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Berlin: Rot-Rot in Berlin: Ein Fehlstart als heilsamer Schock

Nach der chaotischen geheimen Wahl des rot-roten Senats geht in der Koalition die Angst um die Geschlossenheit um, die für die Regierungsfähigkeit unabdingbar ist. Selten haben Regierende Bürgermeister, geschweige denn Senatoren, alle Stimmen aus dem Regierungslager erhalten.

Nach der chaotischen geheimen Wahl des rot-roten Senats geht in der Koalition die Angst um die Geschlossenheit um, die für die Regierungsfähigkeit unabdingbar ist. Selten haben Regierende Bürgermeister, geschweige denn Senatoren, alle Stimmen aus dem Regierungslager erhalten. Doch diesmal zeugte das Wahlverhalten von Misstrauen und Konfusion. Bei der SPD ist man sich "ganz sicher", dass es auch in der PDS "U-Boote" gab. "Niemals war das nur die SPD, aber ich will kein Gift in Umlauf bringen", sagt SPD-Fraktionssprecher Peter Stadtmüller. Die PDS macht gar nicht erst den Versuch der Unschuldsbekundung; Fraktionssprecher Günter Kolodziej will dafür "nicht die Hand ins Feuer legen".

Zum Thema Online Spezial: Rot-Rot in Berlin Kurzporträt: Der neue Senat Im Gegensatz zur PDS herrschte in der SPD allerdings schon Tage vor der Senatswahl schlechte Stimmung und Kritik an Klaus Wowereit. Sie brach sich in dem Ärter Bahn, dass die SPD für den Senat keine zwei Frauen und niemanden mit Ost-Vita gefunden hatte. Nicht Wowereit, sondern Parteichef Peter Strieder wurde dafür als Stadtentwicklungssenator abgestraft; er fiel im ersten Wahlgang mit 68 gegen 70 Stimmen bei zwei Enthaltungen durch; 76 Stimmen hatte die Koalition. Strieder hatte bei Senatswahlen immer knapp abgeschnitten.

Die Parlamentssitzung wurde unterbrochen; die SPD-Fraktion ging mit sich zu Rate. Von blankem Entsetzen war die Rede, von Fassungslosigkeit, von Selbstzerstörung und Mandatsmissbrauch der Heckenschützen; mittags beim Zählappell hatte sich kein Kritiker zu Wort gemeldet. Strieder sagte kein Wort, wurde jedoch gebeten, in den zweiten Wahlgang zu gehen. Nach einer Unterredung mit Strieder und Fraktionschef Michael Müller entschied sich Wowereit auch dafür. Er machte den Seinen klar, dass man sich U-Boote nicht noch einmal leisten könne. Diesmal bekam der Strieder, oh Wunder, 75 Stimmen. In der Partei hatte es während der Koalitionsverhandlungen viel Lob für Strieder gegeben. Gestern hieß es: "Das hat er nicht verdient, er war das Opfer."

Der Kriechstrom steckte in der Senatswahl. Doch Wowereit wurde passabel mit 74 Stimmen gewählt, ein Signal, dass die Senatsbildung nicht scheitern sollte. Karin Schubert (SPD) bekam als Zugereiste - und Frau! - sogar 75, eine mehr als Wowereit. Doch die Gysi-Wahl mit nur 70 Stimmen muss die PDS alarmiert haben; auch der nächste, Klaus Böger (SPD) bekam nur 70, es wirkte wie eine Revanche. Dann schrammte Thilo Sarrazin (SPD) mit 68 Stimmen an der Niederlage knapp vorbei, für Zugereiste ganz ungewöhnlich, sie erhielten bisher immer Vertrauensvorschuss. Doch Sarrazin ist eben keine Frau. Seine Wahl wurde aber wegen Abstimmungsbetrugsverdachts aus den Reihen der CDU wiederholt, da schnitt er mit 73 Stimmen besser ab. Heidi Knake-Werner (PDS) wurde als Frau wieder mit 74 bedacht. Ehrhart Körting (SPD) brachte es sogar auf 77, einer von der Opposition wählte ihn mit.

Und dann fiel Strieder durch. In den SPD-Köpfen spielte sich schon eine politische Dauerkrise mit Erörterungen über die Neuauflage der Großen Koalition oder erneuten Neuwahlen ab. Folglich musste Wowereit den Strieder und Strieder den rot-roten Senat retten. Wer zuletzt lacht, lacht am besten. Das war Thomas Flierl (PDS). Vor Schreck votierten alle 76 Koalitionäre für ihn. Bei so viel Verunsicherung hofft man nun, "dass Schock heilsam wirkt", denn sonst kann sie nicht viele Entscheidungen durchs Nadelöhr des Parlaments bringen. Sechs Stimmen über der absoluten Mehrheit hat sie; die werden gebraucht.

Welche Konsequenz hat die Abstrafung für Strieder? Auf dem Landesparteitag im Juni steht die turnusmäßige Wahl des Landesvorstandes an. Um seine Wiederwahl musste der Parteichef im Sommer 2000 wochenlang unter großem Getöse kämpfen. Seit dem Bruch der Großen Koalition gewann er an der Seite Wowereits Statur. Man ließ ihn nicht nur in Frieden, sondern lobte ihn. Wowereit hat kein Interesse am Parteivorsitz, ein Strieder-Konkurrent ist nicht in Sicht. Über etwas anderes als seine Wiederwahl wollte gestern keiner nachdenken: "Er hat schon so viele Schrammen bekommen, er ist ein Stehaufmännchen."

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