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Die Sängerin Sophie Hunger in Kreuzberg.

© Daniel Hofer

Doktor Körners gesammeltes Schweigen: Sophie Hunger, ein Flamingo auf Rollschuhen

Was erfährt man über einen Menschen, wenn man nicht mit ihm spricht? Diesmal: die Sängerin Sophie Hunger.

Welcher Gott des Gemetzels hat uns nur zusammen auf diese Straße geworfen? Wir staksen wie zwei fremde Lebensformen nebeneinander aneinander vorbei, sie ein Flamingo auf Rollschuhen, ich ein Frosch in Gummistiefeln. Unser Gespräch war verstorben, als ich fragte, ob wir nicht zusammen schweigend Fußball spielen wollten. Sie lasse sich nicht zum Affen machen! Peng. So ziehen wir schockgefroren los, sie stellt sich dann auf einen Bauschutthaufen, ich sehe mit verschränkten Armen zu, wie sie fotografiert wird. Dann weiter, die Köpenicker entlang, Bethaniendamm rauf und runter. Das Schweigen ist ganz und gar ausdrucksvoll. Sie ist eine widerspruchsvolle Freiheitsheldin, gefangen in den Widersprüchen einer Pop-Existenz. Ihr werden Unfreiheiten zugemutet, wo sie doch nur - in der Musik - das Ungebundene sucht. Man kann nicht einfach nur sein, man muss das Sein und das Selbstsein hart erarbeiten, dazu gehört offenbar auch der Kontakt mit Fröschen in Gummistiefeln. Ganz gewiss bin ich nicht die erste Absurdität, die ihr das Leben zumutet.

Widerborstig und stachelfroh

Für einen Augenblick fällt unser Schweigen, unsere Aufmerksamkeit auf ein seltsames Stillleben am Straßenrand: Kinderkleidung, Babynahrung, ein paar Pappteller, das steht so stumm und anklagend, als sei gerade eben eine Familie auf der Flucht noch mal vertrieben worden. Die Sonne sticht, in staubiger Ferne schleichen die Visagistin, der Pressemann und der Fotograf hinterdrein. Alles fühlt sich falsch an. Das Kreuzberg, das hier blüht, ist eine Schwindlerexistenz. Hinter den proletarischen Fassaden tobt längst eine urbane Hippie- und Hedonistenjugend auf der Suche nach Bedeutung. Bierflaschen überall, Berlin, du Bierselige. Wir, ganz trocken, aber durstig, könnten dieses Schweigen vermutlich nur mit Schnaps auslöschen, aber in uns wogt ein Meer von Nüchternheit. Ihr Schweigen wahrt eine gewisse Form, sie arbeitet es ab, pragmatisch einerseits, aber widerborstig und stachelfroh. Sie ist keine Frau des falschen Friedens, keine Scheinheilige, keine Königin des marktkonformen Lächelns. Sie tanzt sich zwischen den Märkten die Füße wund und sucht ihr Auskommen als Mensch und Künstlerin. Dann gehen wir rasch auseinander, der Händedruck ist leer und voller Uneinverstandensein.

Sophie Hunger, 35, verkauft mit ihrem minimalistischen elektronischen Folk sechs Berliner Konzerte in sechs Tagen aus. Für alle, die nicht da waren: Gerade ist ihr beglückendes neues Album „Molecules“ erschienen.

Dr. Torsten Körner, geboren 1965 in Oldenburg, ist Journalist und Schriftsteller. Für diese Kolumne führt er Interviews ohne Worte.

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