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Eselsleitern bringen Lehrer ihren Schülern gerne bei, Rechentricks bilden eher die Ausnahme.

© dpa/Marijan Murat

Update

Tricksereien bei Zahlen zum Lehrermangel?: „An Berliner Schulen zu arbeiten, ist unattraktiv“

Die Gewerkschaft GEW wirft dem Bildungssenat vor, die Personallage zu beschönigen. Es drohe der Verlust von dringend benötigten Quer- und Seiteneinsteigern.

Stand:

Eigentlich bleibt alles beim Alten, es wird sogar ein bisschen besser. So lesen sich die Zahlen zu den Berliner Lehrkräften für das kommende Schuljahr, die der Senat für Bildung, Jugend und Familie (Senbjf) vor einer Woche präsentierte. Blieben letztes Schuljahr noch 716 Lehrerstellen unbesetzt, sind es in diesem Schuljahr nur noch 695. Doch wie kann das sein? 

Gerade erst berichtete der Tagesspiegel, dass 2573 Lehrkräfte die öffentlichen Schulen in der Hauptstadt verließen, knapp 1000 kündigten ihre Verträge. Ersetzt werden sie durch 4762 neu eingestellte Lehrer. Das Problem: 3300 von ihnen, also fast zwei Drittel, sind Seiteneinsteiger oder Studierende. Hinzukommt, dass die Berliner Schulen zum neuen Schuljahr 7000 Kinder mehr aufgenommen haben als noch 2023/24.

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Berliner Lehrkräfte kündigten im vergangenen Schuljahr ihre Verträge

Martina Regulin, die Berliner Vorsitzende der Lehrergewerkschaft GEW, hat eine Erklärung für die „Rechentricks“ des Senats: Zum einen seien 310 Stellen für Förderunterricht gestrichen worden, zum anderen sei der verpflichtende Unterricht für Referendare von sieben auf zehn Wochenstunden erhöht worden – das entspreche 160 weiteren Stellen.

341 weitere Lehrerstellen fielen aus der Rechnung, weil deren Unterrichtsstunden in andere Berufsgruppen ausgelagert wurden. Möglich ist das, weil in multiprofessionellen Teams gelehrt werden kann, also etwa von Schulassistenzen und Sozialarbeitern.

Die Klassen werden immer größer, immer mehr Unterricht fällt aus. Es verwundert nicht, dass im letzten Jahr 1000 Lehrer gekündigt haben.

Martina Regulin, Vorsitzende der GEW Berlin

„Aufgrund des Personalmangels werden die Klassen immer größer, immer mehr Unterricht und Förderstunden fallen aus“, resümiert Regulin. „Es verwundert nicht, dass im letzten Jahr 1000 Lehrer gekündigt haben. An Berliner Schulen zu arbeiten, ist leider unattraktiv.“

In Anbetracht der Kündigungen sowie der personellen Unterbesetzung, manche Schulen hätten im Vorjahr nur 70 Prozent der benötigten Lehrer zur Verfügung gehabt, spricht Regulin davon, dass sich die Berliner Lehrer im „Überlebensmodus“ befinden. Die Kürzungen der Förderstunden muss rückgängig gemacht, die vom Senat vorgesehene Kürzung des Bildungsetats um 10 Prozent gestoppt werden, fordert die GEW.

„Nicht nach realer Leistung bezahlt“

Neben dem obligatorischen Appell an den Senat für kleinere Klassen richtet die Gewerkschaft ihren Fokus auf die Weiterbildung und Einbindung der steigenden Zahl von Quer- und Seiteneinsteigern. Eine Befragung von Berliner Lehrkräften durch Forschende der Universität Göttingen zeige, dass Lehrer sich nicht ausreichend auf ihren Job vorbereitet fühlen. Jeder dritte befragte Quereinsteiger sagt, dass ihm bei der Einarbeitung am Arbeitsplatz nicht „alles Wichtige“ gezeigt wurde. Unter den Seiteneinsteigern, die sich von ihren Kollegen oft nicht wertgeschätzt fühlen, geben das sogar 58 Prozent an.

Die GEW fordert, das Training, das Quereinsteiger vor dem ersten Unterricht absolvieren müssen, von einer auf mindestens vier Wochen auszubauen. Ein Training für Seiteneinsteiger ist nicht vorgeschrieben. Den Neulehrern, ob Quer- oder Seiteneinsteiger, sollten außerdem kompetente Mentoren beiseitegestellt und finanziell eine Perspektive aufgezeigt werden

Quer- und vor allem Seiteneinsteiger verdienen deutlich weniger als studierte Lehrer, übernehmen deswegen aber nicht weniger Verantwortung. 75 Prozent der Seiteneinsteiger übernehmen etwa eine Klassenleitung. „Anders als in anderen Branchen gilt im Lehramt, dass nicht nach realer Leistung, sondern nach der formalen Qualifikation bezahlt wird“, sagt Studienleiter Frank Mußmann. „Das muss sich ändern, denn es geht darum, die Quer- und Seiteneinsteiger im Beruf zu halten.“

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