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Bis 2030 soll Berlins Zentrum autofrei sein - so zumindest der Plan von Verkehrssenatorin Regine Günther (Grüne).

© Britta Pedersen/dpa

Mehr Mobilität in Berlin: Senat hat keinen Überblick über neue Radwege

Verkehrssenatorin Günther weiß nicht, wo aktuell in Berlin Radwege gebaut werden. Doch ein Start-up hat mit den Bezirken eine frei zugängliche Karte erstellt.

Die politische Marschroute von Umwelt- und Verkehrssenatorin Regine Günther (Grüne) sorgt nicht nur für viel Zorn bei Pendlern und Autofahrern, sie klingt auch visionär: Im Jahr 2030 soll die Berliner Innenstadt für Autos mit Verbrennungsmotor Sperrgebiet sein. Statt in ständiger Konkurrenz zu stinkenden Pkw sollen Fußgänger und Radfahrer Wege und Straßen dann für sich allein haben. Für weitere Wege soll der bis dahin deutlich besser ausgebaute öffentliche Personennahverkehr dienen. In elf Jahren soll die Busflotte der Berliner Verkehrsbetriebe vollständig elektrifiziert sein.

Radwegbaustatistik wird in Berlin nicht geführt

Wie weit Anspruch und Wirklichkeit voneinander entfernt liegen, offenbarte zuletzt eine Schriftliche Anfrage des FDP-Fraktionsvorsitzenden Sebastian Czaja zu Planung, Bau und Fertigstellung von Radwegen in der Stadt. In ihrer Antwort hatte die für die angestrebte Verkehrswende zuständige Senatsverwaltung einräumen müssen, dass ihr jeder Überblick darüber fehlt, wo neue Radwege gebaut werden und wo nicht. Eine „entsprechend genaue und nach Bezirken unterscheidende Radwegebaustatistik wird in Berlin nicht geführt“, erklärte Verkehrsstaatssekretär Ingmar Streese in der zuerst im Tagesspiegel-Checkpoint veröffentlichten Antwort.

Die für den Bau zuständigen Bezirke seien weder verpflichtet noch in der Lage, „zeitnah entsprechend genaue Angaben an die Senatsverwaltung für Verkehr, Umwelt und Klimaschutz zu übermitteln“, hieß es. Auch eine Antwort auf die Frage, wie viele Meter Radweg zwar geplant, aber bisher nicht gebaut werden konnten, blieb er unter Verweis auf einen „mehrstufigen Prozess, der durch verschiedenste Beteiligte durchgeführt“ werde, schuldig.

Berliner Start-up verfügt bereits über alle Daten

Während Czaja die fehlenden Antworten Streeses als Offenbarungseid interpretierte und dem Ausbau der Radwege jede Systematik absprach, zeigte sich Boris Hekele „verblüfft bis verwundert“. Der Grund dafür: Hekele ist Gründer des Start-ups „FixMyBerlin“, das bei der Umsetzung des Mobilitätsgesetzes begleiten und digitale Werkzeuge für die Verkehrswende entwickeln will. Die von Czaja abgefragten Informationen zu Radwegen in Berlin – ganz egal ob geplant, im Bau oder fertiggestellt – hatten er und seine wenigen Mitarbeiter ein Jahr lang in Zusammenarbeit mit den Bezirken eingeholt und visualisiert.

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Eine übersichtliche Grafik dazu, skalierbar von der Gesamtübersicht Berlins bis hinein in einzelne Straßenzüge, ist im Internet einsehbar. Dort hätte sich Czaja, vor allem aber Verkehrsstaatssekretär Ingmar Streese, in wenigen Klicks informieren können. „Wir haben uns stark gewundert über die Aussage, dass es dazu keine Daten geben würde“, erklärte Hekele am Mittwoch im Gespräch mit dem Tagesspiegel. Schließlich sei die Karte schon länger online und sollte der Senatsverwaltung für Umwelt, die auf der Homepage von „FixMyBerlin“ als „Partner“ gelistet ist, bekannt sein. Weiter heißt es dort, die für Verkehr zuständige Senatsverwaltung unterstütze die Plattform durch Bereitstellung von Daten.

"FixmyBerlin" von Senatskanzlei gefördert

Im konkreten Fall hätte es umgekehrt laufen können. Gefördert wird „FixMyBerlin“ übrigens mit rund 90.000 Euro von der Senatskanzlei. Öffentliche Gelder für ein Start-up, dessen Arbeit dann von der landeseigenen Verwaltung nicht genutzt wird. Während Czaja und auch Nikolas Linck, Sprecher des ADFC in Berlin, die Nicht-Antwort Streeses zum Anlass für scharfe Kritik genommen hatten, beließ es Hekele bei einem indirekten Seitenhieb. „Mit elf von zwölf Bezirken arbeiten wir sehr gut zusammen, die sind wirklich dankbar für diese Übersicht“, erklärte der Geschäftsführer von „FixMyBerlin“. Einzig mit dem Reinickendorfer Bezirksamt sei bislang keine Zusammenarbeit zustande gekommen.

Die Sprachlosigkeit der Senatsverwaltung jedoch habe ihn irritiert, schließlich sei diese für die Bereitstellung der Haushaltsmittel zum Ausbau der Radinfrastruktur verantwortlich. Ohne eigenen Überblick dürfte das schwierig werden, erklärte Hekele. Fragwürdig in seinen Augen: warum die 2017 gegründete und mit der Bündelung bezirksübergreifender Maßnahmen für eine verbesserte Radverkehrsinfrastruktur beauftragte infraVelo GmbH aktuell eine Übersicht des bestehenden und geplanten Radwegenetzes in Berlin erarbeitet, obwohl diese längst vorliegt und für jedermann einsehbar ist.

Senatsverwaltung weist Vorwürfe zurück

Der Sprecher der Senatsverwaltung wies die Vorwürfe zurück und erklärte, sehr wohl einen Überblick über die Radinfrastruktur zu haben. Das Angebot der Firma lobte der Sprecher: „FixMyberlin hat da ein tolles Tool entwickelt, da ist die Zivilgesellschaft manchmal schneller als die Verwaltung. Allerdings sind die Daten auch nicht ganz aktuell“, sagte er.

Hekele wiederum gewährte Einblick in Pläne seines Unternehmens. Ihm zufolge zieht das Start-up eine Verlagerung des eigenen Engagements in andere Großstädte zumindest in Betracht. Konkrete Planungen der Zusammenarbeit gebe es derzeit mit der niederländischen Stadt Utrecht und Gemeinden im Berliner Umland. Auch Städte wie Osnabrück oder Bielefeld hätten Interesse bekundet, erklärt Hekele. Mit Blick auf die Hürden bei der Zusammenarbeit mit der Verkehrsverwaltung sagt er: „Wenn wir es in Berlin geschafft haben, schaffen wir es überall.“

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