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Neben Obdachlosen gibt es in Berlin auch zehntausende Wohnungslose, die nicht auf der Straße leben.

© IMAGO/snapshot-photography/T.Seeliger

Beunruhigende Senats-Prognose: Zahl der Wohnungslosen in Berlin könnte um Zehntausende steigen

Immer mehr Menschen leben in Berlin ohne festen Wohnsitz. Bis 2029 könnte sich die Zahl auf mehr als 85.600 Menschen erhöhen. Politiker sehen im angespannten Wohnungsmarkt eine „tickende Zeitbombe“.

Stand:

Die Wohnungsnot in Berlin nimmt immer dramatischere Ausmaße an. Nach Einschätzung des Senats wird sich die Zahl der Menschen ohne eigene Wohnung in den kommenden Jahren massiv erhöhen.

Ende 2029 könnten in Berlin mehr als 85.600 Menschen ohne Wohnung leben. Sollte sich die Prognose bewahrheiten, wäre das eine Zunahme von fast 60 Prozent innerhalb fünf Jahren. Das geht aus einer Antwort der Senatssozialverwaltung auf eine schriftliche Anfrage des Grünen-Abgeordneten Taylan Kurt hervor.

Demnach wurden bereits zu Ende Januar 2025 von den Bezirken mehr als 53.600 wohnungs- und obdachlose Menschen untergebracht. Ein Blick auf die Vergangenheit zeigt, wie drastisch die Entwicklung ist: Zum Stichtag vor drei Jahren waren es noch knapp 26.000 untergebrachte Personen. Die Zahl hat sich seitdem also verdoppelt.

Berlin braucht bis 2029 knapp 115.000 Unterbringungsplätze

Schon bis Ende des laufenden Jahres rechnet die mit weiter steigenden Zahlen. Bis Jahresende dürfte es demnach um 55.400 Menschen gehen, die die Bezirke einer Prognose zufolge unterbringen müssen.

Die Sozialverwaltung unterscheidet in ihrer Definition zwischen Obdachlosen, die auf der Straße oder in Behelfsunterkünften leben sowie Wohnungslosen, die in Heimen und Notunterkünften untergebracht sind und solchen, sogenannten „verdeckten Wohnungslosen“, die etwa bei Verwandten oder Bekannten untergekommen sind.

Neben diesen Gruppen steht das Land auch vor der Aufgabe, Asylsuchende im laufenden Verfahren unterzubringen. Berücksichtigt man auch diese Gruppe liegt der voraussichtliche Gesamtbedarf an Unterbringungsplätzen Ende des laufenden Jahres bereits bei 90.000 Menschen. Bis 2029 wächst dieser Wert auf knapp 114.600 Personen, schätzt der Senat.

Die Wohnungslosigkeit in Berlin geht durch die Decke.

Grünen-Abgeordneter Taylan Kurt

„Die Wohnungslosigkeit in Berlin geht durch die Decke“, resümiert der Abgeordnete Taylan Kurt. „Der Senat muss jetzt einen Plan vorlegen, wo die wohnungslosen Menschen untergebracht werden können und etwas dagegen tun, dass die Wohnungslosigkeit noch weiter zunimmt.“

Neben rund 11.500 statusgewandelten Flüchtlingen, die weiter in Gemeinschaftsunterkünften leben und 3600 Ukrainern gehe es bei einem großen Teil der Betroffenen um Menschen, die ihre Wohnungen verloren hätten, erläuterte Kurt.

Steigende Mieten und Eigenbedarfskündigungen als Treiber für Wohnungslosigkeit

Grund dafür seien demnach steigende Mieten sowie Eigenbedarfskündigungen. „Wir haben jedes Jahr tausende neue Fälle, von Menschen, die auf diese Weise ihre Wohnungen verlieren. Der angespannte Wohnungsmarkt ist eine tickende Zeitbombe.“

Im schlimmsten Fall endeten diese in einer Zwangsräumung der bisherigen Bewohner. Deren Zahl steigt seit Jahren kontinuierlich an. Im vergangenen Jahr erreichten Sie mit 2495 ein neues Hoch.

Der Senat muss alles dagegen tun, dass es zu Zwangsräumungen und Wohnungsverlust kommt.

Grünen-Abgeordneter Taylan Kurt

Aus Sicht des Grünen-Politikers sei die Dunkelziffer deutlich höher. So zögen viele Mieter bereits aus, bevor es zur Gerichtsentscheidung komme. Die Zahl der Räumungsklagen liege mit 7720 denn auch deutlich höher.

„Der Senat muss alles dagegen tun, dass es zu Zwangsräumungen und Wohnungsverlust kommt“, fordert der Sozialpolitiker. Bislang sei das nicht der Fall. So könnten etwa die bezirklichen Sozialämter in vielen Fällen schlimmeres verhindern. Derzeit seien diese jedoch völlig überlastet.

Sozialverwaltung sieht Fehlanreize bei der Mieterhilfe

Auch der zuständige Staatssekretär für Soziales Aziz Bozkurt (SPD) sieht das Hauptproblem auf dem Wohnungsmarkt. „Das grundsätzliche Problem ist der fehlende günstige Wohnraum. Wir doktern am Ende der Nahrungekette herum, weil uns die Wohnungen fehlen.“

Daneben sieht er jedoch weitere Punkte an denen das Land gegensteuern könnte. So gebe es derzeit Fehlanreize bei der Finanzierung von Hilfsangeboten für Menschen, die davon bedroht sind, ihre Wohnung zu verlieren.

Unterbringung von Wohnungslosen soll zentral gesteuert werden

Je weniger ein Bezirk für diese Präventionshilfen ausgibt, desto besser steht er finanziell da. „Doch für den Gesamtstaat wird es dadurch am Ende teurer“, sagt Bozkurt.  Wir müssen die Frage stellen, ob dieses System so noch richtig ist.“

Daneben plane der Senat, die Unterbringung wohnungsloser Menschen künftig zentral durch das Landesamt für Flüchtlingsangelegenheiten (LAF) zu steuern. Dies werde vieles vereinfachen.

CDU sieht hohe Unterbringungskosten für Wohnungslose mit Sorge

„Bislang macht das jeder Bezirk für sich allein. Mit Tabellen und Zettel und Stift. Das ist wirklich Kraut und Rüben“, sagte Bozkurt. Schon dadurch werde die Belastung der Beschäftigten in den Sozialämtern sinken.

Und wo sollen die zusätzlichen Plätze in den kommenden Jahren herkommen? Aus Sicht des Staatssekretärs könnte dabei ein landeseigenes Sozialunternehmen helfen, wie es Hamburg bereits ausgebaut hat.

Die Gesellschaft könnte dann im Landesauftrag Gewerbeimmobilien ankaufen. „Das kann erstmal eine Unterkunft sein und dann später zu Wohnraum werden, der regulär vermietet wird“, sagte Bozkurt. Noch gibt es zwischen SPD und CDU im Senat dazu jedoch keine Einigung.

Und auch das Problem der Kosten bliebe wohl bestehen. Schon im vergangenen Jahr stiegen die Ausgaben für die Unterbringung Wohnungsloser in Berlin auf 365 Millionen Euro. Tendenz klar steigend.

„Die Entwicklung gibt Anlass zur Sorge“, sagt der haushaltspolitische Sprecher der CDU-Fraktion Christian Goiny. Er fordert neue Konzepte bei der Unterbringung und eine kritischere Kontrolle besonders teurer, privater Unterkunftsinhaber. „Das muss im Rahmen der Haushaltsberatungen nochmal eine Rolle spielen“, sagte er.

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