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Passagiere berichten von turbulentem Ryanair-Flug: „Das war keine popelige Zwischenlandung, sondern eine bedrohliche Situation“
Auf dem Weg nach Berlin muss ein Flugzeug sicherheitsbedingt zwischenlanden. Später kritisieren Passagiere die Krisenkommunikation der Fluggesellschaft Ryanair. Eine Flugangst-Expertin ordnet den Fall ein.
Stand:
Für zahlreiche Mallorca-Reisende endete am vergangenen Montagabend der Urlaub mit Schrecken: Weil es während des Rückfluges von der spanischen Ferieninsel nach Berlin plötzlich zu einer Rauchentwicklung kam, hatte ihr Flugzeug eine ungeplante Zwischenlandung im südfranzösischen Marseille hinlegen müssen.
Der Bericht auf der Tagesspiegel-Seite war auf großes Interesse gestoßen – auch bei Passagieren des von der irischen Fluggesellschaft Ryanair durchgeführten Fluges FR111. Nun hat der Tagesspiegel mit Betroffenen gesprochen, die auf eigenen Wunsch anonym bleiben wollen.
Die wichtigsten Nachrichten vorweg: Nach einer mehrstündigen Odyssee landeten die Passagiere schließlich am Montagabend um 22:42 Uhr sicher in einem von Ryanair organisierten Ersatzflieger auf dem Hauptstadtflughafen Berlin-Brandenburg (BER).
Zudem sind mittlerweile die während des Fluges aufgetretenen Gesundheitsprobleme bei den der Redaktion bekannten Personen verschwunden.
Noch am Dienstag – also dem Tag nach der Landung – hatte dies noch anders ausgesehen. „Bis gestern hatte ich noch eine Atemwegsreizung und Kopfschmerzen“, berichtet eine Passagierin. „Mein Sitznachbar hat mir geschrieben, dass er auch noch bis gestern Halsschmerzen hatte.“
Zwar ist unklar, worin die Symptome tatsächlich gründen. Allerdings waren diese tags zuvor zeitgleich offenbar bei mehreren Passagieren aufgetreten – während des Zwischenfalls an Bord von Flug FR111.
„Das sah aus wie der Nebel von Trockeneis“
Was war passiert? Den übereinstimmenden Angaben der Passagiere zufolge befand sich der Airbus A320-232 der Ryanair-Schwestergesellschaft Laudamotion nicht einmal eine Stunde in der Luft, als plötzlich die Beleuchtung in der Kabine ausgefallen sei.
„Das sorgte bei mir und meinen Sitznachbarn für große Verunsicherung“, sagt ein Passagier, der im vorderen Bereich des Flugzeugs saß. Er leidet unter Flugangst. Dann hätten er und die anderen Passagiere bemerkt, wie „bei einem sichtlich blassen Flugbegleiter der Blutdruck gemessen“ worden sei.
„Wenige Augenblicke später wurde uns über die Lautsprecher mitgeteilt, dass Rauch beziehungsweise Dämpfe im Flugzeug festgestellt worden seien und sich sowohl die Crew als auch die Piloten schwindelig fühlten“ berichtet der Passagier weiter.
Zudem sei über eine bevorstehende Zwischenlandung in Marseille informiert worden. Die Ansage erfolgte den Angaben zufolge lediglich auf Englisch. „Viele haben das gar nicht verstanden“, sagt eine Passagierin aus dem hinteren Teil der Maschine.
Gerade unsichere Fluggäste benötigen überzeugendes Fachwissen.
Karin Bonner, Diplompsychologin und Flugangst-Expertin
Währenddessen seien rechts wie links in der gesamten Kabine aus Spalten unterhalb der Gepäckablage sichtbare Dämpfe ausgetreten. „Das sah aus wie der Nebel von Trockeneis“, sagt sie.
„Und es war beängstigend, weil nicht klar war, was das ist.“ Sie habe plötzlich am ganzen Körper geschwitzt. Sauerstoffmasken, die ohnehin vornehmlich bei Druckabfall eingesetzt werden, seien nicht heruntergefallen.
Atemwegsreizungen, brennende Augen, Benommenheitsgefühl
Gemurmel, aufgebrachte Fragen, Schweißausbrüche: Die allgemeine Verunsicherung sei gewachsen, als bei immer mehr Passagieren – vornehmlich im vorderen Flugzeugbereich – plötzlich Symptome wie Atemwegsreizungen, brennende Augen oder ein Benommenheitsgefühl aufgetreten seien.

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„Wir haben einen stark gasartigen Geruch wahrgenommen, der bei vielen – auch bei mir – zu spürbaren Atemwegsbeschwerden führte“, sagt ein Passagier. „Es erfolgte keine klare Information darüber, woher dieser Geruch kam. Das war äußerst beunruhigend.“
Auch seine hier zu Beginn zitierte Sitznachbarin bestätigt dieses Gefühl. „Das riecht komisch, dachte ich“, sagt sie. Als sie ein Halskratzen verspürte, habe sie Angst bekommen und gedacht: „Wer weiß, was wir hier gerade einatmen.“
Ryanair-Erklärung sorgt für Unmut
Die Fluggesellschaft Ryanair hat sich auf wiederholte Tagesspiegel-Anfrage nicht zu den genauen Umständen an Bord sowie zur Kritik an der dortigen Kommunikation geäußert.
Der Lauda-Flug von Palma de Mallorca nach Berlin wurde aufgrund eines kleinen technischen Problems mit dem Flugzeug zum Flughafen Marseille umgeleitet.
Ryanair-Statement auf Tagesspiegel-Anfrage
In einer Antwort vom Dienstag teilte sie lediglich mit, die Umleitung über Marseille sei aufgrund eines „kleinen technischen Problems am Flugzeug“ erfolgt. „Wir entschuldigen uns aufrichtig bei den Passagieren für die Unannehmlichkeiten“, erklärte Ryanair.
Bei den Passagieren sorgt diese Einordnung für Unmut. „Das war keine popelige Zwischenlandung, sondern eine bedrohliche Situation“, empört sich die Passagierin aus dem vorderen Sitzbereich.
Zwar sei der Vorfall mit etwas Abstand mutmaßlich nicht lebensbedrohlich gewesen. „Rückblickend finde ich aber schlimm, dass die Crew offensichtlich selbst mit der Krise überfordert war und deshalb nicht gut kommuniziert hat“, sagt sie. „Dadurch kamen bei uns viele Ängste hoch.“
Flugangst-Expertin sieht fliegerisch professionelle Vorgehensweise
Ebenjene Ängste seien aus Sicht der Diplompsychologin Karin Bonner unbedingt ernst zu nehmen. „Als Laie und als Passagier fühlt man sich schnell einer Situation ausgesetzt und vermisst das Gefühl, Kontrolle ausüben zu können“, sagt sie dem Tagesspiegel.
Bonner, die unter anderem Flugbegleiterin bei der Lufthansa ist, bietet seit mehr als 20 Jahren in enger Zusammenarbeit mit der größten deutschen Airline Seminare zur Bewältigung von Flugangst an.
„Gerade unsichere Fluggäste benötigen überzeugendes Fachwissen“, führt sie weiter aus und betont, dass in Fällen wie bei FR111 Antworten aus erster Hand – etwa durch einen erfahrenen Piloten – wichtig seien.
„Werden die offenen Fragen nicht korrekt beantwortet, kann sich daraus eine Flugangst entwickeln oder eine bestehende Flugangst dazu führen, dass Gäste nicht mehr fliegen“, so Bonner.
Allerdings betont die Flugangsttrainerin, dass es aus der Ferne betrachtet im Fall von Flug FR111 aus fliegerischer Sicht keine Beanstandungen gebe. Sowohl die Sicherheitslandung als auch der Maschinentausch und nicht zuletzt die sichere Landung in Berlin sprächen für eine professionelle Vorgehensweise.
Auch die Formulierung von Ryanair von einem „kleinen technischen Problem“ bezeichnet Bonner als typisch für eine Airline, da solche Sicherheitslandungen technisch akribisch untersucht würden.
„Ich kann aber gut verstehen, dass die betroffenen Gäste diese Formulierung in hoher Diskrepanz zu ihren Gefühlen empfinden“, sagt Bonner. Es handle sich psychologisch gesehen daher wohl um „ein technisches Problem mit leider großen Auswirkungen auf die Gäste“.
„Wir hatten alle den Eindruck, man wolle die Situation herunterspielen“
Ebenjene Auswirkungen haben sich im Fall der Reisenden an Bord von Flug FR111 offenbar noch verstärkt. Selbst nach der turbulenten Sicherheitslandung gegen 18:30 Uhr in Marseille seien der anderen Passagierin zufolge kaum Informationen an Bord durchgegeben worden. „Ich wäre am liebsten ausgestiegen“, erinnert sich die Passagierin.
Die Fluggäste hätten vorerst aber an Bord bleiben müssen – Feuerwehrleute untersuchten den Ferienflieger zunächst für etwa 20 Minuten, dann erschien medizinisches Personal.
Das sei zunächst zwar beruhigend gewesen, sagt der Passagier aus dem vorderen Bereich. „Die Checks waren allerdings sehr oberflächlich“, beklagt er. „Und auf unsere Nachfragen reagierte man abweisend – mit dem Hinweis, wir kämen doch aus Mallorca, da hätten wir sicher Alkohol getrunken oder geraucht.“
Auch seine Sitznachbarin moniert, die Rettungssanitäter hätten die Passagiere mit den erst auf dem Flug aufgetretenen Symptomen nicht ernst genommen. „Wir hatten alle den Eindruck, man wolle die Situation herunterspielen.“
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