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Ball angucken. Wie nutze ich den Spin? Yannick Sprengel, Hertha BSC, kommt beim Vorranglisten-A-Turnier des Berliner Tischtennisverbands bis ins Viertelfinale.

© Hertha BSC

Randsportarten während der WM: Ferner liefen

Rekordquoten, Rekordeinnahmen, Spiele als weltweite Straßenfeger: Der Fußball steht im Zenit. Leidet darunter die Aufmerksamkeit für andere Sportarten? Ein Streifzug durch das Berlin der Tänzer, Turner und Tennisspieler.

Die Internetsuchmaschine als Frequenzgedankenarchiv akzeptiert die ganze Fragestellung nicht. Verkehrt sie vielmehr direkt ins Gegenteil.

Eingabe: „Sport ist mehr als Fußball.“

Antwort: „Fußball ist mehr als ein Sport.“

Was die Bedeutung von Fußball beschränken sollte, verpufft, und heraus kommt eine weitere Überhöhung des ohnehin Großen und seit vier Wochen zudem noch Allgegenwärtigen.

Dennoch stimmt die Behauptung, dass Sport mehr ist als Fußball. Zigtausende Berliner wissen das aus eigenem Erleben. In der Stadt gibt es 79 Sportverbände, daneben ungezählte Sportarten in unorganisierter, vereins- oder verbandsloser Form. An nahezu jedem Wochenende finden in der Region Turniere statt, bei denen es nicht weniger leidenschaftlich zugeht als bei der Fußballweltmeisterschaft in Brasilien – selbst, wenn die zeitgleich stattfindet.

1. Station: Tischtennis

Yannick Sprengel jault auf. „Ich bring mich um, ich spiel so schlecht!“ Der Ball ist über die Platte hinausgeschossen und davongehoppelt. Schon wieder. Der Elfjährige lässt die Hand mit dem Schläger sinken und verdreht die Augen, dann ein rascher Blick zum Trainer. Fragend: Was soll ich tun?

Konzentration! Er muss sich konzentrieren. Aber der Tag ist schon so lang. Um 13 Uhr ist es losgegangen, jetzt ist es nach halb fünf. Und jetzt geht es im Grunde erst los, erst jetzt ist die Stimmung hitzig, schreien Spieler sich die Anspannung aus dem Leib, sind die Zuschauer aufgestanden, immer bereit für Zwischenapplaus. Die ersten Stunden war es ruhiger gewesen in der Turnhalle der Ernst-Reuter-Schule in Mitte, als an den neun Tischen die kompliziert und spielereich organisierten Vorrunden zum Tischtennis-Vorranglisten-A-Turnier liefen. Aber jetzt geht es um die entscheidenden Punkte.

Zurück im Spiel. Topspin mit hochgerissenem Schläger, zweieinhalb Gramm wiegt der Ball, auf den Yannick, der schließlich im Viertelfinale ausscheidet, eindrischt, wie soll der nicht über die zwei Meter 74 lange Platte hinausschießen? Indem er angeschnitten wird, so dass er sich dreht, in sich, Rotation heißt das Zauberwort. Wer ein Auge für die Rotation hat, hat Talent. Die anderen können nur üben.

Yannick spielt bei Hertha BSC. Dass das kein reiner Fußballverein ist, scheint angesichts der überragenden Bekanntheit der Bundesligafußballer erst mal nur eine Fußnote zu sein. Aber Trainer Jörg Kersten will nicht meckern. Zwar wurde das Tischtennistraining am Abend des ersten deutschen WM-Spiels vorsorglich gestrichen – an König Fußball kommt auch das Tischtennis während einer Fußball-WM nicht vorbei. Andererseits, sagt Kersten, hole der Fußball im konkreten Fall der Hertha Geld in den Verein, davon hätten die anderen Sparten – Tischtennis, Boxen, Kegeln – auch etwas.

