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An der East Side Gallery macht Putzen Spaß. Mehrere 100 Berliner und Touristen reinigten am Sonntag mit Schwamm und Spüli einige Gemälde in der Nähe der Oberbaumbrücke. Quadratzentimeter um Quadratzentimeter ging es langsam voran.

© Thilo Rückeis

Berlin-Friedrichshain: Putzaktion an der East Side Gallery

Hunderte Berliner und Touristen schrubbten am Sonntag die East Side Gallery von Kritzeleien frei. Auch viele Maler beteiligten sich an der Putzaktion, zu der die Künstlerinitiative eingeladen hatte.

Ronja Dahlberg kam, sah und schrubbte. Am Sonntag um die Mittagszeit steht die 23-jährige Schwedin an der East Side Gallery, taucht einen zitronengelben Schwamm in den Wassereimer und putzt mit aller Kraft ein kleines Stück Berliner Vergangenheit wieder frei. Etwa 20 Quadratzentimeter auf dem Bild des Künstlers Gerhard Lahr „Berlyn – New York“ bearbeitet sie mit ihrer 14-jährigen Schwester Rebekka. Schwarze Kritzeleien auf dem weißen Schriftzug „Berlin“ haben sie sich vorgenommen. Rebekka schwitzt, Ronja stöhnt, erster Erfolg: ein paar Linien sind schon blass geworden. Eigentlich wollten sich die beiden nur das längste erhaltene Mauerstück in der Stadt als Berlinbesucher anschauen. Aber dann gerieten sie mitten hinein in die Putzaktion der Künstlerinitiative East Side Gallery.

Sonnenschein, surrende Kameras und vermutlich eine der größten und bestgelauntesten Putzkolonnen, die Berlin jemals gesehen hat: Hunderte Touristen und Berliner schrubbten bereits ab 11 Uhr. „Einfach cool“, befanden die Schwedinnen aus Göteborg – und griffen gleich zu: Eimer mit 40 Grad warmem Wasser, Schwämme und das grasgrüne Fit-Spülmittel, einst DDR-Marke, in die Neuzeit hinübergerettet und jetzt in Batterien bereitgestellt. Alles, was zum Großreinemachen nötig ist, hatten die Initiatoren für ihre vielen Helfer besorgt. Motto: „Wir nehmen das jetzt selbst in die Hand.“

Denn so alt die im Frühjahr 1990 von 118 Künstlern aus 21 Ländern mit 106 Bildern bemalte East Side Gallery am Friedrichshainer Spreeufer ist, so lange wird auch schon hin und her überlegt, probiert und meist ergebnislos diskutiert, wie die einzelnen Gemälde vor der Verwitterung, vor Graffiti und Kritzeleien dauerhaft geschützt werden können. Und das, obwohl die auf ihrer Ostseite bemalte einstige Hinterlandmauer denkmalgeschützt ist. 1996, 1998 und noch mal 2000 restaurierten die Künstler überwiegend mit Eigenmitteln ihre Werke. 2002 und 2008 wurden heruntergekommene Gemälde dann mithilfe von Lottomitteln abgestrahlt, von ihren Schöpfern neu gemalt und danach mit einer Antigraffitischutzschicht überzogen – ein Speziallack, von dem sich Schmierereien mit einem Hochdruckreiniger entfernen lassen.

„Mit der Hand aber nur in endloser Ackerei oder mit ganz vielen Leuten“, sagt Thierry Noir, dessen rundlich glubschäugigen Köpfe in Popfarben die Mauer-Gallery in Höhe Brommybrücke prägen. Dieses südwestliche Teilstück zwischen Spree und Mühlenstraße ist an diesem Sonntag aber erst mal nicht dran. Thierry Noir konzentriert sich mit etlichen anderen Künstlern, die nahezu allesamt auch schon 1990 dabei waren, auf das am stärksten besuchte und bekritzelte Teilstück zwischen Oberbaumbrücke und O2-World. Dorthin haben sie auch ihre Helfer eingeladen.

Der russische Mauerkünstler Dimitri Vrubel schrubbt am Sonntag Leonid Breschnew und Erich Honecker auf seinem berühmten Bruderkussgemälde.
Der russische Mauerkünstler Dimitri Vrubel schrubbt am Sonntag Leonid Breschnew und Erich Honecker auf seinem berühmten Bruderkussgemälde.

© Thilo Rückeis

Dimitri Vrubel ist da und rubbelt an seinem „Bruderkuss“ einen roten Farbklecks von Breschnews Backe. Kani Alawi, Schöpfer des Bildes „Es geschah im November“, gibt als Chef der Künstlerinitiative Interviews. Er erklärt: „Wir wollen einfach nicht mehr zusehen, wie unsere Bilder langsam verkommen.“ Und Thierry Noir mit knallgelber Weste, Basecap und Schrubber, die vierjährige Tochter Clarissa an der Hand, spricht vom „Spirit“ der Gallery, für den man alles konservieren müsse. „Das einst Hässliche als Manifest des Umbruchs, die Bilder als Ausdruck der Freude, die wir damals beim Malen über die Wende empfanden.“ Deshalb bekam auch Mauerkünstler Jim Avignon im November 2013 mit seinen Kollegen Ärger, als er eines seiner Gemälde spontan mit neuen Motiven übermalte.

Thierry Noir ist aber auch auf Bund, Senat und den Bezirk Friedrichshain- Kreuzberg sauer. Das Vorhaben, die Gallery der Stiftung Berliner Mauer zu übertragen, komme nicht voran. Vorschläge der Künstlerinitiative „werden ignoriert“. Zum Beispiel eine kleine Abstandszone zu den Bildern, die das Kritzeln erschwert, eine bessere nächtliche Beleuchtung und „Guides“, die ständig präsent sind, Besucher informieren und aufpassen.

Die Putzaktion am Sonntag soll deshalb auch ein Zeichen setzen. Mathias Müller (50), Vizedirektor des Hotel Palace in Charlottenburg, reibt entsprechend verbissen an einem dicken lila Pinselstrich. Im Tagesspiegel hat er beim Frühstück von der Aktion erfahren – und ist gleich losgefahren. „Diese tolle Erinnerung“, sagt er, „die ist mir das wert.“

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