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Heiner Koch, Erzbischof von Berlin, geht mit dem Glauben auf die Straße, um zu demonstrieren, was christliches Leben bedeutet.

© Mike Wolff/TSP

Fronleichnam in Berlin: Prozession für den Mittelpunkt unseres Lebens

Warum die Katholiken an Fronleichnam auf die Straße gehen, erklärt der Berliner Erzbischof in einem Gastbeitrag.

Am Aschermittwoch listete der „Checkpoint“ des Tagesspiegels penibel die verschiedenen Veranstaltungen der Parteien zum sogenannten „politischen Aschermittwoch“ auf. Dass an diesem Tag für etwa eine Million Berliner die Fastenzeit beginnt, war allerdings keine Erwähnung wert.

Wenn an diesem Donnerstag in München für die Fronleichnamsprozession die halbe Innenstadt gesperrt wird, werden die rund 10 000 Teilnehmer es vielleicht sogar in die „Tagesschau“ schaffen. Für die Genehmigung der Berliner Fronleichnamsprozession reihen wir uns ein in die ein Dutzend Demonstrationen, die im Schnitt täglich durch die Mitte Berlins ziehen. Dass wir ohne gesetzlichen Feiertag und nach Feierabend mit bis zu 6000 Teilnehmern gemessen am katholischen Bevölkerungsanteil mehr Menschen auf die Straße bringen als die Münchner, geht leider auch unter.

Wir wollen keine bevorzugte Behandlung, aber Fronleichnam ist mehr als irgendeine Demo. Fronleichnam feiern wir Katholiken seit dem Jahr 1264, es ist ein altes Wort, für ein altehrwürdiges Fest, das uns heilig ist. Übersetzt heißt es so viel wie „Leib des Herrn“. Kein Fronleichnam ohne Prozession, wir gehen mit unserem Glauben auf die Straße. Wir zeigen öffentlich, was unser Maßstab ist für unser Handeln als Christen, in der Gesellschaft und für sie.

Katholisch sein ist keine „closed shop“-Veranstaltung

In der Fronleichnamsprozession tragen wir in einem wertvollen, goldenen Gefäß ein unscheinbares Stückchen Brot durch die Straßen von Berlin. Wir Katholiken glauben, dass in diesem gewandelten Brot Jesus Christus - also Gott selbst - wahrhaft gegenwärtig ist. Gott in Gestalt des Brotes, damit bringen wir zum Ausdruck, was für uns an jedem Tag gilt: Gott ist für uns wie das tägliche Brot. Er ist unser „Lebensmittel“, das Mittel, das uns hilft, unser Leben zu entfalten, unser Lebensmittelpunkt.

Wir gehen an Fronleichnam auf die Straße, wir öffnen die Tore der St. Hedwigs-Kathedrale, weil katholisch sein keine „closed shop“-Veranstaltung ist. In der Haltung Jesu, nach seinem Geist und Vorbild sind wir nicht Kirche für uns, sondern bringen uns zum Wohl der Mitmenschen in die Gesellschaft ein.

Jesus Christus hat die menschliche Wirklichkeit angenommen: Krankheit und Armut, Streit und Hass, Verfolgung und Unterdrückung, Manipulation und Heuchelei. Aber er hat sich auch klar positioniert, indem er starke Worte für das Gute fand und mit seinen Händen nicht geschlagen, sondern geheilt hat. Er hat sich von den „schlechten Verhältnissen“ nicht kleinkriegen lassen. Vor allem hat er sie nicht abgewälzt auf andere, sondern sich selbst engagiert. Er ist den Menschen in Liebe begegnet aus der Überzeugung, dass die Liebe verändern und wandeln kann; dass die Liebe stärker ist als die „schlechten Verhältnisse“. In diesem Sinne wollen auch wir leben und uns engagieren.

Jesus Christus Kraftquelle und Maßstab unseres Lebens

An Fronleichnam sagen und zeigen wir es öffentlich auf den Plätzen und in den Straßen unserer Stadt: Stärker als die Probleme, mächtiger als die Herausforderungen, wirksamer als Gewalt und Unterdrückung, stärker schließlich als der Tod ist die Liebe, die Gott uns schenkt, die uns trägt und aus der wir einander lieben können - auch in schweren Augenblicken des Lebens. Gott geht mit uns mit. Trotz unserer eigenen Unzulänglichkeit bleibt Jesus Christus Kraftquelle und Maßstab unseres Lebens. Und er bleibt unsere Hoffnung auf Gerechtigkeit, Frieden und Erfüllung.

Von dieser Hoffnung geben wir an diesem Donnerstagabend auf dem Gendarmenmarkt und Unter den Linden Zeugnis. Aber auch alle Tage halten wir die Hoffnung auf eine gute Zukunft für alle Menschen wach, in unserer Haltung, unseren Taten und unseren Worten. Fronleichnam ist dafür Ermutigung und Vergewisserung.

Dr. Heiner Koch ist Erzbischof von Berlin.

Heiner Koch

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