An diesem Tischtennisturniertag sind gleich 32 Jungs aus 13 Berliner Vereinen angetreten. Die Vorrangliste der A-Schüler ist eine Qualifikation zur Landesrangliste, dem Turnier der besten zwölf. Von denen können sich dann ein oder zwei Spieler für das Top-48-Turnier des Deutschen Tischtennisbunds qualifizieren. Das klingt alles nach einer großen Organisation – unter den Berliner Sportverbänden ist der Tischtennisverband jedoch nur ein Mittelgewicht. 100 Vereine, rund 6000 spielberechtigte Verbandsmitglieder. Dagegen ist der Fußballverband ein Gigant: Mehr als 134 600 Mitglieder, die in 471 Vereinen spielen. Sichtbar wird das Bedeutungsgefälle an den Anmeldungen. Während es bei Fußballvereinen Wartelisten gibt, „steht beim Tischtennis niemand Schlange“. Mit der Konsequenz, dass unter den Spielern nicht so ausgesiebt werden kann, wie vielleicht manchmal nötig wäre. Weil man froh ist um jeden, der kommt.

Wie wird der Breitensport gefördert?

Jörg Kersten hat dabei noch einen Zusammenhang ausgemacht: Trainieren die Vereine in den Sporthallen von Grundschulen, kommen von dort genug Neugierige rüber, unter denen vielleicht Spieler sind, die sich aufbauen lassen. Trainieren die Vereine in den Sporthallen von Oberschulen, sind die Schüler, die von dort kommen und sich interessieren, ohnehin zu alt, um noch etwas zu werden.

So schlicht ist das und so folgenreich für die Sportstadt Berlin und die Sportnation Deutschland, die sich – das sah man zuletzt bei Olympischen Spielen – durchaus immer schwerer tun, neben Fußballern noch andere Spitzensportler hervorzubringen. Dass daneben auch ein abwechslungsreicher Breitensport kulturell und volkswirtschaftlich ein Gewinn ist, ist eine ebensolche Binse wie jene, dass Sport den Charakter bildet. Müsste daher nicht alles getan werden, damit jeder zur für ihn idealen Sportart findet – und nicht nur, weil ein Verein zufällig in einer Grundschulturnhalle trainiert?

Die Koalitionsvereinbarung von SPD und CDU für die Berliner Politik benennt vom sozialen bis zum kreativen Berlin neun Politikfelder, für die Handlungsentwürfe beschrieben werden. Ein sportliches Berlin kommt darin nicht vor.

Was es gibt, ist ein „Solidarpakt Sport“. Mit dem soll der lokale Sport „langfristig abgesichert werden“. Für 2014 umfasst der Pakt 25,8 Millionen Euro, 2015 sollen es 26,2 Millionen sein. „Die Notwendigkeit einer angemessenen und verlässlichen finanziellen Förderung der Sportorganisationen wird damit anerkannt“, heißt es in einem Bericht der Senatsverwaltung für Inneres und Sport von 2013. Mit zusätzlichen Landesmitteln sollen die sinkenden Zuschüsse aus Lottoeinkünften aufgefangen werden. Aber bevor das nun zu sehr in Details abdriftet, am Ende sogar noch die Frage aufkommt, ob 60 Millionen Euro für eine Olympia-Bewerbung nicht anderswo sinnvoller investiert wären – hinüber zum Tennis!

2. Station: Tennis

Seine Stärke? "Keine richtigen Schwächen." Laszlo Urrutia von Blau-Weiss Berlin gewinnt die diesjährigen Tennis-Verbandsmeisterschaften.
Seine Stärke? "Keine richtigen Schwächen." Laszlo Urrutia von Blau-Weiss Berlin gewinnt die diesjährigen Tennis-Verbandsmeisterschaften.

