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Georg Kolbe: Schweigende Gesellschaft

Das Wohnhaus und Atelier des Bildhauers Georg Kolbe liegt verborgen unter Grunewald-Kiefern Im Inneren: Skulpturen, in Bewegung erstarrt. Für Ausstellungsleiter Marc Wellmann sind sie Vertraute.

Magische Orte, Stätten, die einen verzaubern – so etwas kennt man aus Sagen- und Märchenbüchern. Aber ich finde, hier, unter den alten Grunewald-Kiefern im Westend, ist ein solcher Ort Wirklichkeit geworden. Kaum ein Besucher, der nicht ins Schwärmen gerät, wenn er zum ersten Mal dieses Museum besucht. Das zeigt schon ein Blick in unser Gästebuch. Man muss nicht lange blättern, um solche Einträge zu finden: „Wieder ein beglückendes Gefühl, im Garten und den Räumen des Georg-Kolbe-Museums zu sein, die so geeignet sind, den Kopf zu öffnen für Neues“, schreibt einer. Viele Menschen sind fasziniert davon, wie sich der Bildhauer Georg Kolbe diese Oase geschaffen und alles in Harmonie zusammengebracht hat: Wohnung, Atelier, Skulpturengarten und dazu noch ein Wohnhaus für seine Tochter.

Seit 2008 arbeite ich hier als Ausstellungsleiter. Ich habe Kunstgeschichte studiert, bin durch meinen 1995 verstorbenen Stiefvater Bernhard Heiliger schon seit Kindesbeinen mit Skulpturen vertraut. Der war auch ein Berliner Bildhauer, er hat beispielsweise die „Flamme“ am Ernst-Reuter-Platz geschaffen. Doch wenn ich heute meinen Wagen an der Sensburger Allee parke und zum Museum laufe, ist das auch für mich immer wieder ein Erlebnis: Da begegnet mir schon im Vorgarten eine Vertraute – die „Große Sitzende“, eine Bronzeskulptur von 1929. Wohin man den Blick wendet, fast überall sind im Park rund ums Musem lebens- oder überlebensgroße Skulpturen in unterschiedlichsten Bewegungsabläufen erstarrt. Sie stehen, knien, rennen, wirken verzückt, nachdenklich, kämpferisch. Die Zeit scheint stillzustehen. Das alles hat etwas Dornröschenhaftes. Herzstück ist die Tänzerin auf einem Brunnenbecken von 1922. Die junge Frau wirbelt herum voller Anmut und Lebensfreude, wirft die Arme in die Luft, versunken in ihren Tanz. Eine Vorgängerin dieser Skulptur steht heute in der Alten Nationalgalerie auf der Museumsinsel. Sie gehört zu den meistreproduzierten deutschen Kunstwerken des 20. Jahrhunderts und hat den Bildhauer berühmt gemacht.

Es ist ein Glück, dass Georg Kolbe, bevor er 1947 starb, testamentarisch gesichert hat, dass seine Wirkungstätte erhalten bleibt. Wenig später wurde eine nach ihm benannte Stiftung gegründet und 1950 das Museum in den Arbeits- und Wohnräumen des Bildhauers eröffnet. Gebaut hat er dieses Anwesen 1927 nach dem frühen Tod seiner Frau Brenjamine. Das war ein Schicksalsschlag für ihn. Deshalb nannte er das Ensemble seine „Burg“, in die er sich zurückziehen konnte.

Seine Wohnung kombinierte er mit dem Atelier; für seine Tochter Leonore ließ er ein zweites Gebäude errichten, in dem sich heute das Museumscafé befindet. Beide Häuser sind schöne Beispiele für den Bauhausstil. Klare Linien, würfelförmig, rot geklinkert. Sie geben dem Skulpturengarten mit ihrer strengen Geometrie Halt. Wer hierher kommt, sollte dies alles erst auf sich wirken lassen, bevor er das eigentliche Museum betritt.

Dessen Entree führt direkt ins Wohnatelier, in dem der Künstler lebte. Deshalb sind dort von ihm geschaffene Büsten seiner Frau, Tochter, Enkel und ein Selbstporträt zu sehen. Außerdem Werke aus seiner Gemäldesammlung, beispielsweise von Karl Schmidt-Rottluff, mit dem er Freundschaft pflegte. Georg Kolbe war ja seit 1904 in Berlin als Bildhauer tätig.

Vom Wohnatelier gelangt man durch ein Portal ins eigentliche Atelier, einen großartigen Raum: einen Saal mit Parkett und hohen Fenstern zum Skulpturengarten, durch die selbst im Winter viel Licht fällt. Wie auf einer Bühne stehen darin die Figuren. Fertige und halb fertige Plastiken, Torsi aus Bronze und Gips, dazwischen Arbeitsgeräte und an der Wand Fotografien, die Kolbe beim Modellieren zeigen. Wir haben im Moment alles ähnlich inszeniert, wie es einst hier aussah. Betrachter lernen die Arbeitsweise und Entwicklung des Künstlers kennen. Seine Aktplastiken sollten Ideale verkörpern und die Menschen zeitgemäß darstellen.

Ziel des Museums ist es, Georg Kolbes Werk zu bewahren. Aber wie wird man dem gerecht? Es geht nicht nur um die Begeisterung für seine Arbeiten, sondern auch um deren Veflechtung mit der künstlerischen Entwicklung vor und nach seiner Schaffenszeit. Deshalb zeigen wir das ganze Jahr über wechselnde Ausstellungen, zurzeit in unserem Projektraum, der „Kunstkammer im Georg-Kolbe-Museum“, eine Installation von Markus Schaller und im angrenzenden Neubau Porträts zeitgenössischer Künstler des Berliner Fotografen Manfred Hamm. Es verblüfft mich immer wieder, wie eng Bildhauer und Fotografen verwandt sind, wenn sie Menschen darstellen. Auch Fotos können einen verzaubern – wie die „Große Sitzende“ oder die „Tänzerin“. Aufgezeichnet von

Christoph Stollowsky

Georg-Kolbe-Museum, Sensburger Allee 25, Dienstag bis Sonntag, 10–18 Uhr, Tel. 30 42 144, www.georg-kolbe-museum.de

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