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Umfrage zum Tag der Deutschen Einheit: Was wünschen sich Menschen in Berlin vom Kanzler?
Friedrich Merz wird am Freitag eine programmatische Rede zu 35 Jahren Deutsche Einheit halten. Wir haben an verschiedenen Orten in der Hauptstadt gefragt, was der Kanzler sagen sollte.
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Rund 900 Menschen werden „Zum Fest der Einheit“ erwartet – für Friedrich Merz ein Anlass für große Worte. Seine Rede hält der Bundeskanzler aber nicht in Berlin, sondern in der Congresshalle in Saarbrücken. Zurück ins Saarland muss auch die 20-jährige Mila Gries. Bevor sie sich mit ihrem Rollkoffer auf den Weg zum Hauptbahnhof macht, verweilt sie auf einer Parkbank vor dem Brandenburger Tor.
In acht Städten und Gemeinden im Saarland wurde die AfD bei der letzten Bundestagswahl stärkste Kraft. Der Rechtsruck macht ihr Angst, sagt Gries. Von Merz wünscht sie sich daher einen klaren Appell ans Land: „Wir sollten uns auf die Vergangenheit besinnen“, sagt sie. „Dass wir in einer Demokratie leben, dass wir ein vereintes Deutschland sind, das müssen wir bewahren. Und im Blick haben, wie leicht wir das zerstören können.“
Merz sollte sich wieder auf die Probleme im eigenen Land konzentrieren
35 Jahre Wiedervereinigung – und doch seit 35 Jahren die immer gleiche Frage: Wie vereint ist Deutschland wirklich? „Da sind immer noch tiefe Gräben zwischen Ost und West, die man anpacken müsste, damit das hier ein Land wird“, sagt Peter Wilkens aus Hamburg.
Der 62-Jährige wünscht sich von Merz, sich wieder mehr auf die Probleme im eigenen Land zu konzentrieren. Welche das sind? Zu viele, um sie in so kurzer Zeit herunterzubrechen, meint Wilkens. „Das darf bei den ganzen anderen Katastrophen, die wir in der Welt haben, einfach nicht in den Hintergrund geraten.“

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Anderer Meinung ist Thomas Delchambre, der seit rund einem Jahr in Berlin-Mitte wohnt. Eigentlich kommt der 34-Jährige aus Belgien, wünscht sich von Merz daher eine Politik, die auch über die Grenzen Deutschlands hinaus wirkt. „Für mich ist wichtig, dass Merz das Klima nicht vergisst“. Die Klimakrise zu stoppen, das sei entscheidend für Deutschland, für Europa, für die ganze Welt. Merz als Kanzler der größten Volkswirtschaft Europas trage dabei eine besondere Verantwortung, sagt Delchambre.
Andreas Wagner aus Frankfurt, 58 Jahre alt, will „bloß keine politische Rede“ von Merz hören, „davon haben wir in letzter Zeit genug gehabt“, sagt er. Viele Menschen im Land können sich noch gut daran erinnern, als Deutschland geteilt war. 35 Jahre Deutsche Einheit – „eine Hausnummer“, nennt Wagner das. Und ein Anlass, um mal wieder die Gemeinsamkeiten der Deutschen zu betonen. „Der Zusammenhalt ist jetzt erstmal das Wichtigste“, sagt er. „Dass die gesunde Mitte wieder gestärkt wird und nicht die Ränder.“
Am Alexanderplatz bleibt kaum Zeit für große Worte über Demokratie und Zusammenhalt. Was sie sich von Friedrich Merz wünsche: „Dass er zurücktritt“, sagt eine ältere Frau mit kurzen, grauen Haaren – sie geht weiter. Man hat es eilig, die Bahn kommt gleich, die Verabredung wartet.
Teure Wohnungen „nicht fair“
Angelehnt an eine Hauswand stehen Melek und Suzan, die ihren vollen Namen nicht in der Zeitung lesen möchten. Beide kommen aus Bulgarien, leben aber seit rund 15 Jahren in Berlin. „Ich würde mir wünschen, dass in Deutschland jeder gleich behandelt wird“, sagt die 30-jährige Melek.
Sie selbst wohnt in Mitte, Suzan in Rudow. Es sei „nicht fair“, dass Menschen, die seit Jahrzehnten in Deutschland leben und arbeiten, sich keine Wohnung, manchmal nicht einmal die Kaution leisten können. „Dann muss man in irgendeine Ecke ziehen“, sagt sie, „weil man keine Wohnungen findet hier in Berlin“.

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„Auch ein Friedrich Merz darf den Osten nicht als einheitliche Masse betrachten“
Im Trubel hat es sich Gerd Bießmann auf dem Rand des Brunnens der Völkerfreundschaft bequem gemacht. Er ist mit seiner Frau zum Einkaufen am Alexanderplatz unterwegs. „Aber sie wissen ja“, sagt er, „Frauen shoppen anders als Männer.“ Also zündet er sich eine Zigarette an, schlägt „Das Nibelungenlied“ auf.

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Der 61-Jährige wünscht sich, dass in der Diskussion über Ostdeutschland weniger pauschalisiert wird. „Auch ein Friedrich Merz“, sagt er, „darf den Osten nicht als einheitliche Masse betrachten.“ Vorurteile wie „alle Ossis sind faul, alle sind Nazis“, führen seiner Meinung nach nur zu Protestwählern, die sich nicht verstanden fühlen. Und damit nur zu einer Vertiefung bestehender Gräben.
Noch immer ist die Arbeitslosenquote in vielen ostdeutschen Landkreisen höher als in Westdeutschland. Es fehlt an Infrastruktur. Viele Menschen ziehen weg, kaum welche ziehen hin, vor allem an jungen Menschen fehlt es. Auch der Sohn von Alexandra Janke ist zum Studieren aus Jena weggezogen, beide sind an diesem Tag am Berliner Wittenbergplatz vor dem KaDeWe unterwegs. Die Unterschiede seien in Ostdeutschland noch immer spürbar, sagt Janke. „Die Gehälter hängen im Osten hinterher, auch nach so vielen Jahren der Vereinigung“.
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