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Podiumsdiskussion zu Judenhass: Deutscher Rechtsstaat nicht wehrhaft genug gegen Antisemitismus
Wie gefährlich ist Antisemitismus für unsere Demokratie? Darauf gab es bei der Podiumsdiskussion der „F.C. Flick-Stiftung“ eine bedrückend eindeutige Antwort.
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Der deutsche Rechtsstaat ist gegenüber dem Antisemitismus immer noch nicht wehrhaft genug. Das hat der baden-württembergische Antisemitismusbeauftragte Michael Blume am Donnerstag bei einer Podiumsdiskussion der Potsdamer „F.C. Flick-Stiftung“ gesagt, die in der Brandenburger Landesvertretung in Berlin stattfand.
„Wir haben das Problem, dass Staatsanwaltschaften quer durch Deutschland die Dinge unterschiedlich bewerten.“ Ein Beispiel sei die Verwendung des gelben Judensterns durch Impfgegner. „Für mich ist ganz klar, dass der Judenstern bei Impfgegnern eine Verhöhnung der Opfer ist und die heutige Demokratie mit dem NS-Regime gleichstellt“, sagte Blume. „Aber es gibt immer noch Staatsanwaltschaften, die das anders sehen.“
Im Bereich der Strafverfolgung würden immer noch Entschuldigungsgründe für die Täter und die Beschuldigten gesucht. „Das ist aber bei Verschwörungsgläubigen das falsche Signal“, erklärte Blume. Eine frühzeitige Bestrafung würde eine weitere Radikalisierung verhindern.
Doch warum fand die Veranstaltung unter der Überschrift „Wie gefährlich ist Antisemitismus für unsere Demokratie?“ überhaupt am Donnerstagabend statt? Immerhin war doch am selben Tag Russland in die Ukraine einmarschiert – gab es da nichts Wichtigeres? „Wir machen die Veranstaltung gerade, weil es so ist, wie es ist“, sagte der Moderator des Abends, Tagesspiegel-Herausgeber Stephan-Andreas Casdorff. „Weil Putin aggressiven völkischen Expansionismus betreibt.“ Es sei wichtig, zu zeigen, dass derartiges Gedankengut immer wieder kommen könne: Das Thema sei offensichtlich „nicht aus der Welt zu bekommen.“
Antisemitismus ist wieder auf dem Vormarsch
Die Leiterin der Brandenburger Landesvertretung, Staatssekretärin Jutta Jahns-Böhm, verwies dann auch darauf, dass noch in vielen gesellschaftlichen Bereichen über den Antisemitismus aufgeklärt werden müsse. „Der Antisemitismus ist leider wieder auf dem Vormarsch“, sagte Jahns-Böhm. In Brandenburg habe es 2020 insgesamt 147 antisemitische Straftaten gegeben. Das Land plant gegenwärtig eine Änderung seiner Verfassung, durch die der Kampf gegen den Antisemitismus zum Staatsziel in der Landesverfassung erklärt werden soll. Die Änderung soll voraussichtlich Ende März vom Landtag in Potsdam beschlossen werden.
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„Wir brauchen eine rechtliche Verankerung“, sagte der Direktor des Potsdamer Abraham-Geiger-Kollegs, Rabbiner Walter Homolka. Die Verfassung böte einen Rahmen, um das Problem des Antisemitismus dauerhaft angehen zu können.
Die Geschäftsführerin der „F.C. Flick-Stiftung“, Susanne Krause-Hinrichs, verwies darauf, dass es unter Schülerinnen und Schülern in Deutschland großes Unwissen über die Kultur und die Geschichte Israels gebe.
Die Vermittlung des Holocausts sei in den vergangenen Jahrzehnten offenbar als „nicht so wichtig“ betrachtet worden. „,Du Jude‘ ist wieder beliebtestes Schimpfwort an den Schulen geworden“, sagte Krause-Hinrichs. Auch deswegen müsse weiter und verstärkt gegen den Antisemitismus gekämpft werden, denn, wie es der bayerische Antisemitismus-Beauftragte Ludwig Spaenle formulierte: „Wer den Kampf gegen den Judenhass aufgibt, gibt sich selber auf.“
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