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Die Tagesspiegel-Volontäre Özben Önal (v.r.) und Daniel Sagradov diskutierten am Sonntag mit Giovanni di Lorenzo, Herausgeber des Tagesspiegels und Chefredakteur der Wochenzeitung „Die Zeit“, und Lorenz Maroldt (l.), Herausgeber des Tagesspiegels.

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Tagesspiegel-Volontäre diskutieren mit Herausgeber Giovanni di Lorenzo: „Wir unterschätzen manchmal die Mündigkeit unserer Leser“

Der Tagesspiegel-Herausgeber Giovanni di Lorenzo traf am Sonntag auf die nächste Generation des Journalismus. Es ging um nicht weniger als die Zukunft der Branche.

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Das Gespräch ist noch keine zehn Minuten alt, da wird Giovanni di Lorenzo grundsätzlich. „Ich habe eine tief sitzende Abneigung gegen das, was ich ‚betreutes Lesen‘ nenne“, sagt er und nickt energisch. Ihn störe es, wenn Journalisten durch die ständige Wiederholung von Begriffen wie „rechtsextrem“ ihre eigene Haltung zum Ausdruck brächten. „Das brauchen wir nicht“, sagt di Lorenzo. Applaus brandet auf.

Vor welchen Herausforderungen steht der Journalismus? Was braucht es, damit er eine Zukunft hat? Diese Fragen diskutierten die Tagesspiegel-Volontäre Özben Önal und Daniel Sagradov am Sonntag auf dem Land- und Genussmarkt des Tagesspiegels mit Giovanni di Lorenzo, Herausgeber des Tagesspiegels und Chefredakteur der Wochenzeitung „Die Zeit“.

Sagradov ist gerade von einer Recherchereise in Polen zurückgekehrt. Dort, berichtet er, sei er immer wieder nach der Haltung des Tagesspiegels gefragt worden. Auf welcher Seite stehe die Zeitung? Sei sie pro-russisch oder pro-ukrainisch? „Haben Journalisten Fragen wie diese selbst zu verschulden?“, möchte er wissen.

Das sei die falsche Perspektive, entgegnet di Lorenzo. „Die Frage muss lauten: Willst du darstellen, was tatsächlich passiert? Oder bist du ein Propagandist und versuchst, die Realität zu verschleiern?“ Bei Haltungen komme es im Journalismus auf die Reihenfolge an: Sie dürften sich immer nur aus Fakten ergeben, aus dem, was zu einer bestimmten Zeit an einem bestimmten Ort passiere. Alles andere habe mit Berichterstattung nichts zu tun, sagt di Lorenzo.

Die Konzentration auf Fakten sei in der journalistischen Praxis allerdings nicht immer so einfach, wie es klinge, erklärt Önal. Stets gebe es Spielräume. Diese täten sich bereits bei der Wahl der richtigen Begriffe auf. Sei es etwa in Bezug auf die USA besser, von einer „Trump-Regierung“ oder von einem „Trump-Regime“ zu sprechen? Schließlich erwecke die Rede von einer „Trump-Regierung“ den Eindruck, als sei normal, was derzeit in den USA passiere.

Di Lorenzo stimmt zu. Gleichzeitig sei es auch bei der Wahl der Begriffe wichtig, Leserinnen und Lesern zu vertrauen und sie nicht zu bevormunden. „Wir unterschätzen manchmal die Mündigkeit von Leserinnen und Lesern“, sagt er.

Ein Beispiel dafür sei die AfD. Nach ihrer Parteigründung hätten die Medien sie zu schnell als rechtsextrem oder rechtsradikal bezeichnet. Bei einem nicht unerheblichen Teil der Bevölkerung habe das offenbar zu einer „Abstumpfung“ geführt. Diesen Menschen sei mittlerweile egal, ob man die AfD als extremistisch bezeichnete oder nicht. Als Gegenmittel empfiehlt di Lorenzo erneut: Fakten. „Manchmal reicht die Schilderung dessen, was Leute anstellen“, sagt er. Ein besonderes „Framing“ brauche es nicht.

Ebenso wichtig sei es, die Wirklichkeit auch thematisch in ihrer ganzen Breite zu beschreiben. „Wir müssen aufpassen, dass wir nicht Themen kleinmachen, die für die Leute wichtig sind.“ Aus Angst, Antidemokraten das Wort zu reden, täten sich einige Journalisten schwer, Probleme mit Migration oder Kriminalität zu thematisieren. „Das halte ich für völlig falsch“, sagt di Lorenzo. „Bei Themen, die die Leute beschäftigen, können wir nicht der extremen Rechten das Monopol überlassen.“ Der Eindruck, dass Medien etwas verschweigen, dürfe niemals entstehen.

Zum Abschluss machte di Lorenzo sich und den Volontären allerding auch Mut. Trotz der Herausforderungen blicke er positiv in die Zukunft, erklärt er. Der Journalismus bleibe wichtig, auch wenn er sich verändere. Nach wie vor biete er Möglichkeit, in ganz verschiedene Welten einzutauchen, sie zu beschreiben und teilweise auch erträglicher zu machen. Auch deshalb könne er nicht anders, als den Journalismus einen „Traumberuf“ zu nennen.

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