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Berlin: Piraten im Schnelltest

Drei Minuten pro Kandidat, dann viele Fragen: Die Jung-Partei sucht Leute für den Bundestag.

Nett hier an der Piraten-Basis, wenn auch kalt. Im „Kinski“ in der Neuköllner Friedelstraße schaffen es die Laptops und Smartphones eines guten Piraten-Dutzends am Dienstagabend nicht , die Lokalität auf eine angenehme Betriebstemperatur zu erwärmen. Zerkratzter Putz, Ölgemälde, Möbel aus den Sechzigern und Siebzigern, Bier verschiedenster Sorten und Club-Mate: Das ist das Kreuzköllner Ausgeh- und Zusammentreff-Ambiente, in dem die Berliner Piraten ihre Kandidaten für die Bundestagswahl testen.

Weil die Kandidatin Nummer eins am Dienstagabend keinen Rauch verträgt, Piraten aber einander und den das Kinski-Hinterzimmer zurauchenden Nicht- Piraten mit einer fast schmerzhaft großen Toleranz begegnen, bleibt die Tür auf und nächtliche Eiseskälte kriecht herein. Seit Anfang Januar geht das so, im Kinski und an anderen Orten: An zwei Abenden in der Woche stellen sich je drei Frauen und Männer vor, die für die Piraten in den Bundestag einziehen wollen. An die 30 wollen sich am 23. und 24. Februar bei der „Aufstellungsversammlung“ auf die Landesliste und im September in den Bundestag wählen lassen. Und weil die Piraten noch immer die transparentesten Politiker sind, gehört zur Kandidatur eine ausführliche Selbstdarstellung ins Netz gestellt.

Zwei Frauen und ein Mann durchlaufen am Dienstagabend das politische Assessmentcenter vor der kleinen, engagierten, netten Basis. Das nämlich fällt zuallererst auf bei dieser politischen Versammlung neuen Stils: Sie fühlt sich ein wenig an wie eine private Geburtstagsfeier mitten in der Woche in einer Altbauküche: Man kennt sich, man duzt sich, man umarmt sich, man will einen netten Abend haben. Von Konkurrenz, von politischen Lagern, die ihre Leute durchbringen wollen, ist nichts zu spüren. Zum Piratenlebensgefühl scheint noch immer zu gehören, dass man sich im Schwarm wohlfühlt und froh ist, mit Gleichgesinnten Projekte und Papiere machen zu können.

Kandidatin Cornelia Otto hat die ersten drei Minuten des Abends, um über sich und ihre Vorstellungen von Politik zu sprechen, bevor das Publikum dann zwanzig Minuten zum Fragen nutzt. Sie ist 38, studiert noch mal, wie sie sagt, möchte gern in den Finanzausschuss des Bundestages und beschreibt ihre theoretische Prägung mit „eher Bourdieu“ als die Wirtschaftstheoretiker. Der „Gemeinwohlökonomie“ von Christian Felber kann sie etwas abgewinnen – nett und wohlmeinend mit sich und der Welt, wie die Piraten sind, finden sie alles gut, was mehr Teilhabe, Existenzsicherheit, Gerechtigkeit verspricht. Es hört und fühlt sich an wie bei den linken Grünen, als die jung waren. Kaum hat Cornelia Otto ihre zwanzig Minuten hinter sich, steht eine Parteifreundin bei ihr, die Flasche Club-Mate wie ein Kleinkind in der linken Armbeuge, um mit der Kandidatin über Wirtschaft, Zukunft, die Grenzen des Wachstums zu sprechen. „Wir können diesen Lebensstandard nicht halten“, sagt die Frau und verspricht lächelnd: „Es wird überhaupt keine Autos mehr geben.“

Kandidat zwei, Daniel Schweighöfer, ein großer Mann mit freundlichem Blick, einem Ziegenbart und einer großen Bereitschaft, über Politik zu bloggen und zu grübeln, sagt von sich, seine Eltern seien bei den Grünen gewesen. Dass er Pirat geworden ist, klingt ein wenig wie eine polit-logische Ableitung aus seiner familiären Prägung. Transparenz, Teilhabe, klar, das will er auch, außerdem eine Enquetekommission zu Rollenvorstellungen in Deutschland.

Aber weil die Piraten die Piraten sind, tritt an diesem Abend auch eine Laura Dornheim auf: Unternehmensberaterin, Wirtschaftsfachfrau, selbstbewusst bis zur Selbstzweifellosigkeit und vom Äußeren her wie geschaffen für eine perfekte Performance der Piraten im Fernsehen und überall dort, wo es auf Präsenz und Schnelligkeit ankommt. Wirtschaftspolitisch steht Dornheim für so etwas Nettes wie die Idee des bedingungslosen Grundeinkommens. Werner van Bebber

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