
© Ingo Salmen
Überfüllte Bahnsteige: Der Berliner Hauptbahnhof als Symbol der Bahnkrise
In diesem Sommer kommt der Berliner Hauptbahnhof an seine Grenzen. Doch es geht um mehr als zu enge Bahnsteige – nämlich eine Infrastruktur, die mit dem Bedarf nicht mehr mithält.

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Das vergangene Wochenende war eine Offenbarung für den Berliner Hauptbahnhof. Denn es kam einiges zusammen: Erst der mutmaßlich von Linksextremisten verübte Anschlag auf einen Kabelschacht in Charlottenburg, obendrein die Sperrung der Stadtbahn für Sanierungsarbeiten. Und prompt platzt der Hauptbahnhof aus allen Nähten.
Vom Anschlag war auch der Fern- und Güterverkehr massiv betroffen, Hunderttausende Fahrgäste in der Hauptstadtregion und darüber hinaus bekamen die Folgen zu spüren. Und auf dem Hauptbahnhof, vor 18 Jahren eröffnet, ein Vermächtnis von Ex-Bahnchef Hartmut Mehdorn, war dichtes Gedränge auf den oberen Fernbahngleisen.
Die Bahnsteige wurden abgesperrt, wer zu seinem Zug wollte, durfte erst fünf Minuten vorher zum Bahnsteig. Das Oberdeck des wichtigsten Bahnhofs der Hauptstadt der Bundesrepublik versinkt nur dank des zusätzlichen und geduldigen Servicepersonals nicht im Chaos.
Neben all den Problemen der Deutschen Bahn wie Investitionstau, Pünktlichkeitsverfall, Verspätungskampf, Ausfallwahnsinn und Fahrgastfatalismus kommt jetzt noch etwas Neues hinzu: Ein deutscher Bahnhof leidet an Überfüllung, weil der vorgeblichen Eleganz beim Bau mehr Gewicht beigemessen wurde als der Funktionalität. Wegen der großen Lichtöffnungen für die unteren Ebenen wird es auf den oberen Bahnsteigen eng.
Die Infrastruktur ist nicht mitgewachsen
Offenbar glaubten Bahn, Bund und Berlin beim Bau noch nicht so richtig daran, dass es langfristig um weitaus mehr geht: Dass die Zahl der Fahrgäste deutlich steigen, die Bahn attraktiver und das System stabiler werden muss für eine Verkehrswende, die ihren Namen verdient, hatte wohl niemand auf dem Schirm.
Nur zur Erinnerung: Von den 50 größten Bahnhöfen in Deutschland sind 24 in Berlin. Dort ist die Zahl der Reisenden in den vergangenen zehn Jahren um 30 Prozent gestiegen – doch die Infrastruktur, die Hardware ist nicht mitgewachsen.
Immerhin hat die Bahn das Problem schon erkannt. Sie sieht sich gezwungen, den Hauptbahnhof umzubauen. Entweder braucht es mehr Ausgänge, damit die Fahrgäste schneller kommen und gehen können – oder es braucht größere Flächen für die auf ihren Zug wartende Leidensgemeinschaft der Bahnkunden.
Immerhin ist bei der Bahn die Erkenntnis dazu gereift. Bleibt zu hoffen, dass sie trotz des Sparkurses, den sich das Unternehmen selbst verordnet hat, dabei bleibt. Wenn jetzt nicht investiert wird, bricht das System irgendwann in sich zusammen. Auch der Bund steht hier in der Verantwortung. Ansonsten müssten wir uns Berlin an derlei Zustände wohl gewöhnen – und an die Einsicht, dass nichts mehr funktioniert, wie es funktionierten sollte. Auch so ein Symbol für die Stimmung und den empfundenen Zerfall in Berlin und im ganzen Land.
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