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Verkehrssicherheit in Berlin: Wie gefährlich sind Fahrten mit dem E-Scooter?
Der E-Scooter gilt als unfallträchtig, viele Nutzer seien Draufgänger. Ein Blick in die Verkehrsstatistik zeichnet ein anderes Bild.
Stand:
Ein Auto fährt Anfang Juni in Hellersdorf rückwärts über den Radweg und stößt laut Polizei mit einer 24-jährigen E-Scooter-Fahrerin zusammen. Sie wird einige Meter durch die Luft geschleudert und muss ins Krankenhaus. Neun Tage vorher kollidiert ein 15-Jähriger in Mariendorf mit einem Auto. Er erleidet Kopf- und Rumpfverletzungen.
E-Scooter seien besonders unfallträchtig, die Nutzer oft jung und Risiko-affin. Das Angebot lade zu missbräuchlicher Nutzung ein – so die gefühlte Realität. Blicke auf die Straßen der Stadt: Jugendliche, zu mehreren auf einem Scooter. Junge Erwachsene, die das Fahrzeug am Ende einer langen Nacht nutzen, weil sie weder das Geld für ein Taxi noch die Geduld für den Nachtbus haben, scheinen das zu bestätigen. Die Verkehrsstatistik wiederum zeichnet ein anderes Bild.
E-Scooter werden immer öfter genutzt
Rund 8,5 Millionen Fahrten erfassten die Anbieter Tier und Voi, zwei von vier in Berlin aktiven E-Scooter-Verleihern im Jahr 2021. Die Polizei registrierte in dem Zeitraum 813 Verkehrsunfälle mit sogenannten Elektrokleinstfahrzeugen, zu denen auch E-Scooter gehören. Im letzten Jahr stieg die Zahl der Unfälle um 40 Prozent auf 1144. Doch Tier und Voi verzeichneten auch circa 3,2 Millionen Fahrten mehr. Die anderen beiden Anbieter, Lime und Bolt, die ebenfalls Tausende Fahrzeuge im Stadtgebiet betreiben, geben auch an, im letzten Jahr steigende Fahrtenzahlen zu haben.
Mit Blick auf den entstandenen Personenschaden lässt sich im letzten Jahr kein besonderes Risiko feststellen. Bei rund 10 Prozent der Unfälle mit Elektrokleinstfahrzeugen verletzt sich der Fahrer schwer. Bei Verkehrsunfällen mit Beteiligung von Radfahrern sind es knapp 9 Prozent, Unfälle mit Todesfolge eingerechnet. Fest steht, dass die Anzahl der Scooter-Unfälle wie auch die Anzahl der Fahrten angestiegen ist. Gleichzeitig gilt: Wenn Fahrer in einen Unfall verwickelt sind, ist die Wahrscheinlichkeit, dass sie sich schwer verletzen, bei Scooter und Fahrrad ähnlich hoch.
„Die Zahlen werden komplett überkandidelt behandelt“, urteilt Andreas Knie. Der Mobilitätsforscher vom Wissenschaftszentrum Berlin (WZB) erforscht seit Jahrzehnten den Verkehr. Für ihn lenkt die Debatte über E-Scooter vom Problem der Verkehrssicherheit ab: „Die Scooter sind kein Teufelswerk – trotzdem reden wir über sie und nicht über eine 0,0 Promillegrenze oder ein Tempolimit”, sagt er.
Die Berliner Mobilität der Zukunft werde sicher mit Scootern bestritten, davon ist Knie überzeugt. Was planen der Senat, die Bezirke und die Anbieter, damit die Benutzer sicherer unterwegs sind?
Ein Lehrgang für Jung und Alt
An einem stickigen Juninachmittag bietet die Verkehrsschule Charlottenburg zum ersten Mal Lehrgänge für E-Scooter und E-Bikes an. Es gibt sechs Anmeldungen – fünf silberhaarige Senioren und ein Junge laufen über die Miniaturstraßen. Zuerst sehen sie einen Erklär-Film. Dann wollen sie lernen, wie man sicher auf dem elektrisierten Fahrrad unterwegs ist. Auf einen Scooter traut sich hier niemand.
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Heike Schmitt-Schmelz, die als Bezirksstadträtin für die Verkehrsschule verantwortlich ist, gesteht: „Das Scooter-Training ist sicherlich noch ausbaufähig. Damit wollen wir Jugendliche erreichen, aber das ist sehr schwer.“
Ihr Plan, um die E-Scooter-Kompetenzen von jungen Menschen zu stärken, ist nun, Gefahrenaufklärung im Rahmen des verpflichtenden Fahrradtrainings unterzubringen. „Wenn sie legal E-Scooter nutzen dürfen, kommen sie nicht mehr zu uns. Wir müssen sie davor erreichen“, sagt Schmitt-Schmelz. Sie sieht hier auch die Anbieter in der Pflicht.
Nächtliche Geschicklichkeitstests
Tier arbeite insbesondere daran, Fahrten unter Alkoholeinfluss und mit mehreren Personen zu verhindern, teilt ein Sprecher mit. Wenn man nachts die App öffnet, stehe dort der Hinweis: „Kein Bier mit TIER“. Zudem habe das Unternehmen ein Feature entwickelt, bei dem Nutzer durch einen Geschicklichkeitstest ihre Fahrtüchtigkeit beweisen müssen.
Die Firma Voi sieht Handlungsbedarf bei der Stadt selbst, um die Sicherheit der Verkehrsteilnehmer zu verbessern. „Sichere Infrastrukturen – wie Radwege – ausbauen und innerstädtische Geschwindigkeitsbegrenzungen für schwere Kraftfahrzeuge einführen“, fordert ein Sprecher. Die zuständige Senatsverwaltung verweist auf Anfrage auf laufende Pilotprojekte und noch auszuwertende Untersuchungen.
Wenn es in Zukunft gelingt, die Sicherheit von E-Scootern weiter zu verbessern, ließe sich die Mobilitätswende nicht nur klimafreundlich, sondern der städtische Verkehr auch weniger gefährlich organisieren.
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