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Sie kann nicht einfach zu Hause bleiben. Laura von Wimmersperg, 82, kämpft unermüdlich für den Frieden. Die „soziale Lage“ sei nicht danach, dass mehr Menschen sich engagierten, sagt sie.

© Thilo Rückeis

Ostermärsche in Berlin: Eine Frau kämpft für den Frieden

Seit 1980 gehen in Berlin Friedensaktivisten Ostern auf die Straße. Laura von Wimmersperg war von Anfang an dabei. Als Netzwerkerin versucht sie, andere mitzureißen. Das wird immer schwieriger.

Ob sie auch allein losgehen würde? Ach, nein, sagt Laura von Wimmersperg und legt den Kopf schief, nachsichtig lächelnd, um die Dummheit der Frage nicht offenkundig werden zu lassen. „Menschen, die gegen den Krieg sind, gibt es immer“, sagt die alte Dame dann. „Für eine attraktive Mahnwache reicht es allemal.“

Laura von Wimmersperg ist eine klein geratene Frau mit einem großen Lebenspensum. Fröhliche, lebhafte Augen und eine flinke, jugendlich gebliebene Stimme unterstreichen den Elan der 82-Jährigen. Nur wenn sie nachdenkt, verdunkeln sich ihre Züge und bekommen die Strenge der Hauptschullehrerin, die sie war, eine leidenschaftliche Pädagogin. Ihre langen weißen Haare hat sie im Nacken mit einem Zopfband zusammengebunden.

Dem Besuch bei ihr geht die Frage voraus, was jemanden antreibt, seit nunmehr 45 Jahren unermüdlich für die einfachste Botschaft einzutreten, die es gibt: Frieden. Mit denselben Appellen gegen immer wieder neue Kriege zu Felde zu ziehen. Und mit schwindender Gefolgschaft. Das letzte Mal, dass den Friedensinitiativen eine Mobilisierung von Hunderttausenden gelang, war 2003, als die Bush-Regierung gerade ihren Einmarsch in den Irak begonnen hatte. Im vergangenen Jahr demonstrierten in Berlin nur noch zwischen 700 und 1000 Menschen gegen die „westliche Intervention in der Ukraine“.

Museum des Friedens

Aber in Laura von Wimmerspergs Welt gibt es keine Konjunkturen. Krieg ist immer irgendwo. In ihrer großzügigen Schöneberger Wohnung, die sie ihr halbes Leben schon bewohnt, hortet sie die historischen Zeugnisse des Widerstands gegen den Fatalismus – Plakate, Spruchbänder, Flugblätter, Info-Material. Ein Museum des Friedens, für das sich niemand sonst mehr zu interessieren scheint. Warum entmutigt sie das nicht?

Darauf gibt es eine einfache Antwort und eine etwas kompliziertere. Die einfache geht so: Wimmersperg gehört dem Organisationskomitee an, das die Ostermärsche auf den Weg bringt. Da kann sie dann ja schlecht zu Hause bleiben. Es ist schon richtig, dass sie sich dadurch selbst die Verpflichtung zum Weitermachen geschaffen hat. Der andere Teil ihrer Motivation wurzelt tief in ihrem Wesen, und dieser Seite ihrer Person auf die Schliche zu kommen, führt unweigerlich zu dem Satz: „Ich war als junge Frau total unpolitisch.“

Als Mädchen muss Laura von Wimmersperg, geboren 1934 in Berlin, ein von irdischen Dingen ziemlich unberührtes Musengeschöpf gewesen sein, nach dem, was sie darüber heute erzählt. Sie malte, musizierte, schrieb Gedichte und bewahrte sich, während um sie herum die Welt in Finsternis versank, in allem Schönen das kindliche Gemüt.

Viele glaubten nicht, was in Vietnam passierte

„Vater ist auf Geschäftsreise in Auschwitz“, hörte sie die Mutter sagen. Er war bei einer Baufirma tätig, das Parteiabzeichen am Revers. Sie war ein Vaterkind.

Es folgten die Flucht von Breslau in den Westen und der frühe Tod des Vaters, dessen schmale Konstitution für die harte Nachkriegszeit nicht gemacht war. Sie weiß noch, wie sie sich 1946 in das Zimmer des an Tuberkulose gestorbenen Mannes schlich und dem Toten Blümchen auf die gefalteten Hände legte. Danach erkrankte auch sie. Als hätte sich etwas Bösartiges auf die Tochter übertragen.

Lange wusste Laura von Wimmersperg nichts davon. Die Tuberkulose brach nur immer wieder aus. Als 1968 in Berlin eine große Friedensdemonstration unter dem Eindruck des Anschlags auf den Studentenführer Rudi Dutschke zum Massenspektakel wurde, nahm ein Freund sie mit. Aber damals habe sie nicht geglaubt, dass die Amerikaner in Vietnam Napalm einsetzten, sagt sie. Was sie im Nachhinein ihr „Bildzeitungswissen“ nennt. Viele Deutsche glaubten es nicht. War es nicht auch zu ungeheuerlich?

