zum Hauptinhalt
Protestvideo Berliner Gefangener.

© Screenshot: Tagesspiegel

Protestvideo in der JVA Tegel: Berliner Gefangene ritzen sich die Arme auf

Per Video protestieren Gefangene der JVA Tegel gegen Diskriminierung und Unterdrückung. Die Justizverwaltung prüft die Vorwürfe, die Gewerkschaft sieht andere Probleme.

Stand:

In den sozialen Medien ist ein Protestvideo von Gefangenen der Haftanstalt Tegel aufgetaucht. Zu sehen ist ein Gefangener mit Brille, Kette und hellem Pullover. „Es geht um Unterdrückung, Diskriminierung“, liest er vom Zettel ab.

Hinter ihm stehen mehrere Mithäftlinge, ihre Gesichter sind nicht zu sehen. „Durch diese Aktion möchten wir uns Gehör verschaffen und die Aufmerksamkeit auf uns richten“, sagt der Mann. Am Ende greifen drei Gefangene zu Rasierklingen und ritzen sich die Unterarme auf, das Blut tritt aus den Wunden aus. „Nicht übertreiben, Jungs“, sagt ein Mann im Hintergrund. Ein anderer flucht auf Russisch.

„Wir haben heute Donnerstag, den 9. Februar, in der Teilanstalt 6 der JVA Tegel“, sagt der Mann mit der Kette. Ausländische Gefangene würden diskriminiert und bekämen keine oder schlechtere Arbeit. Häftlinge würden nicht auf ihre Entlassung vorbereitet, deshalb habe etwa ein Gefangener, der keine Hilfe bekommen habe, nach der Entlassung an der Pforte der Haftanstalt „genächtigt“: „Weil er nicht wusste, wo er hin soll.“

Drei Gefangene ritzen sich die Unterarme auf.

© Screenshot Tagesspiegel

Weiter erhebt der Mann schwere Vorwürfe gegen Vollzugsbedienstete: „Ärztliche Anordnungen werden von den Beamten ignoriert“, sagt der Gefangene. Beschlüsse von Gerichten und das Berliner Strafvollzugsgesetz würden nicht eingehalten. Gefangene würden zudem bei Vollzugsplankonferenzen ohne Dolmetscher angehört, für Nichtigkeiten gebe es kollektive Bestrafungen.

Zudem beklagt der Mann, dass sie sich nicht dagegen wehren könnten. „Wir dürfen uns nicht beschweren, Dienstaufsichtsbeschwerden werden ignoriert und entsorgt“, sagt er. Die Lebensmittelversorgung werde drastisch reduziert.

Das Video soll im Keller aufgenommen worden sein

Die Senatsjustizverwaltung kennt das Video und bestätigte am Freitag dem Tagesspiegel, dass es echt ist. Das Video sei in den Kellerräumen der Teilanstalt 6 der JVA Tegel aufgenommen worden. Der im Video erkennbare Gefangene sei bereits identifiziert worden.

In jeder Vollzugsanstalt werden Hygieneartikel – so auch Rasierer – ausgehändigt. Nicht erlaubt sind selbstverständlich Mobiltelefone.

Sprecherin der Senatsjustizverwaltung Berlin

„Die Senatsjustizverwaltung geht den in dem Video erhobenen Vorwürfen gründlich nach“, erklärte eine Sprecherin. „Bekannt sind Unzufriedenheiten bezüglich der ausgegebenen Kaltspeisen bezogen auf die gesamte JVA.“

Doch wie kommt es dazu, dass eine große Gruppe von Gefangenen solche eine Aktion starten kann, ohne dass das Aufsichtspersonal der Anstalt das bemerkt? Und wie kommen sie an die Rasierklingen?

Kreck will Beschwerdemanagement verbessern

Die Justizverwaltung erklärt dazu: „Während der Aufschlusszeit können sich die Gefangenen frei (derzeit coronabedingt auf ihrer Station und in dem im Keller befindlichen Sportraum) bewegen und auch Kontakt mit anderen Gefangenen pflegen. In jeder Vollzugsanstalt werden Hygieneartikel – so auch Rasierer – ausgehändigt. Nicht erlaubt sind selbstverständlich Mobiltelefone.“

Lena Kreck (Die Linke), Berliner Senatorin für Justiz, Vielfalt und Antidiskriminierung.

© picture alliance/dpa / Bernd von Jutrczenka

Unabhängig von dem Video habe sich Justizsenatorin Lena Kreck (Linke) „schon seit geraumer Zeit für die Neuaufstellung des Beschwerdemanagements in den Berliner Justizvollzugsanstalten“ eingesetzt. „Ziel muss ein niedrigschwelliges Beschwerdemanagement sein, in das die Gefangenen Vertrauen haben“, sagte die Sprecherin. „Das Vertrauen in die Verlässlichkeit staatlicher Institutionen ist ein wichtiger Beitrag zu dem vordersten Vollzugsziel der Resozialisierung.“

Thomas Goiny, Landeschef beim Bund der Strafvollzugsbediensteten Deutschland (BSBD), sieht ganz andere Probleme. „Wie kommen die Gefangenen an die Rasierklingen? Bei allem Respekt, aber die können als Waffen eingesetzt werden“, sagte Goiny.

Grundsätzlich fehlten im Strafvollzug Mitarbeiter. „Wir haben nicht mal mehr ausreichend Personal, wir können die Gefangenen nicht mehr in dem Maße bewachen, wie es nötig ist“, sagte Goiny. Nach Berechnungen des BSBD fehlen 200 Mitarbeiter im Berliner Strafvollzug.

Thomas Goiny, Berliner Landesvorsitzender beim Bund der Strafvollzugsbediensteten Deutschland.

© picture alliance/dpa

Dass solche Aktionen überhaupt möglich sind, sei ein Problem. „Fehlende Aufsicht und fehlende Kontrollen sind keine Resozialisierung“, sagte Goiny. „Wir können uns beleidigen lassen, wie die Gefangenen das wollen. Das führt zu keiner Ahndung.“

Die Probleme würden auch nicht gelöst, indem weitere Lockerungen zugelassen werden. Es gehe hier nicht um normale Nachbarn, sondern Gefangene, die zu langen Haftstrafen verurteilt worden seien. „Wir sind der Außenposten der Gesellschaft und sollen alles geradebiegen“, sagte Goiny.

Er forderte, die Lockerungen zu überprüfen. „Wir brauchen eine Lösung dafür, wie wir bei dem Personalmangel mit immer gewalttätigeren und psychisch auffälligen Gefangenen umgehen sollen und auch noch die Resozialisierung hinbekommen sollen.“ Im Gegensatz zu Ex-Justizsenator Dirk Behrendt (Grüne) habe Justizsenatorin Kreck die Probleme verstanden, sagte Goiny. „Aber sie muss etwas ändern.“

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
console.debug({ userId: "", verifiedBot: "false", botCategory: "" })