© Ariane Bemmer

Der zweitgrößte Berliner Einzelsportverband nach dem Berliner Fußball-Verband (BFV) ist der Tennisverband. Frage an den TVBB-Sprecher Torsten Pressel: Wie sieht sich der lokale Tennissport im immer größer werdenden Schatten des Fußballs? Antwort: „Der Tennissport verliert aus unserer Sicht keine Mitglieder an den Fußball. Im Gegenteil, nach unserer Beobachtung kommen viele Sportler ab 30 Jahren vom Fußball zum Tennis. Fußballer finden schnell Zugang zum Tennis und erzielen in relativ kurzer Zeit gute Erfolge.“

Und davor? Wie steht es um die Talente, die potenziellen Ranglistenspieler? „Die erfolgreiche Jugendarbeit des TVBB hat sich auch in 2014 ausgezahlt“, lässt Pressel wissen. „Die Jungs der U15 (also unter 15 Jahren) wurden Deutscher Mannschaftsmeister, die Mädchen verpassten in der gleichen Altersklasse nur knapp den Einzug ins Halbfinale.“ So weit, so gut.

An einem kühlen Donnerstagabend im Juni sitzen dann etwa 30 Menschen unter dem auskragenden Dach des Vereinshauses des Tennisvereins Zehlendorfer Wespen und schauen einem Einzelmatch zu. Viele kennen sich untereinander. Die Damen tragen Tücher. Die Männer Pullover über dem Polohemd. Mädchen mit kurzen Tennishosen verdrehen ihre Beine ganz eng, um dadurch Wärme zu erzeugen, doch es ist vergeblich. Die Gänsehaut geht nicht mehr weg. Vom Grill zieht Bratwurstgeruch herüber. Es ist Tag drei der fünftägigen Verbandsmeisterschaften Damen und Herren 2014 des Tennisverbands Berlin-Brandenburg.

Und dann kommt der Regen. Erst leicht, so dass weitergespielt wird. Die beiden Spieler knallen die Bälle von der Grundlinie quer übers Feld. Dann wagt einer einen kurzen Stopp-Ball und läuft nach vorne, auch der andere rennt vor, erreicht den Ball, beide stehen jetzt in der vorderen Hälfte ihrer Felder – dann geht der Ball ins Aus.

Der Regen wird stärker. Der Schiedsrichter schaut sich um. „Wir unterbrechen das Spiel“, sagt er und klettert schnell vom Hochsitz. Im Vereinshaus wird es voll. Die Luft dampft von feuchten Kleidern und Körperwärme. Der Fernseher läuft. Kolumbien gegen Elfenbeinküste, Vorrunde der Fußballweltmeisterschaft in Brasilien. Es steht 0:0. Die erste Halbzeit wird später in den Spielberichten „langweilig“ gefunden. Als der Stuhlschiedsrichter auftaucht, sagt einer der Polohemdenmänner: „Los, Schiri, pfeif mal wieder an!“

Halbprofis verstärken Vereine bei Turnieren

Das Turnier gewinnt drei Tage später Laszlo Urrutia, 24 Jahre alt. Nachname chilenisch, nach dem chilenischen Vater. Vorname ungarisch, grundlos. Laszlo Urrutia ist gebürtiger Berliner, aufgewachsen in Lichtenrade. Sein Vater war Tennisspieler und -trainer, da lag es nahe, dass auch der Sohn damit anfing. Er hat sich geschickt angestellt, wurde gut und besser, und irgendwann war klar, dass dies sein Sport sein würde.

Gute Tennisspieler können sich von Vereinen dafür bezahlen lassen, dass sie in deren Namen an Mannschaftsspielen teilnehmen. Manche Vereine machen das, um den Erhalt einer Spielklasse zu sichern, andere auch einfach nur aus Imagegründen. Rund 150 Euro bekommen die Spieler für einen Einsatz. Laszlo Urrutia hat das gemacht, seit er 18 Jahre alt war. An den Druck, den das erste Spiel gegen Geld bei ihm auslöste, erinnert er sich bis heute. „Keiner kennt dich, alle schauen zu.“ Aber er nennt das nicht Druck. Sondern „Motivation“. Gerade hat er gegen Bezahlung in Österreich gespielt. Dort gefällt ihm, dass die Doppelspiele mehr wahrgenommen werden als in Deutschland. Doppel mag er als Allrounder am liebsten. Und wegen des Mannschaftsgefühls. Wäre er nicht Tennisspieler geworden, hätte er etwas anderes mit Sport gemacht, sagt er. Fußball? Warum nicht.

