zum Hauptinhalt
Vivantes-Auffahrt in Berlin-Neukölln.

© Kitty Kleist-Heinrich

Undercover-Recherche in Psychiatrien: Wallraff setzt Berliner Vivantes-Konzern unter Druck

Reporter von "Team Wallraff" haben verdeckt in Berliner Psychiatrien recherchiert. RTL setzt nun die Vivantes-Kliniken unter Druck - die wehren sich.

Das Team um den Enthüllungsjournalisten Günter Wallraff greift die Berliner Vivantes-Kliniken an. In der RTL-Sendung "Team Wallraff – Reporter undercover" am Montagabend ging es um die Lage von Psychiatrie-Patienten. Dazu haben sich "Team Wallraff"-Mitarbeiter als Praktikanten getarnt in den Psychiatriestationen der Vivantes-Kliniken einsetzen lassen. Aufgedeckt werden soll so, dass einzelne Patienten zu lange allein gelassen, unzureichend betreut oder sediert werden. Vivantes bestreitet die Vorwürfe.

Ein getarnter Reporter hatte sich als Praktikant im Vivantes-Klinikum in Spandau beworben. Er beobachtete, dass drei Stunden lang die Urinlache eines Patienten nicht aufgewischt wurde. Der Reporter berichtet aber auch, dass Patienten die Pflegekräfte bedrohten. Die Beschäftigten haben hohe Ansprüche, so die Einschätzung des Reporters, inzwischen aber zuweilen resigniert. Ein Patient weigerte sich, seine Medikamente zu nehmen: Eine Pflegerin mischte das Medikament in das Essen - was verboten ist. Immer wieder kommt es zu Geschrei, fast zu Tumulten.

Personalmangel, zu wenig Therapiegespräche, frustrierte Patienten - das bestätigte RTL auch eine anonyme Psychiatrie-Mitarbeiterin eines anderen Vivantes-Hauses. Ein Psychiater sei heute für 40 bis 60 Patienten zuständig - das seien deutlich mehr Fälle als in früheren Jahren. Einige Patienten hätten einige Tage aus Platzgründen, also Überbelegung, in Betten auf dem Flur liegen müssen.

Vivantes reagierte: Man erweitere die Kapazitäten, der Klinikkonzern baue die Häuser aus. Tatsächlich investiert Vivantes derzeit Hunderte Millionen Euro in seine Kliniken.

Berlins landeseigene Klinikkette versuchte nach Tagesspiegel-Informationen, rechtlich gegen die Ausstrahlung der Sendung vorzugehen. Man hoffte, so hieß es aus Klinikkreisen, dass die verdeckt gemachten Filmaufnahmen als illegal eingestuft würden. Dies ist etwa dann der Fall, wenn Persönlichkeitsrechte von Patienten, Pflegekräften oder Ärzten verletzt werden. Offenbar geht die RTL-Redaktion davon aus, dass Gerichte das nun gezeigte Material nicht beanstanden.

"Team Wallraff" hatte Prozess gegen Kliniken verloren

Seit 2013 recherchiert das Team um Wallraff in allerlei Branchen nach Missständen. Dem folgen immer wieder gerichtliche Auseinandersetzungen. Nach einem Beitrag von 2016, bei dem das Wallraff-Team in den Helios-Krankenhäusern recherchierte, ging der private Klinikkonzern rechtlich gegen RTL vor. Die Pressekammer des Landgerichts Hamburg entschied jedoch, dass versteckt aufgenommenes Filmmaterial als investigativer Journalismus zulässig sei.

Erfolgreich hatten sich nach einer Wallraff-Sendung von 2014 allerdings die Marseille-Kliniken, heute MK-Kliniken AG, gegen RTL gewehrt: Das Landgericht Hamburg verurteilte RTL wegen falscher und manipulativer Berichterstattung zu Schadensersatz. Psychiatrien sind bundesweit stärker belegt als andere Klinikabteilungen. Während eine Belegungsquote von 80 Prozent der Betten allgemein als hoch gilt, sind die Betten in Psychiatrien oft zu mehr als 90 Prozent belegt.

Psychiatrie-Betten bei Vivantes zu mehr als 95 Prozent belegt

In Berlin gibt es derzeit 2800 psychiatrische Klinikbetten, davon stehen in den Vivantes-Kliniken 1010 Betten. Psychiatrie-Betten in der Hauptstadt sind zu mehr als 95 Prozent dauerhaft belegt, oft 20 Tage folgend vom selben Patienten. Das gilt auch für Vivantes. Wie viele Betten in geschlossenen Abteilungen stehen, hängt vom Bedarf ab. Stadtweit dürften es Hunderte sein.

Vor drei Jahren waren in Berlin nur 4,25 Prozent der Betten von Patienten belegt, deren Einweisung ein Gericht angeordnet hat. Tatsächlich, das berichten Ärzte, melden sich viele Verhaltensauffällige freiwillig und bitten um Hilfe. Vivantes ist Deutschlands größter kommunaler Klinikkonzern und betreibt neun Krankenhäuser und 13 Pflegeheime. Die Vivantes-Krankenhäuser versorgen jeden dritten Berliner Klinikpatienten.

Zur Startseite