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Urteil zu Hartz IV: Politiker fordern mehr Hilfe für Kinder

Sozialsenatorin Bluhm fordert eine Erhöhung der Regelsätze, die nicht zu Lasten des Landeshaushalts gehen würde. Jeder dritte Berliner unter 18 Jahren lebt von Hartz-IV.

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Ein folgenträchtiges Urteil für Berlins rund 594 000 Hartz-IV-Empfänger: Die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom Dienstag, die Regelsätze neu berechnen zu müssen, trifft vor allem die Kinder sozial benachteiligter Familien. In der Hauptstadt lebt jedes dritte Kind von Arbeitslosengeld II oder Sozialgeld, insgesamt fast 18 Prozent der Haushalte. Unter den Alleinerziehenden mit mehreren Kindern sind es sogar 88 Prozent. Fast 172 000 Kinder und Jugendliche unter 18 Jahren leben in Berlin von Hartz IV.

„Für die Bundesregierung ist diese Urteil eine heftige Klatsche. Dem Bund wird bescheinigt, nicht seriös das Existenzminimum berechnet zu haben“, sagte Harald Wolf (Linke), Wirtschaftssenator und Bürgermeister von Berlin. Die Linke will die Regelsätze beim Arbeitslosengeld II von 359 auf 500 Euro im Monat anheben. Gleichzeitig soll ein gesetzlicher Mindestlohn von zehn Euro pro Stunde eingeführt werden.

Weil die Berechnung der Regelsätze gegen das Grundgesetz verstößt, müssen die Werte laut Urteil bis Ende des Jahres neu berechnet werden. Besonders die Kinderregelsätze sollen dabei gesondert, transparent und bedarfsgerecht angepasst werden. Die Grundsicherung für alleinstehende Erwachsene beträgt 359 Euro pro Monat. Kinder ab 14 Jahren bekommen mit 287 Euro 80 Prozent des Erwachsenen-Satzes. Für Kinder im Alter zwischen sechs und 13 Jahren sind 251 Euro, für Kinder bis fünf Jahre 215 Euro angesetzt. Ausgezahlt als Hartz IV wird jedoch weniger, weil das Kindergeld angerechnet wird.

Berlins Sozialsenatorin Carola Bluhm (Linke) sprach sich wie ihr Parteifreund Wolf für eine Erhöhung der Hartz-IV-Regelsätze aus. „Es geht nicht nur darum, die Berechnung der Regelsätze transparent zu machen. Es geht ganz klar darum, sie zu erhöhen.“ Eine genaue Zahl kann der Senat jetzt jedoch nicht nennen. Der Regelsatz sei zu niedrig, doch es liege an der Bundesregierung, sich jetzt mit Experten zusammenzusetzen und zu ermitteln, was ein Existenzminimum für Erwachsene und für Kinder bedeute, sagte Sprecherin Karin Rietz. Mehrkosten kommen auf das Land nicht zu, die Regelsätze bezahlt der Bund. Das Land trägt die Kosten der Unterkunft. In 2008 waren das für Berlin 1,4 Milliarden Euro, 28 Prozent übernahm der Bund. In 2009 sind die Kosten leicht gestiegen, abschließende Zahlen liegen laut Sozialverwaltung für Berlin noch nicht vor.

Auch die Direktorin des Diakonischen Werkes Berlin-Brandenburg, Susanne Kahl-Passoth will sich nicht auf einen Betrag festlegen. Sie freut sich darüber, dass der Fokus in Zukunft auf den Kindern liegen soll. „Bei den Kindern muss erst einmal richtig gerechnet werden.“ Damit arme Kinder jedoch an Musik- und Sportunterricht teilhaben könnten, müsse darauf geachtet werden, dass das Geld in die richtigen Kanäle bei den Eltern fließt, wenn es ausgezahlt werde. „Schulen sollten beispielsweise das Angebot stellen, dass von diesem Geld bezahlt werden kann.“

Auch Neuköllns Bürgermeister Heinz Buschkowsky (SPD) forderte, den höheren Regelsatz für Kinder nicht in Geld an die Eltern auszuzahlen, sondern in Sachleistungen wie „Investitionen für kostenlose Kita- und Hortplätze“. Dadurch würde das Bargeld nicht „irgendwo versickern“. SPD-Arbeitsmarktpolitikerin Burgunde Grosse wiederum kann sich beim Regelsatz für Kinder „eine Erhöhung um mindestens 50 Prozent“ vorstellen.

Für den Fraktions- und Landesvorsitzenden der Berliner CDU, Frank Henkel, gilt: „Nach diesem Urteil ist nicht nur die Bundesregierung gefordert, eine rechtlich saubere Neuregelung vorzunehmen.“ Auch die Länder würden Verantwortung tragen. Sie müssten mehr begleitende Maßnahmen zur Verbesserung der sozialen Lage einleiten. Für den rot-roten Senat bedeute dies, dass er seine „völlig unzureichende Familienförderung“ umgehend überprüfen müsse.

Ähnlich bewertet auch der arbeitsmarktpolitische Sprecher der FDP-Fraktion, Rainer-Michael Lehmann, das Urteil. Lehmann fordert den Mehrbedarf der Kinder in Form von Sachleistungen oder Gutscheinen für Vereinssport oder Musikunterricht abzudecken. Auch Grünen-Fraktionschefin Ramona Pop sieht den Senat in der Pflicht. So sei der Ausbau von Ganztagsschulen, Förderangebote in Schulen und Kindertagesstätten sowie ein ausreichendes Angebot an hochwertiger Kinderbetreuung unverzichtbar.

Die bisherigen Regelungen laufen bis Jahresende weiter. Ob die Bezieher von Arbeitslosengeld II aufgrund des Urteils mehr Geld bekommen müssen, hat das Verfassungsgericht offen gelassen. Der Berliner Anwaltsverein (BAV) bietet eine kostenlose Rechtsberatung für Betroffene in Berlin an. Wer Leistungen beantragen möchte, könne seine Ansprüche bis zur Neuregelung überprüfen lassen, kündigte der BAV-Vorsitzende Ulrich Schellenberg an. Am Freitag, dem 12. Februar, stehen zwischen 10 und 14 Uhr im Haus des Deutschen Anwaltvereins, Littenstraße 11, in Mitte zehn Anwälte zur Verfügung.

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