Während er früher auch für Turniere durch die Welt reiste, arbeitet Laszlo Urrutia, der seit drei Monaten Vater eines Sohnes ist, heute vor allem als Trainer. Er wirkt zufrieden – grundsätzlich scheint es so, als ob die Berliner Tenniswelt, Fußball hin oder her, ganz in Ordnung sei.

3. Station: Dressurreiten

Harter Ritt. Mit Quico bestreitet Natalie Giese bei den Berliner Meisterschaften eine M-Dressur. Es ist ihre Premiere in der schweren Klasse.
Harter Ritt. Mit Quico bestreitet Natalie Giese bei den Berliner Meisterschaften eine M-Dressur. Es ist ihre Premiere in der schweren Klasse.

© Ariane Bemmer

Und damit weiter zum Reiten! Rund um den rechteckigen Sandplatz am Rande des Olympiastadions ist es ganz still. Kaum, dass Vögel in den hohen Tannen piepsen würden, auch die kleinen Kläffer sind stumm, einem hält seine Besitzerin das Maul zu.

Als erste Starterin reitet ein um Punkt 12 Uhr 30 mit der Nummer 266 Natalie Giese auf Quico. Sie hält in der Mitte des Platzes und grüßt die Richter, die in einem weißen Holzhäuschen sitzen.

Sie wird gleich eine Zwei-Sterne-M-Dressur reiten. M ist unter S die zweithöchste Reiterklasse.

Auf geht es im Trab, mal schnell, mal verhalten, mal ein Bein gerade vors andere, mal gekreuzt. Dann Schritt und dann Galopp, entlang der Längsseite extraschnell und langsam durch die Ecke, wieder geht das Pferd, mal gerade, mal kreuzt es die Beine, dann hält das Paar, die Reiterin grüßt – diesmal zum Abschied. Das war’s.

Fünf Minuten Konzentration von Mensch und Tier – wenn alles klappt, denn es ist nicht leicht, einem Pferd fünf Minuten Konzentration abzuringen. Fünf Minuten, die nicht nur eine reibungslose Aufgabenerfüllung zeigen sollen, sondern auch, wie es um die Mensch-Tier-Harmonie steht.

Als das zweite Paar auf den Platz reitet, drehen Natalie und Quico schon Kreise durch die parkartige Reitanlage am Olympiastadion, damit das Pferd sich beruhigt. „Nach so einer Prüfung kann Quico nicht stehen“, sagt Natalie, als das Pferd einfach nicht anzuhalten ist, und tätschelt ihm den schweißfeuchten Hals.

Es ist Sonntag, der 29. Juni, Tag zwei der Berliner Meisterschaften Dressur, und im Landesverband Pferdesport – 15 800 Mitglieder, davon mehr als 10 000 in Brandenburg – ist man überrascht gewesen über die vielen Anmeldungen: 550 Reiter und 825 Pferde stehen insgesamt auf der Teilnehmerliste. Eine Konkurrenz zum Fußball sieht man hier überhaupt nicht, nicht mal ein irgendwie geartetes Verhältnis. Was vielleicht auch daran liegt, dass Reiten in Deutschland – jenseits von Weltklassespringturnieren – immer noch als Frauen- und Mädchensport gilt. Und Fußball, trotz der Erfolge der Frauen auf Nationen- und Vereinsebene, weiter als Männerdomäne.

Das neue Pferd hob die Reiterin auf ein neues Niveau

Dass Natalie und Quico in der schwersten Prüfung der zweitägigen Veranstaltung mitreiten, ist einerseits Ergebnis jahrelangen Übens – andererseits ein kleines Wunder. Natalie, die 16 Jahre alt ist, reitet seit neun Jahren und seit sieben Jahren annähernd täglich, seit die Eltern ein kleines Pferd anschafften. Seit Jahren isst Natalie im Auto – auf dem Weg von der Schule in den Stall. Und nie wäre ihr in den Sinn gekommen, sie würde etwas verpassen, wenn sie ihre Freizeit mit dem Befolgen von Reitlehreranweisungen verbringt. Reiten – das ist ihrs. Das steht fest.

