
© Marion van der Kraats/dpa
Streit um Palästina-Flagge an Neuköllner Gymnasium: Gerichtsverfahren eingestellt – Lehrer bleibt straffrei
Nach dem Terrorangriff der islamistischen Hamas auf Israel zeigt ein Schüler eine Palästina-Flagge. Ein Lehrer will dies unterbinden. Die Situation eskaliert – und beschäftigt die Justiz.
Stand:
Der Lehrer verließ die Anklagebank sichtlich erleichtert. Kein Urteil erging im Fall des 62-Jährigen, der einen Schüler in einer Auseinandersetzung wegen einer Palästina-Flagge geschlagen haben soll. Das Amtsgericht Tiergarten stellte das Verfahren ein – gegen Zahlung einer Auflage von 800 Euro.
Gegen Andre T. war zunächst ein Strafbefehl ergangen. Danach sollte er 3000 Euro Strafe zahlen. Er legte Berufung ein, es kam zu einem Prozess. Nun bleibt er unbestraft. Aber aus Sicht der Polizei gefährdet.
Kaum ein Platz im Gerichtssaal blieb leer. Der Vorfall auf dem Schulhof des Ernst-Abbe-Gymnasiums in Neukölln zwei Tage nach dem Angriff der islamistischen Hamas auf Israel im Oktober 2023 hatte für Aufsehen gesorgt. Ihm sei danach Rassismus vorgeworfen worden, sagte der Lehrer am Freitag vor Gericht. Das schmerze ihn sehr. „Bei einer Gruppe von Rechtsradikalen hätte ich genauso gehandelt.“
Die Anklage lautete auf Körperverletzung im Amt. Am 9. Oktober 2023 gegen 9.30 Uhr habe er einen Schüler aufgefordert, eine Palästina-Flagge nicht mehr sichtbar auf dem Schulgelände zu zeigen. Der 14-Jährige soll sie als Umhang getragen haben und sei vermummt gewesen. Als er von T. angesprochen wurde, reichte er die Flagge an einen damals 15-Jährigen weiter.
90 Prozent der Schüler mit Migrationshintergrund
Andre T. ist Lehrer für Sport und Geografie, ein wohl beliebter Lehrer. Seit fast 20 Jahren ist er am Ernst-Abbe-Gymnasium. „90 Prozent der Schüler haben einen Migrationshintergrund mit allen sozialen Problemen, die das oft mit sich bringt“, sagte der 62-Jährige. Er hätte schon vor Jahren die Schule wechseln können, wollte es nicht. „Ich unterrichte sehr gerne.“ Nie mit Beanstandungen.
Doch im Fall des 15-Jährigen kam es zu Gewalt. „Er hielt die Fahne demonstrativ in meine Richtung“, sagte der Lehrer. Er forderte den Schüler auf, mit zur Schulleitung zu kommen, der Jugendliche weigerte sich. Für ihn sei es „vollkommen ungewohnt und überraschend“ gewesen, dass ein Schüler seiner Aufforderung nicht Folge geleistet habe, sagte der 62-Jährige.
Der 15-Jährige sei zur Tischtennisplatte gegangen – „ich folgte ihm“. Sie standen sich dann laut Anklage Kopf an Kopf gegenüber. „Plötzlich griff er an und drückte seinen Kopf gegen meine Stirn“, schilderte der Lehrer. „Ich war perplex, dann folgte ein Kopfstoß, ich habe ihn reflexartig weggestoßen.“ Aus seiner Sicht sei die Situation damit beendet gewesen. Doch der Schüler, ein Kampfsportler, sei „mit ausgestrecktem Bein“ auf ihn zugesprungen. „Ich bekam einen Tritt in den Bauch.“
Andre T. gilt als „gefährdete Person“
Andre T. ist seit dem Geschehen krankgeschrieben. Und die Polizei stufte ihn als „gefährdete Person“ ein. Der Lehrer sagte im Prozess: „Es war nicht aus der Luft gegriffen.“ Einige Wochen nach der Auseinandersetzung habe eine Schülerin ein Foto von ihm ins Netz gestellt und gehetzt: „Wer ihn sieht, soll ihn behindert schlagen.“
Gegen die Schülerin kommt es demnächst zum Prozess. Auch im Fall des inzwischen 16-Jährigen wurde Anklage erhoben – über die Eröffnung des Hauptverfahrens habe das Gericht noch nicht entschieden, hieß es am Rande.
Der Anwalt des inzwischen 16-Jährigen, der im Prozess Nebenkläger war, sagte: „Den Kopfstoß hat es nicht gegeben.“ Der Jugendliche habe „in Selbstverteidigung“ gehandelt, so Rechtsanwalt Ahmed Abed. Es gehe ihm schlecht – „er musste die Schule wechseln“. Der Nebenkläger war – anders als Staatsanwältin und Verteidiger – gegen eine Einstellung des Verfahrens.
Für ein solches Ende gebe es mehrere Gründe, befand Richterin Imke Hammer. So seien Provokationen vorausgegangen, T. sei verletzt worden, es gebe psychische Folgen, der Lehrer sei Bedrohungen durch Schüler ausgesetzt.
- showPaywall:
- false
- isSubscriber:
- false
- isPaid: