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In einer Apotheke wird eine Medikamentenpackung mit der Aufschrift „Tilidin“ gezeigt. (Symbolbild)

© dpa/Uli Deck

Staatsanwaltschaft erhebt Anklage: Berliner Ärztin soll suchtkranke Patienten mit Tilidin versorgt haben

Eine Ärztin soll in ihrer Praxis das gefährliche Tilidin verschrieben haben – ohne medizinischen Grund. Die Medizinerin stand zuletzt wegen falscher Corona-Impfzertifikate vor Gericht.

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Über Jahre ist ermittelt worden, massenhaft Krankenkassen-Daten und Praxis-Unterlagen wurden gesichtet. Nun klagte Berlins Staatsanwaltschaft eine inzwischen 80-jährige Ärztin an, die suchtkranken Patienten ohne medizinischen Grund das Schmerzmittel Tilidin verschrieben haben soll.

Der Frau werden 273 Verstöße gegen das Betäubungsmittelgesetz sowie Untreue vorgeworfen, teilte die Staatsanwaltschaft am Freitag mit. Sie soll die Verschreibungen bei den Kassen der Patienten abgerechnet haben. Die Justiz bezieht sich auf Taten zwischen Januar 2018 und Dezember 2021 in der Praxis der Ärztin in Grunewald.

Die Allgemeinmedizinerin soll Patienten, die ihr als süchtig bekannt gewesen seien, Tilidin „in das therapeutische Maß erheblich übersteigenden Mengen“ verschrieben haben. Dabei habe sie in Kauf genommen, schreiben die Ankläger, deren Süchte zu fördern. Den gesetzlichen Kassen, die wie üblich die Kosten für das Schmerzmittel übernahmen, seien mindestens 7755,71 Euro Schaden entstanden.

In der Anklage geht es nicht darum, dass das hochpotente Schmerzmittel auch auf dem Schwarzmarkt verkauft worden sein könnte. Davon gehen nach Tagesspiegel-Informationen mit dem Fall vertraute Szenekenner aus: Als die Ermittlungen vor vier Jahren starteten, gerieten Angehörige einer polizeibekannten Großfamilie in den Fokus. Männer des deutsch-arabischen Clans sollen die Praxis auch aufgesucht haben, so vermuteten Kenner, um das mit dort ausgestellten Rezepten in Apotheken besorgte Tilidin zu verkaufen.

Tilidin verfügt über hohes Suchtpotenzial. Einige Ermittler nennen Tilidin eine „Intensivtäter-Droge“, weil es bei Verdächtigen aus dieser Kategorie öfter gefunden wurde. Tilidin macht nicht nur schmerzunempfindlich, sondern wirkt enthemmend. Es wird oft verschrieben, wenn andere Schmerzmittel nicht ausreichend wirken. In den meisten Formen unterliegt Tilidin dem Betäubungsmittelrecht und ist entsprechend reguliert.

Das Landesamt für Gesundheit und Soziales entzog der Medizinerin vor zwei Jahren die Berechtigung, entsprechende Betäubungsmittel-Rezepte auszustellen. Die Hausärztin war zudem im Juli 2024 wegen Ausstellens unrichtiger Gesundheitszeugnisse sowie Verstoßes gegen das Infektionsschutzgesetz zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr verurteilt worden, deren Vollstreckung auf zwei Jahren zur Bewährung ausgesetzt wurde. Das Urteil ist nicht rechtskräftig.

Die Ärztin bot in der Pandemie offenbar Ungeimpften an, sich ein Zertifikat abzuholen, auf die Corona-Impfung aber zu verzichten. Das fiel Nachbarn der Grunewald-Praxis auf: Dutzende Patienten standen vor dem Haus, die Warteschlange reichte bis auf die Straße.

Vor Gericht sagte damals eine Kriminalpolizistin aus, die Praxis habe 16.000 Covid-19-Impfdosen geliefert bekommen. Die Ärztin räumte einige nicht verabreichte Impfungen ein, wofür sie meist 150 Euro abgerechnet hatte. Die Justiz zog eine vierstellige Summe ein.

Wenngleich mit erheblichen Auflagen versehen, darf die Ärztin noch praktizieren. Der Tagesspiegel erfuhr am Freitag nicht, wer der Anwalt der Angeklagten ist. Es gilt die Unschuldsvermutung.

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