Dann wurde ihr Pferd krank, und Natalie bekam von der Stallbesitzerin Quico ausgeliehen, ein 16 Jahre altes, bis S erfolgreich gerittenes Dressurpferd. Schaut mal, ob ihr zurechtkommt, war die Ansage. Es war ein bisschen so, als ob man einem Gokartfahrer einen Rennwagen hinstellt. Denn Natalie war bis dahin nur A-Turniere geritten, was zwei Klassen unter M ist.

Doch es klappte. Natalie machte einfach, was der Reitlehrer sagte, und Quico machte, was er sollte. Innerhalb von nur drei Monaten ritten sie komplizierte M-Lektionen. Es war erstaunlich. Denn einfach machen, was ein Reitlehrer sagt, ist gar nicht so einfach, wie jeder weiß, der je auf einem 600-Kilogramm-Pferd saß, das kraftvoll schaukelt, wenn es sich bewegt. Dass dieser Sprung in die M-Klasse so schnell ging, zeigt für Natalie und ihre Mutter, dass sich der jahrelange zeit- und geldraubende Reitunterricht gelohnt habe, das ewige Übenübenüben. „Die Grundlagen müssen stimmen“, sagen sie.

Als sich dann im Verlauf des Turniersonntags noch herausstellt, dass Natalie am Ende immer noch auf Platz zehn sein würde, bekommen Mutter und Tochter vor Freude glänzende Augen – auch wenn die begehrten Teilnehmer-Schleifen nur bis zum neunten Platz vergeben werden. Das sei ihnen egal, sagen sie, zu überraschend die eigene Leistung, zu groß die Freude darüber, das, was man mag, gut gemacht zu haben! Aber bevor das hier zu harmonisch wird: Fühlt sich wirklich nirgendwo jemand benachteiligt?

4. Station: Wasserball

Randgeschehen. Die U13-Ersatzspieler vom SC Wedding und ihre Trainer beobachten einen Sieg ihres Wasserball-Teams.
Randgeschehen. Die U13-Ersatzspieler vom SC Wedding und ihre Trainer beobachten einen Sieg ihres Wasserball-Teams.

© Ariane Bemmer

Anfrage beim Berliner Schwimmverband: Wie ist das Leben eines Wasserballers im Schatten der immer größer werdenden Fußballer?

Antwort: „Ein Vergleich zwischen einer Randsportart wie dem Wasserball mit dem Fußball, wo im Profibereich mit Millionengehältern gehandelt wird, kann nur zu Unmut führen. In den Randsportarten muss der Aktive grundsätzlich einen hohen finanziellen Eigenanteil für die persönliche Ausrüstung einbringen, während namhafte Fußballvereine ihren Aktiven die Ausrüstung unentgeltlich zur Verfügung stellen und auch für sonstige Kosten aufkommen.“

Wie namhaft sind Berlins Wasserballer?

Antwort: „Berlin stellt mit den Wasserfreunden Spandau 04 den diesjährigen deutschen Meister (33. Titel seit 1979) sowie deutschen Pokalsieger (zum 28. Mal) und damit die erfolgreichste Männermannschaft in Deutschland. Mit den Männern der SG Neukölln und des SC Wedding 1929 sowie den Frauen der SG Neukölln sind drei weitere erfolgreiche Mannschaften in der deutschen Wasserball-Liga (DWL) vertreten. Darüber hinaus stellen diese Vereine Mannschaften in den Jugendbereichen U11, U13, U15 und U17. Damit dürfte Berlin im bundesweiten Vergleich eine der Spitzenpositionen einnehmen.“

Diese Spitzenposition sieht am vorletzten Juniwochenende so aus, dass im schummrigen Foyer der Schwimmhalle am Schöneberger Sachsendamm an die Wand gequetscht ein kleiner Tisch steht, hinter dem eine Frau sitzt, die Programmhefte verkauft. „Deutsche Wasserball-Pokal-Endrunde U13“; für 1,50 Euro. Spenden seien auch gerne gesehen, sagt sie und rüttelt an einer Dose, die ebenfalls auf dem Tisch steht. In drei Turniertagen seien keine zehn Euro zusammengekommen, sagt sie.

