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Berliner Debattierclubs sind beliebt.

© Illustration: Adobe Stock

„Gute Streitkultur stärkt die Demokratie“: In Berlin startet die neue Debattierclub-Saison

Wie streitet man richtig? In britischen Debattierclubs wird das seit Jahrhunderten geübt. Auch in Berlin gibt es dafür Anlaufstellen.

Stand:

Christopher Gack ist einen Moment lang in sich selbst versunken. Er steht vor einem Holzpult und sortiert hektisch Zettel, die er bis gerade eben noch randvoll mit Notizen geschrieben hat. „Das ist alles Teil der Strategie – er schindet Zeit!“ ruft es von der Gegenseite herüber.

Doch dass Gack, so wie auch die anderen fünf Redner:innen, die an diesem Abend der Berlin Debating Union (BDU) miteinander debattieren, keine Profis sind, ist während ihrer Redezeit kaum zu merken. Leicht kann man sich in den Plenarsaal des Bundestags versetzt fühlen. Die Ursprünge des modernen Debattiersports finden sich allerdings bei unseren europäischen Nachbarn: im britischen Unterhaus. 

Martha eröffnet zur Auftaktveranstaltung der Berlin Debating Union die Gegenseite der Debatte.

© Madeleine Batzke

Von England bis an die HU

In Westminster stehen sich die Sitzbänke von Regierung und Opposition frontal gegenüber. Einladend für hitzige Schlagabtausche und konfrontative Wortgefechte. Über die studentischen Debattierclubs an den altehrwürdigen Unis in Cambridge und Oxford etablierte sich der Wettstreit in aller Welt: zuerst in den damaligen britischen Kolonien und mit einigen Hundert Jahren Verzug auch hier in Deutschland.

Dass die ursprünglichen Adressaten des Debattiersports Studierende waren, merkt man bei der BDU. Mehr als die Hälfte der circa 50 Schaulustigen studiert selbst an der Humboldt-Universität, in dessen Räumen der Club jede Woche trainiert, der Rest verteilt sich auf die weiteren Hochschulen im Umland.

Nur wenige sind bereits graduiert oder berufstätig. Offen sei man natürlich für alle, aber Studierende würden die Zielgruppe bilden. Mit dem Semesterstart suchen die hiesigen Debattierclubs deshalb nach Neuzugängen.

Wir haben die Waffen, die die Ukraine braucht.

Eröffnungsrednerin Lisa Knodt

Die kontroverse Frage des Abends: „Soll Deutschland in erheblichem Maße schwere Waffen an die Ukraine liefern?“ Darüber debattieren insgesamt sechs Redner:innen, drei dafür und drei dagegen. Lisa eröffnet die Debatte selbstbewusst: „Wir haben die Waffen, die die Ukraine braucht.“ Deutsche Waffenlieferungen würden ein Mitziehen anderer europäischer Länder viel wahrscheinlicher machen.

Kurz darauf interveniert Marc-Andre Schulz, der Schlussredner der Gegenseite. „Erklär mir doch mal, warum wir nicht einfach unsere Bundeswehr dahin schicken – boots on the ground!“ Solche Vorstöße sind beim Debattieren nicht nur erlaubt, sondern sogar erwünscht. Wer nicht mindestens eine Gegenfrage zulässt, wirkt unsouverän und verliert im echten Wettbewerb Punkte. Bei der Showdebatte zählt hingegen nur die Meinung des Publikums.

„Ich muss zuerst ein bisschen was klarstellen“, beginnt Martha Kliemt ihr Plädoyer für die Gegenseite. Auch bei ihrem Argument spielt die heraufbeschworene Symbolwirkung der Waffen eine große Rolle. Den Effekt beurteilt sie jedoch gänzlich anders. Russlands Moral schwinde derzeit und Putin werde die Waffenlieferungen nutzen, um sie noch einmal anzukurbeln.

Sie versetzt sich in die Putin’sche Propaganda hinein, die viele Russ:innen zu hören bekämen: „Jetzt kommen wir als Deutsche dahin und liefern Panzer. Die Nazis kommen dahin, um mit den Nazis gegen die Russen zu kämpfen.“

Ob sie diese Meinung selbst vertritt, ist dabei völlig gleich. „Die Positionen werden ausgelost“, sagt Christof Kebschull, der den Abend moderiert. 15 Minuten Bedenkzeit gibt es nach Bekanntgabe der Themen, um im Team schlüssige Argumente für die eigene Seite zu finden. Komplett vorbereiten kann man sich darauf nicht, aber eine breite Lektüre helfe. „Ich lese nicht nur eine Tageszeitung, sondern zwei oder drei und auch internationale Presse“, sagt Kliemt, die an der HU Jura studiert.

