, ohne dass der barrierefreie Zugang hergestellt wurde.“

Ganz Berlin betroffen

Das betrifft die gesamte Hauptstadt, sagt die Landesbeauftragte für Menschen mit Behinderung: „Die dünne Personaldecke in Friedrichshain-Kreuzberg ist kein Einzelbeispiel in Berlin, in anderen Bezirken sieht es meines Wissens nicht besser aus. Die Ämter sind einfach nicht in der Lage, flächendeckend zu kontrollieren, sondern können lediglich auf Beschwerden beziehungsweise Anfragen reagieren.“ Das wird jetzt auch die Bauaufsicht in Friedrichshain-Kreuzberg tun und kurzfristig Kontakt mit den Verantwortlichen aufnehmen, hieß es.

Die B-Part-Initiatoren weisen die Kritik allerdings zurück. Es stimme zwar, dass der eigentlich barrierefreie Zugang über eine Rampe vom Park aus noch nicht fertig sei, man könne das Gebäude samt Terrasse aber von einer Privatstraße aus mit einem Außenlift 100 Prozent barrierefrei erreichen. Zudem gebe es im Inneren einen Lift, der in die erste Etage führt, sowie ein barrierefreies WC im Erdgeschoss.

Wolfgang Linsenhoff überzeugt das nicht. „Wenn da ein Lift an einem Hintereingang ist, wo ihn keiner vermutet und auf den auch kein Schild hinweist, ist vielleicht eine Vorschrift erfüllt, aber kein funktionierender Zugang geschaffen“, sagt er. „Und wenn niemand schaut, ob die Bau-Auflagen erfüllt sind, kann doch irgendwas nicht stimmen – egal, ob sich am B-Part jetzt noch etwas tut, oder nicht.“ Das versprechen die Initiatoren zumindest. Spätestens Ende August soll die „richtige“ Rampe eingebaut sein. Diesem Teil ihres Slogans bleiben sie treu: „Stadt, Leben, Arbeit: Alles ändert sich. Oder wir ändern es selbst.“

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