In der Schwimmhalle ist die Luft warm und feucht, und der Lärm ist groß. Auf den Zuschauerrängen verteilen sich in Grüppchen Turnierteilnehmer, die gerade Pause haben, Spielerfamilien und Spielerfreunde, ausgestattet mit Lärmmachgerätschaften: Trommeln, Tröten und Klatschpappen. Unten im Becken schwimmen sich zwei Teams ein: die Spieler vom SSV Esslingen aus Süddeutschland, die bisher kein Spiel verloren haben, und die Jungs vom SC Wedding, dem Verein, der das Turnier ausrichtet. Die kraulen plantschend und spritzend quer durchs Becken, hin und her, wie junge Robben sehen sie aus: froh, im Wasser zu sein und etwas zum Spielen zu haben.

Das Programmheft erläutert die Regeln: vier mal fünf Minuten Spielzeit. Alle Pausen: zwei Minuten. Angriffszeit: 30 Sekunden.

Die Spieler flitzen, als gehörte der Mensch ins Wasser

Ein Gong ertönt, und Manfred Rademacher, Fachwart Wasserball vom Berliner Schwimmverband und Turniermoderator, erklärt die Einschwimmphase für beendet. Die Spieler verlassen das Wasser, nehmen am Beckenrand Aufstellung. Während das Wasser im Becken allmählich zur Ruhe kommt, stellt Rademacher alle Spieler vor, die je einen Schritt vormachen und sich verbeugen. Die Zuschauer mahnt Rademacher zum frenetischen Applaus, vor allem beim letzten Angriff, das habe bisher nicht recht geklappt. Dann ruft er einen Technikchef aus, in den Lüftungsschächten säßen immer noch zwei Handwerker und kämen nicht raus. Rademacher stellt das Mikro aus und lacht sich schlapp über seinen Witz.

Die Spieler stülpen sich ihre Kappen über und hüpfen zurück ins Wasser. Es geht los. Der Ball ist im Spiel, die Trommler trommeln ... Die Spieler flitzen hin und her, als gehöre der Mensch ins Wasser, den Ball vor sich herschiebend, werfend, fangend, Angriff und Retour. Da verschluckt sich keiner oder reibt sich chlorrote Augen. Das erste Tor geht an Esslingen, aber Wedding holt auf. So geht es ein ums andere Mal, bis die Weddinger selbst in Führung liegen. 7:6 und noch 19,7 Sekunden Spielzeit. Die Zuschauer kreischen und lärmen mit allem, was sie haben. Die Esslinger greifen an, aber der Torwart hält. Abpfiff. Jubel.

Nach zwei Siegen und zwei Niederlagen an drei Spieltagen ergibt das für den Gastgeber den fünften von sechs Plätzen. Der SSV Esslingen wird hinter dem OSC Potsdam Zweiter. Den Fußball? Vermisst hier keiner. Und das dürfte bei der nächsten Station kaum anders sein. Oder?

5. Station: Rhönradturnen

Ihr Dreh. Beim Rhönrad-Sommer-Cup gewinnen die Turner vom TSC Strausberg, hier trainiert auch die dreifache Weltmeisterin Jenny Hoffmann.
Ihr Dreh. Beim Rhönrad-Sommer-Cup gewinnen die Turner vom TSC Strausberg, hier trainiert auch die dreifache Weltmeisterin Jenny Hoffmann.

© Ariane Bemmer

Während Fußball-Deutschland sich am 22. Juni Gedanken über die Taktik-Experimente von Jogi Löw macht, die dem deutschen Team am Vortrag gegen Ghana nicht recht halfen, sitzt ein Dutzend Zuschauer am Rand der Turnhalle der Neuköllner Hans-Fallada-Schule und schaut zu, wie im Rahmen des Berliner Sommer-Cups langsam rollende Rhönräder beturnt werden. Kontemplation statt Aufregung. Umsicht statt Experiment.

