Berlin: Reaktion auf den Angriff: "Wir sind gegen die Taliban und gegen den Krieg"
Rund um das Kottbusser Tor in Kreuzberg herrscht gestern Abend noch relativ reger Betrieb. Betroffenheit ist überall zu spüren bei den Türken in den Cafés und Dönerbuden rund um den belebten Platz.
Rund um das Kottbusser Tor in Kreuzberg herrscht gestern Abend noch relativ reger Betrieb. Betroffenheit ist überall zu spüren bei den Türken in den Cafés und Dönerbuden rund um den belebten Platz. Überall in den Gaststätten laufen die Fernseher, viele Gäste sitzen davor und schauen auf die Bilder. Fast alle auf dem Platz haben die ersten Bilder vom Krieg in Afghanistan gesehen. Wie die meisten Bewohner der Stadt waren auch die Berliner Türken zu Hause beim Abendessen oder warteten auf die Acht-Uhr-Nachrichten im türkischen Fernsehen, die durch die Zeitverschiebung in Deutschland um 19 Uhr ausgestrahlt werden.
Zum Thema Online Spezial: Kampf gegen Terror Dokumentation: Schröder zum US-Gegenschlag Schwerpunkt: US-Gegenschlag, Nato und Bündnisfall Schwerpunkt: Osama Bin Laden Chronologie: Terroranschläge in den USA und die Folgen Fotostrecke: Militärschlag gegen das Taliban-Regime "Wir sind sehr traurig. Gott stehe uns allen bei", kommentiert der Rentner Sefik Altun mit betroffenem Gesicht diese Bilder, während er vor der Imbissbude "Tandim Lahmacun" wartet. "Man hätte es zuerst mit Diplomatie oder Sanktionen versuchen sollen", sagt er. Er befürchtet, dass nun die Religionen aneinander geraten: "Das wäre das Ende unserer Welt." "Wer weiß, wieviel Unschuldige wegen eines Terroristen sterben werden, während wir schlafen", fragte er. Die Mitarbeiter der Imbissbude haben die Nachricht aus dem Radio erfahren. Auch dort herrscht gegen 20 Uhr reger Betrieb. Der Koch Mehmet Yildirim hat deshalb wenig Zeit. Er ist der gleichen Meinung wie der Rentner Sefik Altun.
Im Männercafé "Diyar" um die Ecke in der Dresdner Straße läuft auf einem Großbildschirm der türkische Ableger des amerikanischen Senders "CNN Türk". Hier will sich keiner äußern. "Wer kann mir garantieren, dass ich keinen Ärger bekomme, wenn ich meine Meinung äußere", fragt ein Gast. Die Männer haben Angst, entweder in die Rasterfahndung zu geraten oder ins Visier von islamischen Extremisten.
Aber der Besitzer des Ladens, Nazim Seylan, versichert: "Wir sind gegen die Taliban und gegen den Krieg." Das habe nichts mit Solidarität gegenüber der moslemischen Bevölkerung zu tun. "Bei diesem Krieg geht es um mehr. Es könnte ein Krieg der Kulturen mit verheerenden Folgen für alle Moslems werden", befürchtet er.
Viele sind auch mit den Gedanken in der Heimat. Nicht umsonst laufen den ganzen Abend über die türkischen Sender. Ein Krieg hätte für das Land am Bosporus schwere wirtschaftliche Folgen. Außerdem fürchtet man in der Türkei terroristische Anschläge. Die Taliban haben gegen alle Länder, die Amerika helfen, Vergeltungsschläge angedroht. Eine Berliner Türkin aus Schöneberg, die gerade aus der ehemaligen Heimat zurückgekommen ist, hat Angst, dass es auch in der Türkei zum Krieg kommt.
In der Emirsultan Moschee in der Hauptstraße in Schöneberg verlassen am Abend die gläubigen Männer das Gebetshaus. Gegen 20 Uhr hatten sie sich zum letzten Gebet des gestrigen Tages getroffen. Einen Kommentar zum Krieg will auch dort niemand abgeben. Ein Mitarbeiter bittet um Verständnis: "Jemand könnte etwas sagen, was nicht der Meinung der Moschee entspricht", sagt er. Die Gläubigen der Moschee hätten schon bei anderen Ereignissen schlechte Erfahrungen mit Journalisten gemacht. Dabei hatte die Moschee noch am Mittwoch zum "Tag der offenen Moscheen in Berlin" geladen.
suz