
Bildung: Vertrauenslehrer werden gestärkt
Nach den Missbrauchsfällen am Canisius-Kolleg gab es am Mittwoch ein Krisentreffen der Rektoren aller 25 katholischen Schulen des Erzbistums Berlin und Brandenburg: Weitere Missbrauchsfälle habe es nicht gegeben, versicherten die Schulleiter. Sie verständigten sich auf neue Vertrauens-Leitlinien.
Hans-Peter Richter klang erleichtert. „An den katholischen Schulen in Trägerschaft des Erzbistums Berlin sind bislang keine Missbrauchsfälle bekannt geworden“, sagte der Schuldezernent des Erzbistums am Mittwoch. Das Canisius-Kolleg wird nicht dazugezählt, weil es die Jesuiten direkt betreiben. Die Leiter der insgesamt 25 Schulen des Erzbistums in Berlin und Brandenburg hatten sich am Dienstag zu einer zweistündigen außerordentlichen Konferenz getroffen. Alle Schulleiter hätten versichert, dass es Fälle von Missbrauch bei ihnen nicht gegeben habe. Rund 1000 Lehrer betreuen in den Einrichtungen etwa 9000 Schüler.
Keine Verdachtsfälle gibt es laut Richter auch an der Liebfrauenschule in Charlottenburg. Dort hatte der ehemalige Jesuitenpater Bernhard E. von 1976 bis 1981 als Gastlehrer gearbeitet. E. ist der dritte Pater, der verdächtigt wird, in den 70er und 80er Jahren Schüler des Canisius-Kollegs belästigt zu haben.
Die Leiter der katholischen Schulen haben sich nach den Missbrauchsfällen am Canisius-Kolleg am Dienstag auf neue „Leitlinien“ verständigt. An den Schulen solle künftig ein „vertrauliches Forum“ entstehen. „Wir wollen den an unseren Schulen gewählten Vertrauenslehrern Supervisoren zur Seite stellen“, sagte Richter. An den Schulen des Bistums gibt es seit 1994 jeweils zwei bis drei Vertrauenslehrer, die nun noch intensiver geschult und betreut werden sollen. „Für die Pädagogen ist die Schilderung eines Missbrauchsfalls eine Gratwanderung.“ Die Schulpsychologin des Erzbistums versuche, unabhängige Psychotherapeuten für die Supervision zu gewinnen. Außerdem soll bei erhärteten Verdachtsfällen in Zukunft von Anfang an auch die Justiz eingeschaltet werden. Richter kündigte an, auch Berlins Bildungssenator und das Brandenburger Bildungsministerium über die neuen Leitlinien zu informieren.
Der Schuldezernent warnte davor, Priester oder Geistliche unter Generalverdacht zu stellen. Es sei „fahrlässig“, nun eine ganze Berufsgruppe zu stigmatisieren. Zu Missbrauchsfällen käme es immer dann, wenn Vertrauensverhältnisse in besonderem Maße ausgenutzt würden. Grundsätzlich halte er die neue Schülergeneration jedoch für sehr selbstbewusst. „Ich will das Problem nicht verharmlosen, aber das Lehrer-Schüler-Verhältnis hat sich stark verändert.“
Klaus Mertes, der Leiter des Canisius-Kollegs, nannte die Entscheidung der Schulleiterkonferenz „grundsätzlich positiv“. Am wichtigsten sei für ihn jedoch weiterhin die „Einrichtung einer Beauftragten, die das Recht hat, den Opfern Diskretion zuzusagen“. Zum Fall des ebenfalls unter dem Verdacht des sexuellen Missbrauchs stehenden Paters Wolfgang S. sagte Mertes, dieser bleibe für ihn weiterhin ein Täter. S. hatte in einem Brief erklärt, einige damalige Schüler zwar „mit beträchtlicher Härte geschlagen“, jedoch keinen sexuellen Kontakt zu ihnen aufgenommen zu haben.
Unterdessen zeichnet sich ab, dass die Zahl der Missbrauchsfälle am Canisius-Kolleg höher ist als bis jetzt bekannt, da sich einige Opfer noch nicht bei Rektor Klaus Mertes gemeldet haben. Der Berliner Stephan Dümchen etwa, der die Schule von 1970 bis 1975 besucht hat, berichtet dem Tagesspiegel gegenüber von einer Schulfreizeit im Sommer 1973 im Schwarzwald, bei der es zu zahlreichen Übergriffen durch Pater Peter R. gekommen sei.
Während des dreiwöchigen Aufenthalts in einem Schullandheim in der Nähe von Lörrach habe sich der Pater jeden Abend an das Bett eines anderen Schülers gesetzt und den jeweiligen Jungen unter der Bettdecke gestreichelt, auch an intimen Körperstellen.
„Mein jüngerer Bruder war auch mit auf dieser Freizeit. Er wollte sich abends zu mir ins Bett verkriechen, weil er Angst vor dem Pater hatte.“ Der heute 50-jährige Dümchen geht davon aus, dass es „noch viele ehemalige Schüler gibt, die sich bis jetzt nicht bei Pater Mertes gemeldet haben – sei es aus Zeitgründen oder weil sie nicht die richtigen Worte finden“.
Insgesamt könnten mehr als hundert Schüler betroffen sein. Er selbst und sein Bruder seien zwar nicht körperlich missbraucht worden, hätten sich aber in Vier-Augen-Gesprächen anzüglichen Fragen etwa nach der Häufigkeit von Selbstbefriedigung stellen müssen.