Im Rhönradturnen sind die Deutschen, anders als beim Fußball, Dauer-Weltmeister. Aufmerksamkeit beschert das den Protagonisten des Sports hier allerdings nicht. Im April war World Cup im Tempodrom, was allerdings kaum einer außerhalb der – mit rund 140 Aktiven in Berlin sehr übersichtlichen – Szene bemerkte.

Zwei Tage vor dem 22. Juni in einer anderen Turnhalle schärft Jörg Balkenohl, ehemaliger Rhönradturner, heute Trainer, der 16-jährigen Jenny in Turnanzug und laufmaschiger Nylonstrumpfhose drei Regeln für das Rhönradturnen ein.

„Erstens: Beweg deine Hüften nicht.“ Nicken.

„Zweitens: Beweg deine Hüften nicht.“ Stutzen.

„Drittens: Beweg deine Hüften nicht.“ Grinsen.

Bedächtig rollt wenig später das 40 Kilogramm schwere und mit einem Durchmesser von 2,10 Metern größte der 18 Rhönräder durch die Halle. Körperbeherrschung und Akrobatik – darum geht es, seit der Eisenbahner und Gewerkschafter Otto Feick aus Ludwigshafen anno 1925 zwei Reifen mittels Greif- und Trittsprossen aneinanderschweißte, sich hineinstellte und in jenem neuen Gerät herumrollte, das nach dem Patentanmeldeort Schönau in der Rhön Rhönrad genannt wurde.

Ein Leben in der Waschmaschine

Jennys Kür beginnt mit einem Freiflug. Dabei sind ihre Füße mit Lederriemen an den beiden Trittbrettern des Rades fixiert – der Rest ist Körperspannung. Während sie das Rad nach hinten rollen lässt, bleibt sie in sich gerade. Eine große Anstrengung für Bauch- und Rückenmuskulatur ist das, und eine riesige Überwindung beim Lernen. „Beginnt ein Turner mit dem Üben des Freiflugs rückwärts, hat er den Eindruck, als würde er nach hinten ins Bodenlose fallen“, beschreibt Ines Sebesta das in ihrem Buch „Rhönrad-Report“. Und weiter: „Sobald sich das Rad dreht, und er sich aus seiner senkrechten Position heraus in die Schräglage begibt, verliert er die Orientierung.“

Ein bisschen ist Rhönradturnen wie Leben in der Waschmaschine. Alles dreht sich, und wo oben ist, weiß man nie so genau. Wer das erst mal realisiert hat, bestaunt schon die einfachen Übungen, die dann bei dem Neuköllner Sommer-Cup gezeigt werden, und zieht pfeifend die Luft ein, wenn die Turner auf einer Sprosse sitzend das Rad in Bewegung setzen, so dass es aussieht, als würden sie sich gleich über die eigenen Beine rollen.

Jenny, die am Ende des Sommer-Cups Platz drei erreicht, hat direkt mit dem Rhönrad angefangen. Kunstturnerin war sie zuvor nicht. Anders als ihre Vornamensvetterin Jenny Hoffmann aus Strausberg, die drei Mal Weltmeisterin war. Die sagt, dass ihr am Rhönrad die zusätzliche Herausforderung mit dem sich drehenden Raum gefallen habe, den sie neben ihrem Körper noch beherrschen musste. Klingt einleuchtend. Klingt gut. Klingt anspruchsvoll. Und der Fußball? Ach, gehen wir einfach weiter. Zur letzten Station.

6. Station: Turniertanz

Immer im Takt: Lisa Hoop und Patrick Dubrick gewinnen in der Klasse C beim Panke-Sommerpokal der Turniertänzer.
Immer im Takt: Lisa Hoop und Patrick Dubrick gewinnen in der Klasse C beim Panke-Sommerpokal der Turniertänzer.

