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Berlin: Rolf Eisenburg (Geb. 1954)

Vom Sichtbaren muss man sich nicht alles gefallen lassen.

Wir haben zwei Augen, aber nur ein Gesichtsfeld: Unsere Wahrnehmung ist eine ständige Stereoshow. Jedes Auge liefert sein Bild, im Gehirn werden die parallel gegebenen Informationen verrechnet, ein Einzelbild entsteht. Die Illusion der Wahrnehmung. Wir wissen mehr, als wir sehen; wir sehen mehr, als wir wissen. Und kümmern uns nicht drum.

„Der Mensch ist an die Fläche gebunden, als hinge seine Existenz davon ab. Er liebt die Flächen. Er liest Zeitung, hört Schallplatten, sieht auf einen Monitor. Er trägt Schilder, stempelt Urkunden und zählt Scheine. Seine Gedanken sind so flach wie die Stirn, hinter der sie sich abspielen.“

Wahrnehmung ist Mainstream. Das kann man sich abgewöhnen, durch einen Vollrausch, oder willentlich, durch Entkoppelung der Augen: Doppeltes Sehen. Von Postkarten kennt man das, „Magic Eye“, wenn die Wahrnehmung kippt, und ein räumliches Phantombild entsteht.

Rolf Eisenburg machte daraus eine Kunstform. „System Dual“ – ein Manifest des neuen Sehens, gründend auf dem trotzigen Beharren, dass man sich vom Sichtbaren nicht alles gefallen lassen darf.

Mein Sehfeld ist die Welt. Und die kann manchmal sehr klein sein. Sie zu weiten, heißt, absichtlich unscharf sehen, heißt, den Blick von den Dingen lösen, heißt, den Raum wahrnehmen. Die Fläche nicht länger als Wand, sondern als Vorhang, hinter der sich der Raum verbirgt, und hinter diesem Raum ein weiterer … und ein weiterer.

Er, der als Maler begonnen hatte, verabschiedete die Bilder. „Die Treppe hinunter“, so der Titel seiner letzten Ausstellung, stereografische Wandgemälde von opulenter Farbenpracht und minutiöser Detailarbeit. Abstrakt wirkende Farbformverläufe, die das Auge ins Unbekannte dirigieren, wenn es sich gehen lässt. Der Blick dringt durch Wände hindurch in immer neue Klein- und Kleinstuniversen.

Das Leben ist vorstellbar als eine Abfolge von Räumen, in vielen fühlen wir uns wohl, vor vielen fliehen wir, viele, sehr viel Räume haben wir nie betreten. „Die Menschen leisten sich eine sträfliche Abwesenheit vom Leben.“ Weil wir vor Vielem gern die Augen verschließen. Die einfachste Art, sein Dasein zu beenden: Die Augen schließen. Die einfachste Art sein Leben neu zu erfinden: Die Augen öffnen.

Etwas an unseren Sehgewohnheiten ist falsch: Wir lassen das Hässliche, das Grelle, das optisch Gewalttätige zu –, obwohl wir deutlich spüren, dass es nicht gut tut.

„So what?“ Die ewig gleiche Frage des Machers an den Meditierenden: Wo führt uns das hin?

Falsche Frage. Wer die Treppe hinunter geht, kann nicht einfach haltmachen. Rolf Eisenburg war besessen von seinen visuellen Expeditionen in neue Wahrnehmungsräume, wohl wissend um die Gefahr, sich darin zu verlieren.

Viele Freunde gingen diesen Weg nicht mit, sein Galerist ging ihn nicht mit, Käufer hielten sich fern. Auch seine Frau war gegangen. Für eine neue Liebe fand er nicht den Mut, nicht die Zeit, nicht die Gelegenheit. Ein Mönch seiner Kunst.

„So what?“ Freunde blieben, die Musik, die Leidenschaft fürs Werk, sein Zuhause. Ein kleines panoptisches Museum. An die Wände tapeziert, ein flirrender Fries von Farbgeometrien, hineingestreut unzählige Splitter von Spiegelscheiben: „Ich sehe was, was du nicht siehst .“

Ein seltsames Gefühl muss das gewesen sein: Man hat Flügel, aber keine Winde mehr.

Das Rauchen ließ er nicht, aber das Essen. Er schwand dahin. Möglich, dass es ihm selbst gar nicht auffiel, denn in der Arbeit ließ er nicht nach, obwohl es sich nicht auszahlte. Er hing nicht am Materiellen, sein italienisches Rennrad ausgenommen.

Er sicherte es immer sorgfältig. Auch an seinem letzten Tag, als er hochging in die Werkstatt. Aber hätte er es nicht noch fest an einen Fahrradständer anschließen sollen? Er eilte die Treppen hinunter, kein Fahrrad, er dachte, es wäre gestohlen worden, rannte hoch in die Werkstatt, wurde beruhigt, nein, nein, man habe es nur für ihn sicher verwahrt. Die Erleichterung brach ihm das Herz. Gregor Eisenhauer

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