„Ich habe über den Kapitalismus keine Illusionen“

Aus dem eigenen Leben zu verbannen, was nicht sein darf, ist Ergebnis desselben Unschuldsglaubens, mit dem sie auch ihren Vater bedacht hatte. Erst ein Buch über Eichmann änderte ihre Haltung. Sie weinte bitterlich über ein Foto, das Juden in Auschwitz dabei zeigte, ihre eigenen Gräber auszuheben, im Vordergrund die Stiefel eines Wehrmachtssoldaten. „Von da an war ich in der Lage, politisch zu arbeiten“, sagt Wimmersperg, das muss 1973 gewesen sein.

Dass sich so etwas wie dieser Krieg, ein Vernichtungskrieg, nicht wiederholen dürfe, ist seither ihr Antrieb. Nimmermüde macht es sie, aber keineswegs rechthaberisch oder verbiestert, selbst wenn sie in Diskussionen immer wieder einen Weg findet, die Amerikaner für militärische Konflikte verantwortlich zu machen.

Eine Linke nennt sie sich, die „Das Kapital“ von Marx „durchgearbeitet“ hat und sagt: „Ich habe über den Kapitalismus keine Illusionen.“ Mitglied der SEW, einer West-Berliner Splitterpartei der SED, war sie auch und damit leidenschaftlich der Vorstellung verhaftet, dass Kriege aus wirtschaftlichen Gründen angezettelt und geführt werden: „Die Menschen wollen keine Kriege, sie sind die Verlierer. Es gibt andere, die daran verdienen.“

Am Anfang trieb sie der Nato-Nachrüstungsbeschluss auf die Straße. Überall bildeten sich 1980 „Innis“, Friedensinitiativen, in Sportvereinen, bei den Gewerkschaften, in Kirchen, jeder Berliner Bezirk hatte bald eine, und sie alle benötigten eine Terminbörse zur Koordination ihrer Aktionen. Das war Wimmerspergs Aufgabe. Von ihren Hauptschülern war durchaus Toleranz gefordert. „Leute“, mussten die hören, „ich kann nicht auf Klassenfahrt gehen, wir haben doch diese große Aktion.“ Tja, so war das. Lange her. Aber wie sehr es auf die Gesellschaft ausstrahlte? „Niemand ging damals auf die Straße, außer Hausbesetzer oder irgendwelche Anarchos und am 1. Mai die Gewerkschaften. Durch die Friedensbewegung der 80er hat sich das demokratische Erleben entwickelt.“

Friedensbewegung blieb Randerscheinung

Das ist richtig. Demonstrationen und ziviler Ungehorsam sind Teil der politischen Kultur geworden. Doch mit ihren politischen Überzeugungen blieb die Friedensbewegung eine Randerscheinung. Ihr Problem ist, dass sie als Massenphänomen ein Produkt der Angst ist – und damit Teil des Szenarios der militärischen Abschreckung, gegen das sie sich zu wenden glaubt. Als sich nach dem Fall der Mauer die Furcht vor der „atomaren Apokalypse“ als unbegründet erwies, weil der Kalte Krieg nicht durch einen Atompilz entschieden wurde, zerfiel das alte pazifistische Erklärungsmodell. Gut und Böse sind nicht mehr so einfach voneinander zu unterscheiden, was besonders der syrische Bürgerkrieg offenbart. Doch Friedensaktivisten halten am alten, einseitigen Erklärungsmuster einer militärischen Profitgier fest. Dabei werden Geschäfte immer und überall abgewickelt, ob nun durch einen Krieg oder durch keinen.

So bleiben die alten Friedensaktivisten heute bei ihren Diskussionen meist unter sich. Die „soziale Lage“ sei nicht danach, dass mehr Menschen sich engagierten, meint Wimmersperg. Junge Menschen finden offenbar wenig Reiz darin, in einem Stuhlkreis sitzend Konsensbeschlüsse zu fassen, die ja nur möglich sind, weil die Teilnehmer in fast allem übereinstimmen. Umso erbitterter wird dann über Details gestritten.

„Es sind ja winzige Schritte, die wir machen“, findet Wimmersperg, und wenn sie bei diesen Worten ein wenig traurig aussieht, dann trügt der Schein. Es gibt auch Momente, die ihr richtig Spaß machen. Sie höre oft den Satz: Gut, dass es Sie gibt.

Der Berliner Ostermarsch startet am Sonnabend, 12 Uhr, vom Hermannplatz.

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