Berlin: Pläne von Scientology bleiben ein Geheimnis
Die Organisation schweigt über ihre Aktivitäten in Berlin. Der Innensenator will keine erneute Beobachtung, die Opposition schon
Konkrete Fragen schätzt der Berliner Scientology-Sprecher nicht besonders – und beantwortet sie deshalb grundsätzlich nicht. „Um wirklich zu verstehen, muss man sich in unserem Informationszentrum fünf, sechs Stunden Zeit nehmen“, sagt Frank Busch. Es ist seine Antwort auf alle Fragen, egal, ob man nach den Sonntagsandachten von Scientology fragt, nach geplanten Werbeaktionen, Nachhilfeunterricht oder Drogenberatung. „Mehr kann ich dazu nicht sagen“, verabschiedet sich Busch knapp.
Am kommenden Sonnabend will Scientology an der Otto-Suhr-Allee ihre neue Hauptstadtrepräsentanz feierlich eröffnen; erwartet werden bis zu 10 000 Gästen. Doch bis heute ist ungewiss, wie die umstrittene Organisation in Berlin künftig auftreten will. Durch das neue Scientology-Zentrum ist auch Innensenator Ehrhart Körting (SPD) in die Kritik geraten. „Jetzt rächt sich, dass in Berlin nach der Einstellung der nachrichtendienstlichen Beobachtung kein neuer Anlauf gestartet wurde, dass der Verfassungsschutz wie in anderen Bundesländern gegenüber Scientology tätig werden kann“, sagt Frank Henkel, der innenpolitische Sprecher der CDU-Fraktion im Abgeordnetenhaus. Auch die FDP fordert, dass Scientology wieder überwacht wird.
Was Innensenator Körting ablehnt, zumal dafür das Berliner Verfassungsschutzgesetz geändert werden müsste. „Ich sehe hier keine Notwendigkeit für eine Gesetzesänderung“, sagt Körting. Der Berliner Verfassungsschutz hatte sich zurückgezogen, nachdem das Verwaltungsgericht 2003 einer Klage von Scientology stattgegeben hatte. Die Berliner Verfassungsschützer hatten damals nicht nachweisen können, dass Scientology – wie vom Berliner Gesetz gefordert – aktiv gegen die Werte im Grundgesetz verstoße. Deshalb setzt Körting im Fall Scientology jetzt eher auf die Aufklärung der Bevölkerung als auf den Verfassungsschutz.
In den meisten anderen Bundesländdern stehen die Anhänger des Scientology-Gründers L. Ron Hubbard weiterhin unter Beobachtung des Verfassungsschutzes. Das Berliner Zentrum fällt jetzt allerdings auch in die Zuständigkeit des Bundesverfassungsschutzes, der die Organisation ebenfalls überwacht.Im jüngsten Verfassungsschutzbericht von 2005 warnt das Bundesinnenministerium vor der Organisation, weil sie die freiheitlich-demokratische Grundordnung und die Menschenrechte nicht immer wahre.
Vor Panikmache hat gestern Andreas Komischke, der Sektenbeauftragte des Erzbistums Berlin, gewarnt. Bislang sei der Einfluss der Organisation auf Politik und Wirtschaft in Deutschland sehr gering. Nach Auffassung von Experten gelten die Berliner als wenig anfällig für die Lehren der Scientologen. Im Gegensatz zu Stuttgart und Hamburg gehen die Experten in Berlin nur von bis zu 200 Anhängern aus. Weil aber immer wieder einzelne Anhänger psychisch und finanziell schwer geschädigt werden, müsse auch an den Berliner Schulen verstärkt Aufklärungsarbeit geleistet werden. Zwei Schulen befinden sich in der direkten Nachbarschaft des neuen Zentrums.
Gefährlich kann Scientology werden, weil sich die Organisation zuweilen hinter einem anderen Namen verbirgt: „Applied Scholastics“ nennt sich eine Organisation, die auch in Berlin Nachhilfe- und Studienkurse angeboten hat – und im Sommer nach kurzer Aufregung wieder in der Versenkung verschwand. „Wir haben seitdem nichts mehr gehört“, sagt Reingard Stein, Sektenexpertin bei der Schulverwaltung. „Narcanon“ nennt sich ein Scientology-Ableger, der Drogenberatungen anbietet. Allerdings sei die Gefahr, unwissentlich Scientology-Mitglied zu werden, ziemlich gering, da sich alle Gruppen auf die Lehren von Hubbard berufen. „Man muss nur mal nachfragen“, sagt Reingard Stein.
Die Anwohner in Charlottenburg jedenfalls reagieren auf ihre neuen Nachbarn und die ewigen Einladungen ins Zentrum bereits jetzt empfindlich. „Die Agenten von Scientology sind schon fleißigst dabei, uns zu umwerben, zu locken und zur Gehirnwäsche zu überreden“, berichtet ein Charlottenburger. Er sei bereits „mehrmals täglich mit Einladungen zur Gehirnwäsche“ belästigt worden.
Woran sich die Charlottenburger wohl in Zukunft gewöhnen müssen. Denn nach den Angaben von Pfarrer Thomas Gandow vom Landeskirchlichen Pfarramt für Sektenfragen gehört dieses „Body-Routing“ – also das Ansprechen vor allem junger Leute auf der Straße – zu den Hauptaktivitäten der Scientologen. „Verkauft werden sollen ,Kommunikationskurse‘, aber auch Erfolgskurse. Mit ,Reinigungskursen‘ soll man angeblich Drogenbelastungen und atomare Schädigungen loswerden“, sagt Gandow. Gefährlich seien diese Angebote vor allem für Jugendliche, die sich bei Scientology schon oft verschuldet hätten und von der Sekte finanziell abhängig geworden seien. Viel schwerwiegender seien allerdings die psychischen Schäden, die die „Gehirnwäsche“ bei labilen Menschen anrichten könnte.