© René Bolcz

Die Panke-Sommerpokal-Teilnehmer lockern sich wie Boxer. Sie lassen ihre Schultern kreisen und ihren Kopf, sie hüpfen ein bisschen auf der Stelle, schütteln die Beine aus. Manche noch in Trainingsjacken. Aber schon frisiert und geschminkt. Auch die Männer. Weil das, was sie gleich zeigen, ihnen zwar einen Energieeinsatz vergleichbar mit einem 400-Meter-Sprint abverlangen wird – aber nicht so aussehen soll: Sie werden tanzen.

Etwas mehr als 100 Paare sind gemeldet, die in den Leistungsgruppe D (niedrig) bis A (hoch) Standard oder Latein zeigen. Ausrichter ist der Turniertanzkreis am Bürgerpark in Pankow, einer von gut zehn Tanzsportvereinen in Berlin, und der Ablauf ist streng durchgetaktet, elf Uhr Start, 16 Uhr 30 letzter Wettbewerb. Wer es also zum 18-Uhr-Anpfiff der WM-Partie Brasilien – Chile schaffen will, hat eine realistische Chance. Aber zumindest am Vormittag interessiert sich hier kaum einer für Fußball.

Die ersten Paare tanzen sich im Ballsaal ein. In einem hohen Raum hinter der Tanzfläche ziehen andere sich noch um. Männer mit geradem Kreuz legen Arme um unsichtbare Frauen und schauen streng in den Spiegel. Frauen zupfen an strassbesetzten Kleidern, die ab 750 Euro kosten. Es riecht nach Parfum statt nach Schweiß.

„Viel Spaß beim Ausweichen“, wünscht der Moderator, als die ersten sechs Paare loslegen. Nach dem langsamen Walzer ein Quickstep. Die Lieder werden nicht zu Ende gespielt. Einer Tänzerin läuft der Schweiß samt Lidstrich übers Gesicht.

Rund um die Tanzfläche stehen fünf Punktrichter. Sie bewerten Takt, Rhythmus, Musikalität. Komplizierte Figuren sind persönliches Risiko. Es gilt: Man kann auch mit Grundschritten Weltmeister werden. Sie müssen nur perfekt sein.

Gewertet wird offen. Die Richter halten Noten hoch. Von 1 bis 6, wie in der Schule. Das beste Paar darf noch in der nächsthöheren Klasse mittanzen. In Klasse C gewinnen Lisa Hoop und Patrick Dubrick und machen also noch im Wettbewerb der Klasse B mit – auch wenn ihre Füße längst nur noch Schmerz sind und Lisa Hoop in jeder Liederpause schnell die Tanzschühchen auszieht. Die Anforderungen sind von D nach B sprunghaft angestiegen. In B wird geschwebt.

Patrick Dubrick, 21, ist nach dem typischen Jetzt-ist-Tanzschule-dran-Tanzkurs beim Tanzen hängengeblieben, weil es immer zu wenig Jungs gab und er gebeten wurde, auszuhelfen. Ihm gefällt am Tanzen, dass es nie aufhört. Dass es nicht nach 90 Minuten vorbei sein muss. Für sein Hobby wird er bei Arbeit verspottet. Er ist Karosseriebauer in einer Kfz-Werkstatt. Für die Kollegen gibt es nur einen Sport: Fußball. Wenn sie Dubrick aufziehen wollen, stampfen sie mit gespreizten Armen im Kreis und rufen eins-zwei-drei. Dubrick grinst. Was soll man dazu sagen, die haben halt keine Ahnung.

Fußball und Sport

Ehrgeiz, Training, Ausdauer und das Ziel, besser zu sein als die anderen. Das ist noch bis zum Finale am morgigen Sonntag in Brasilien zu bewundern. Aber eben auch fast jedes Wochenende irgendwo in Berlin oder Brandenburg. Oder wie es der Landesschwimmverband formuliert: „Wer motiviert mitmacht, dem ist es letztlich egal, ob es sich bei seinem Sport um eine Randsportart oder ,König’ Fußball handelt.“ Fußball ist mehr als Sport? Das mag sein. Aber Sport in Berlin – das ist definitiv auch mehr als nur Fußball.

Dieser Text erschien am Vortag des WM-Finales in der Tagesspiegel-Samstagsbeilage Mehr Berlin.

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