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Berlin: Nur Verlierer beim Streik

Warum der Arbeitskampf der Ärzte keiner Seite nützt

Hat Berlin zu viele Arztpraxen? Ja, sagen die Krankenkassen. Nein, sagen Ärztevertreter. Beide Seiten hatten gehofft, der Streik würde ihre Position stärken. Wenn 20 Prozent der Praxen dichtmachen, dann werden die Patienten schon merken, wie wichtig jede einzelne ist, so das Kalkül der Ärzte-Funktionäre. Die Krankenkassen konterten: Es gebe sowieso in Berlin 1000 Praxen mehr als gebraucht werden. Für beide lief es nicht gut. Für die Ärztevertreter, weil nur wenige Kollegen mitstreiken. Für die Kassen, weil ihnen ein Argument für die Reduzierung der Praxen genommen wurde.

Tatsächlich ist in Berlin die Arztdichte sehr hoch. Während in Flächenländern wie Brandenburg längst die Angst vor einem Medizinermangel umgeht, ist es in Berlin nicht schwer, einen Augenarzt oder einen Orthopäden zu finden. Der starke Konkurrenzdruck sei auch einer der Gründe, wieso sich so wenige Ärzte an den Praxisschließungen beteiligten, sagen Insider. Die gute Versorgung lässt sich auch in Zahlen fassen. Bei nahezu allen Fachgruppen gibt es eine Überversorgung. So haben sich in Pankow mehr als doppelt so viele Chirurgen niedergelassen, wie nach der Definition von Kassen und Ärzten notwendig wären. Das gleiche gilt für Kinderärzte in Lichtenberg-Hohenschönhausen. In Mitte liegt die Versorgungsdichte mit Hautärzten bei 142 Prozent. Und für Chirurgen, Hals-Nasen-Ohren- und Kinderärzte gibt es keinen freien Arztsitz mehr.

Im Kampf gegen „Überversorgung“ geht es den Kassen weniger um die Zahl der Ärzte. Da der Honorartopf pauschal mit der KV ausgehandelt wird, die dann das Geld auf die Ärzte verteilt, sparten die Kassen keinen Cent, wenn es weniger Praxen gäbe. Der Spareffekt stellt sich über geringere Verschreibungen ein. Die simple Rechnung: Je weniger Ärzte, desto weniger verschriebene Arzneien.

Die Krankenkassen haben keine Möglichkeiten, Medizinern ihre Behandlungsräume wegzunehmen. Denn die Ärzte genießen einen Vertrauensschutz, weil die Praxis auch Teil ihrer Altersvorsorge ist. Trotz Überversorgung sind die Wartezimmer fast immer gut gefüllt. „Der Bedarf ist da“, sagt die Sprecherin der Kassenärztlichen Vereinigung (KV), Annette Kurth. Genau das bezweifeln die Versicherungen. „Die Mediziner schaffen sich ihren Bedarf selbst“, sagt Andreas Kniesche, Sprecher der Berliner Ersatzkassen. Dazu gehöre, dass der Arzt einen Patienten immer wieder einbestellt. Das sei normal, sagt Kniesche. Schließlich müssten sich teure medizinische Geräte amortisieren. „Wir sparen den Kassen Geld“, halten die Ärzte dagegen. Berlin steht bei den Krankenhauseinweisungen an drittletzter Stelle aller Bundesländer – ein Verdienst der vielen ambulanten Fachärzte, glauben Funktionäre. Allein in dem dichten Netz von Schwerpunktpraxen – etwa für die HIV- oder Krebstherapie – werden viele Patienten ambulant versorgt, die man in anderen Bundesländern während eines stationären Klinikaufenthalts behandelte.

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