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Christof Kebschull ist 2021 im Team deutscher Debattiermeister geworden und war zwei Jahre lang sportlicher Leiter der BDU. Auch ihn hat es damals per Showdebatte und Einstiegsphase zum Debattieren gezogen. Besonders spannend am Redewettstreit findet er, mit verschiedensten Themen in Berührung zu kommen. „Es ist eine wertvolle Sache, um seine eigene politische Meinung zu ergründen.“ Oft habe er durch das Losverfahren entgegen seiner persönlichen Meinung argumentieren müssen und im Nachhinein dann auch diese überdacht.

Agree to Disagree

Ein wenig intimer ging es bei der Berliner Streitkultur zu, die einen Tag nach der BDU ebenfalls zu ihrer Einführungsveranstaltung einlud. Etwa zwei Dutzend Interessierte schafften es ins Prenzlauer Schachcafé En passant. Den Unterschied zur BDU merkt man schnell: Während in Ersterem vor allem Studierende anwesend sind, sammeln sich hier vorwiegend Berufstätige.

Durch die kleinere Gruppengröße kommt im Einführungsworkshop auch jeder direkt zu Wort. „Wir wollen nicht zu tief in die Theorie einsteigen“, erklärt die Vorsitzende Anneka Klamt. Die Praxis stehe im Vordergrund.

Aufgeteilt in Teams wird damit begonnen, Argumente für und gegen das 9-Euro-Ticket zu finden. Im Vordergrund steht dabei allerdings erst einmal das Zuhören: Bevor man selbst einen Punkt vorbringen darf, muss man das letzte Argument der Gegenseite korrekt wiedergeben. Denn wer den anderen nicht richtig versteht, kann ihn auch nicht wortgewandt widerlegen. Wenig später treten die Teilnehmenden dann selbst ans Pult, um ihre Ideen zu präsentieren. Die Themen rotieren, um die Übungen kurzweilig zu halten.

Eine gute Streitkultur stärkt und fördert auch die Demokratie.

Vorsitzende der Berliner Streitkultur Anneka Klamt

Auf die gut einstündige Einführungsveranstaltung folgt der Vereinsabend, der einem vorher angekündigten Thema gewidmet ist. Dabei orientiert man sich gern am Puls der Zeit. Diesmal zum Beispiel zur Frage, ob es eine Laufzeitverlängerung für Deutschlands AKWs geben soll.

Wichtig sei vor allem der direkte Austausch miteinander. „Wir treffen uns in einem Berliner Café und das ist die Atmosphäre, die wir als Verein sehr schätzen“, resümiert Klamt, die selbst im Kommunikationsbereich tätig ist. Das Anliegen des Debattierclubs bringt sie gekonnt auf den Punkt: „Eine gute Streitkultur stärkt und fördert auch die Demokratie.“ Dafür setze sich der Verein, der deutschlandweit existiert und ursprünglich von Studierenden aus Tübingen gegründet wurde, ein.

Mit Generalisierungen darüber, wie man eigentlich in Deutschland streitet, tut sich Debattiermeister Christof Kebschull schwer. „Viele Diskussionen über die Debattenkultur werden an ihr vorbei geführt.“ Die Art und Weise zu debattieren, wie man sie in den Vereinen erlebt, sei jedoch eine ganz besondere, auf die man sich nicht lange vorbereiten kann.

Große Einigkeit herrscht bei der Frage, wie man überhaupt mit dem Debattieren anfängt und sich verbessert: „Wichtig ist, einfach mitzumachen und mit dazu zu kommen“, meint Anneka Klamt. Besondere Vorkenntnisse sind dabei nicht vonnöten: „Weniger ist im Zweifel mehr. Man muss nicht viele sprachliche Mittel benutzen“, fasst Martha Kliemt ihre Erkenntnisse zusammen. Wer sich selbst im Redenschwingen ausprobieren möchte, ist in Berlin jedenfalls herzlich willkommen.

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