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Mauerpark: Ein Riesenspaß vor großer Kulisse

Schiefe Töne und schräge Shows: Im Mauerpark greifen Laien zum Karaoke-Mikrofon. Und das vor 1000 Zuschauern

Es ist sehr warm, nur ab und an weht ein laues Lüftchen. Die Sonne brennt gnadenlos auf die Köpfe der 1000 Zuschauer, die es sich auf den Sitzreihen im Amphitheater des Mauerparks bequem gemacht haben. Einige sind trotzdem schon seit Stunden hier, kaufen von den fliegenden Händlern Eis und gekühltes Bier. Immer wieder stellen sie die Flaschen zur Seite, um begeistert zu klatschen. Denn Applaus bekommt hier beim „Bear Pit Karaoke“ – also beim Karaoke in der Bärengrube – jeder. Egal, wie schief er oder sie singt. Man könnte auch sagen: Je mehr Töne danebengehen, umso entzückter wirkt das Publikum. Kein Duschentenor und keine Walkman-Sopranistin wird hier ausgelacht: Hauptsache, der Karaoke-Freiwillige trägt sein Jaulen, Kreischen, Krächzen oder Piepsen mit so viel Selbstironie wie möglich vor.

Da ist zum Beispiel ein sympathisches Quartett aus Dänemark, Touristen auf Wochenendbesuch in Berlin, die Michael Jacksons „We are the world“ schmettern. Der Verbrüderungsfaktor des Liedes trägt dazu bei, dass bald das gesamte Publikum die Arme schwenkt und mitsingt. Häme ist auch nicht spürbar, als sich zwei Mädchen Abbas Hit „Dancing Queen“ vornehmen und eine von ihnen das Lied selbstvergessen mit einer eigenwilligen Mischung aus Bodenturnen und Jazztanz begleitet. Viel Spaß macht den Zuschauern ebenfalls der junge, wohlproportionierte Isländer, der in seinem knappen Muskel-Shirt „Hey there Delilah“ singt und dabei selbstbewusst zeigt, dass auch moderne Männer auf urwüchsigen Achselbewuchs stehen. Sein Gesang ist zudem durchaus anhörbar. Doch mehr Applaus als für seine angenehme Stimme bekommt der Isländer für seine schrägen Tanzeinlagen. Und dieses verschmitzte Lächeln, das zu sagen scheint: „Mensch Leute, ist das nicht alles ein Riesenspaß hier?!“

Dafür sorgt Joe Hatchiban. Jeden Sonntag stellt sich der Ire mit seinem zur Karaokestation umfunktionierten orangefarbenen Lastenfahrrad auf die Bühne des Amphitheaters im Mauerpark und lässt musikalisch die Bären los – anders als der sprichwörtliche Löwe in der Grube gilt der Berliner Bär als überwiegend friedlich und hat vor allem das Herz gegenüber Greenhorns am Mikrofon auf dem rechten Fleck, sagt Joe.

Jede Woche kommen mehr Zuschauer, um anderen mit Vergnügen und Wohlwollen bei der Überwindung persönlicher Schamgrenzen zuzusehen. Und wer selbst erfahren will, wie er sich als Double von Jim Morrison oder Madonna gemacht hat, schaut sich das von Joe während des Auftritts gedrehte Video später auf Youtube an. Das Beruhigende daran: Am nächsten Sonntagnachmittag kann man es ja wieder versuchen. Und bis dahin noch etwas unter der Dusche üben.

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