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Mit 22 Jahren übernahm Axel Stüber eine Drehorgel-Werkstatt in Ost-Berlin. Das Handwerk war bereits damals vom Aussterben bedroht.

© DAVIDS/Sven Darmer

Drehorgelbauer in Berlin: Und einer leiert noch

Axel Stüber ist der letzte Drehorgelbauer in Berlin. Er will nun dabei helfen, dass die Drehorgel zum Berliner Kulturerbe wird. Ein Besuch in seiner Werkstatt.

Inbrünstig singt Axel Stüber „Kreuzberger Nächte sind lang. Erst fang’se janz langsam an“, den Gassenhauer aus dem Jahre 1978. Der 62-Jährige steht in Karohemd und grauem Sakko in seiner Werkstatt in Biesdorf und dreht zum Gesang an der Kurbel einer Trompetenorgel. Mit seinem Handwerksbetrieb stellt er seit vierzig Jahren Drehorgeln her. In Berlin führt Stüber den letzten Betrieb dieser Art.

Es riecht nach Leim und Holz in der Werkstatt des Orgelbauers. Feilen, Zangen, Hobel und Spachtel hängen an den Wänden. Hier baut Axel Stüber aus Bambus und Kiefer die langen Pfeifen und aus Ziegenleder die Blasebälge, die es für eine klassische Drehorgel braucht. „Die Geschichte der Drehorgel ist alt und natürlich hat auch sie die technische Entwicklung geschafft“, sagt Axel Stüber. „Lieder können digital, nicht über Pfeifen und Notenbänder, abgespielt werden.“ Doch Stüber ist traditionsbewusst, bei ihm läuft alles rein analog. Bis auf die feinen Holzarbeiten zur Verzierung stellt er die Instrumente selber her. Nachdem das Holz ein Jahr geruht hat, wird gut fünf Monate an einer Orgel gearbeitet. Alleine das Stimmen der Pfeifen dauert zwei Wochen. 16 verschiedene Orgeln hat Axel Stüber im Angebot. Sie unterscheiden sich durch Material, Design und Tonumfang. Die Orgeln können gemietet oder gekauft werden, wobei eine so viel wie ein Kleinwagen kostet.

Ursprung der Drehorgel ungeklärt

Für Axel Stüber hat alles auf einem Marktplatz in Mecklenburg begonnen. „Ich erinnere mich noch gut. Mit Ledermütze und langem Mantel stand ein Mann bei Wind und Wetter am Brunnen und spielte Handorgel“, sagt er. Damals war Stüber noch ein Kind, aber die Faszination hat angehalten. Der aus einer Pfarrersfamilie stammende Stüber wuchs mit kirchlichem Orgelspiel auf. Mit 16 fand er einen Lehrplatz bei einem Orgelbauer, schon damals ein immer seltenerer Beruf. Nach seiner Ausbildung ging er auf Wanderschaft und arbeitete in verschiedenen Betrieben. Auch beim letzten Orgelbauer Ost-Berlins. „Der Inhaber wollte schließen, wieder ein Handwerksbetrieb weniger. Da habe ich das Geschäft übernommen“, sagt Stüber, Damals war er 22 Jahre alt. Schon bald reparierte und restaurierte er die Drehorgeln der Straßenmusiker Berlins und baute auch seine erste eigene.

Wo die Drehorgel ihre Wurzeln hat, ist ungeklärt. Für die einen beginnt ihre Geschichte mit Serinetten, kleinen Hand-Drehorgeln, im Elsass vor 200 Jahren. Für die anderen schon viel früher mit der Erfindung von mechanischen Instrumenten im 14. Jahrhundert, wie das Glockenspiel. Aber eines ist klar: Die Drehorgel gehört zu Berlin. Der bekannte Schlager „Berliner Luft“ aus dem Jahr 1904 ist ein typisches Lied für die Drehorgel, meint Stüber. Der Aufschwung begann aber schon viel früher. „Nach dem Deutsch-Französischen-Krieg gab es viele Invaliden. Die mussten beschäftigt werden. Und das wurden sie auch mit Genehmigungen zum Musizieren“, erzählt Axel Stüber. Hinzu kamen Gastarbeiter. So zog damals auch Giovanni Bacigalupo nach Berlin. Er gründete eine Familiendynastie von Drehorgelbauern in der Hauptstadt. Das alles liegt inzwischen Ewigkeiten zurück.

Verkauf in 40 Länder

Die Drehorgel hat ihre Hochzeiten lange hinter sich. „1930 waren noch 800 Spieler gemeldet, heute ist die Zahl schwindend gering“, sagt Stüber. Die Spieler zogen damals durch die Hinterhöfe Berlins. Durch die dünnen Scheiben hörten Bewohner die Musik, wickelten in einem Stück Zeitung ein paar Groschen ein und warfen sie in den Hof. Die stetigen Begleiter der Orgelspieler, die Meerkatzen, sammelten das Geld auf. Heute sind Affen nicht mehr erlaubt, um die Geschichte zu wahren, wurden sie durch Stofftiere ersetzt.

Stüber spielt leidenschaftlich Drehorgel, am liebsten beim Straßentheater, mit dem er durch Europa tourt. „Die Orgel hat Tradition – leider sind die meisten Spieler schon etwas älter. Es fehlt an Nachwuchs, um das Handwerk und die Spielbegeisterten zu halten“, erklärt er. Einmal im Monat trifft sich Axel Stüber mit dem „Internationalen Drehorgelverein“. Das jüngste Mitglied ist bereits Mitte 30. Was an Jugend fehle, versuche man durch Tradition auszugleichen. Die Schatzmeisterin des Vereins spielt mit 102 Jahren noch immer ihrer Bacigalupo-Orgel.

Bald hat Axel Stüber 1000 Orgeln gebaut. Er verkauft sie in 40 Ländern. Von der Schweiz über Albanien, Zypern, Israel und Japan – weltweit werden seine Instrumente gespielt. Aber in Rente gehen? Das kann er sich noch lange nicht vorstellen. Er hofft das Geschäft eines Tages an seinen Sohn weitergeben zu können. Sein nächstes Ziel ist es, die Drehorgel bei der Unesco zum Berliner Kulturerbe zu machen. „Im vergangen Jahr hat es das Löffelspiel für Bayern geschafft – warum sollte die Drehorgel das nicht für Berlin hinkriegen.“

Lillith Grull

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