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„Das Jahr muss ein Praxisjahr werden“: Was das elfte Pflichtschuljahr für Berlin bringen soll
Berliner Zehntklässler ohne Berufsperspektive sollen künftig ein elftes Schuljahr dranhängen. Grüne und GEW fordern Nachbesserungen an dem Konzept.
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Der höchste Anteil an Schulabgängern ohne Abschluss, die höchste Jugendarbeitslosigkeit, aber freie Ausbildungsplätze ohne Ende: Am Donnerstag wurde im Schulausschuss im Berliner Abgeordnetenhaus berichtet, wie sich das mittels eines zusätzlichen Pflichtschuljahres ändern soll und wie Alternativen aussehen könnten.
Klar ist: Wenn Berlin ab 2025/26 ein elftes Pflichtschuljahr einführt, macht es nur das nach, was es andernorts schon in unterschiedlichen Formen gibt. Darauf wies Bildungssenatorin Katharina Günther-Wünsch (CDU) am Donnerstag anlässlich einer Anhörung im Bildungsausschuss hin.
Nun aber soll es schnell gehen, nachdem ihre SPD-Vorgängerinnen im Amt es im Laufe mehrerer Legislaturperioden nicht geschafft hatten, den Beispielen anderer Länder zu folgen. SPD-Bildungsexpertin Maja Lasic begründete die jahrelange Verzögerung bei der Umsetzung des alten SPD-Vorhabens zuletzt mit der Gegenwehr in den Koalitionen mit Linken und Grünen. Auch die CDU habe es zunächst nicht mittragen wollen.
„Wir können unglaublich viel von Hamburg lernen“, betonte IHK-Geschäftsführer Jan Pörksen, der im Ausschuss aus Sicht der Unternehmen zum neuen Pflichtschuljahr Stellung nehmen sollte. Diese in der aktuellen Schulgesetznovelle verankerte Reform sei „genau der richtige Weg“.
Pörksen machte auch deutlich, wie viel Berlin dadurch verliert, dass es seine Jugendlichen nicht richtig begleitet, sondern über 3000 von ihnen Jahr für Jahr in die Schwarzarbeit oder an die soziale Hängematte entgleiten lässt: Rund die Hälfe der IHK-Mitglieder hätten bei einer Befragung angegeben, dass Ausbildungsplätze frei blieben, etwa 30 Prozent hätten „keine einzige Bewerbung bekommen“.
Einig waren sich alle Anzuhörenden und auch die Senatorin darin, dass man „keine Entweder-oder-Debatte“ führe: Parallel zum elften Pflichtschuljahr müsse auch die Berufsberatung und -orientierung in der Mittelstufe besser werden.
Dieser Ansicht ist auch die Sprecherin für Berufsbildung der Grünen, Klara Schedlich: „Mein Hauptanliegen ist, dass die berufliche Orientierung in der Allgemeinbildung besser werden muss“, sagte sie dem Tagesspiegel. Das Problem der orientierungslosen Jugendlichen müsse „schon früher angegangen werden“.
Deswegen wollen die Grünen Berufsberatung in den Jugendberufsagenturen stärken und die Berufsorientierungsteams in den Schulen „besser aufstellen“. Hier müsse es auch mehr „Beziehungsarbeit“ zwischen den Jugendlichen und den Beraterteams geben: „Es reicht nicht, wenn man ein Mal ein Beratungsgespräch hatte und dann nie wieder über die Ergebnisse spricht“, betont Schedlich. Im aktuellen Vorhaben des Pflichtschuljahres, das die Grünen lieber „Perspektivenjahr“ nennen wollen, sieht Schedlich im Übrigen einen „Schnellschuss“. Das Konzept stehe ja noch gar nicht, sagte sie im Ausschuss.
Berufsschulen sollen schwierige Jugendliche als „Ankerschulen“ begleiten
Dem widersprach die Senatorin allerdings und verwies auf vier „Arbeitsbündnisse“, die mit den Einzelheiten des Projekts befasst seien. Zum Konzept gehört, dass etwa 15 Berufsschulen als „Ankerschulen“ die schwierigsten rund 1000 Jugendlichen nach der zehnten Klasse begleiten sollen. Die Namen der Schulen seien „intern“ schon bekannt, würden aber noch nicht mitgeteilt, antwortete ein Mitarbeiter der Verwaltung während der Anhörung auf Anfrage der SPD-Sprecherin für Berufsbildung, Sevim Aydin, die das Projekt des elften Pflichtschuljahres in der Koalition ebenfalls vorangetrieben hatte.
Wie der Tagesspiegel berichtete, handelt es sich bei einer dieser Ankerschulen um das Oberstufenzentrum Peter Lenné. Dessen Schulleiter Stefan Alker sagte im Ausschuss: „Wir wollen die coole Schule erfinden“. Das solle geschehen, indem man den Jugendlichen die Vielfalt der beruflichen Möglichkeiten mit sehr viel Praktika und intensiver Begleitung vermittle.
Die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) begrüßte bei der Anhörung im Ausschuss das Vorhaben „grundsätzlich“ und das damit verbundene Monitoring der Bildungswege, „damit niemand verloren geht“, wie Karin Petzold, die Leiterin des GEW-Vorstandsbereichs Schule erläuterte.
Ebenso wie die Grünen fordern die Gewerkschafter eine „individuelle und multiprofessionelle Begleitung“ der jungen Menschen. Es dürfe für Jugendliche, die negative Erfahrungen mit der Schule gemacht und vielleicht auch eine Schuldistanz entwickelt hätten, „kein verpflichtendes Mehr von demselben geben“, sondern etwas ganz anderes als den herkömmlichen Unterricht.
Darin allerdings waren sich alle einig: „Das Jahr muss ein Praxisjahr werden“ betonte Pörksen von der IHK. Er ermunterte die Koalition, so wie Hamburg ein Landesinstitut für Berufliche Bildung zu gründen. Das steht in der Koalitionsvereinbarung nur als „Prüfauftrag“ verankert. Der IHK ist das zu wenig.
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