
© Anna Thewalt
Sozialarbeiter demonstrieren: „Die härteste Tür Berlins ist nicht das Berghain, sondern die Jugendhilfe“
Das Hilfesystem sei marode, sagen die Beschäftigten. Sie werfen dem Senat vor, die schlechte Situation herbeigeführt zu haben.
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Die Schilder sind anklagend: „Systemsprenger? Systemfehler!“, „Burn-out kann tödlich sein“, „Gebt uns nachhaltige Lösungen“, steht auf Papppapier, das Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeiter am Dienstagmorgen vor dem Roten Rathaus in die Höhe halten.
Über 100 von ihnen sind dem Aufruf des Deutschen Berufsverbands für Soziale Arbeit (DBSH) und der AG Weiße Fahnen, die aus Vertretern der Jugendhilfe besteht, gefolgt, um ihren Unmut über die Situation im Kinder- und Jugendnotdienst kundzutun. Parallel tagt im Roten Rathaus der Senat.
Mitte Juni hatte die Bildungsverwaltung einen teilweisen Belegungsstopp im Berliner Kindernotdienst (BNK) verhängt. Kinder und Jugendliche, die bereits einen Platz in einer Hilfeeinrichtung haben, dürfen nicht mehr an den Notdienst überwiesen werden. Auch Kinder, bei denen das Jugendamt eine Inobhutnahme angekündigt hat, dürfen nicht überwiesen werden. Wie berichtet, haben sich darüber bereits Jugendamtsleiter sowie die AG Weiße Fahnen beschwert. Auch der Hauptpersonalrat hat sich deswegen bereits an Bildungssenatorin Katharina Günther-Wünsch (CDU) gewandt.
„Der Aufnahmestopp ist nur das i-Tüpfelchen der jahrelangen Sparpolitik“, ruft Anja Schauer, Mitglied der AG Weiße Fahnen und Sozialarbeiterin in einem Berliner Jugendamt, ins Megafon vor dem Roten Rathaus. Die Jugendämter wüssten oft nicht, wo sie in Obhut genommene Kinder, die etwa aus gewalttätigen Familien geholt wurden, unterbringen sollen. Das gesamte System des Kindernotschutzes sei „marode“. „Die härteste Tür Berlins ist nicht mehr das Berghain, sondern die Kinder- und Jugendhilfe“, sagt Verena Bieler vom DBSH.

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Im Laufe der Kundgebung berichten mehrere Sozialarbeiterinnen von ihrem Alltag. Eine Mitarbeiterin des Regionalen Sozialpädagogischen Dienstes, der zum Jugendamt gehört, erzählt von einem zehnjährigen Jungen, der in seiner Familie mit einem Gürtel geschlagen worden sei. „Wir haben für ihn keinen Platz in einer Einrichtung gefunden“, sagt die Mitarbeiterin. Man habe den Jungen dann nur zur Familie eines Schulfreundes bringen können. Dessen Mutter habe den Jungen aufgenommen, weil er ihr so leidtue. Mehrere Sozialarbeiterinnen berichten von ähnlichen Vorfällen.
Zwischendurch rufen die Demonstrierenden: „Die Jugendhilfe ist kollabiert, weil der Senat so schlecht regiert“, und fordern Bildungsstaatssekretär Falko Liecke (CDU) im Sprechchor dazu auf, mit ihnen zu reden. Viele fürchten, dass es für echte Lösungen zu wenig Geld gibt. „Die Haushaltsverhandlungen für 2025 lassen nichts Gutes erwarten“, sagt eine Demo-Teilnehmerin. Die Protestierenden fordern, bei der Suche nach Lösungen aktiv eingebunden zu werden. „Wir müssen uns verbinden, wir müssen zusammenhalten“, sagt Bieler gegen Ende der Veranstaltung mit Blick auf die Mitarbeiter des Kindernotschutzes, der Jugendämter und der freien Träger. Nur so könne man an der Situation etwas ändern.
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