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Schulstart in Corona-Zeiten in Mecklenburg-Vorpommern.

© dpa/Jens Büttner

„Viele Fragen und ein mulmiges Gefühl“: Zum Schulbeginn in Berlin kommen viele Informationen zu spät

Schulleiter und Eltern bemängeln, dass Informationen der Bildungsverwaltung nicht rechtzeitig kamen. In den Ferien sei zu wenig geschehen.

Schuluhr und Rechner zeigten die Uhrzeit 8.35 Uhr an, als am Mittwoch die E-Mail in Kerstin Uhligs* Postfach ankam: Da war er – der ersehnte aktualisierte „Musterhygieneplan“ aus dem Haus von Bildungssenatorin Sandra Scheeres (SPD). Nur dumm, dass keiner im Zimmer war, der ihn lesen konnte.

Denn zu diesem Zeitpunkt stand Uhlig längst in der Sporthalle ihrer Grundschule, um die Kollegen zu begrüßen: Der Mittwoch vor Ferienende ist traditionell der Tag, an dem die Präsenzpflicht der Berliner Lehrer beginnt. Und so kam es dann, dass Schulleiterin Uhlig ihren Kollegen auf viele Fragen nicht antworten konnte. „Ärgerlich“ nennt sie das.

Die späte Versendung des Musterhygieneplans passt zu dem, was Schulleiter und Eltern seit Beginn der Coronakrise kritisieren: Angekündigte Informationen kommen erst an, wenn auch der letzte Schulleiter zu Hause ist. So war es direkt zu Ferienbeginn, und so war es mit dem neuen 56-seitigen „Handlungsrahmen“, der die Schulen am Dienstag erreichte: „Die Informationen kamen zu spät, um den Schulleitern bei der Organisation des neuen Schuljahres Sicherheit zu geben“ findet Uhlig.

Eltern vermissen "Rahmenbedingungen"

Entsprechend beklagte denn auch der Landeselternausschuss in einer Mitteilung am Mittwochabend unter der Überschrift "viele Fragen und ein mulmiges Gefühl", dass "wenige Tage vor Schulstart nicht klar ist, wie und ob die Empfehlungen der Senatsbildungsverwaltung umgesetzt werden können". Es fehlten "Verpflichtungen und Rahmenbedingungen in allen Bereichen".

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Das Gremium findet es "äußerst bedauerlich, dass die Ferien nicht intensiver zur Vorbereitung genutzt wurden und Eltern ihre Kinder mit einem mehr als unbehaglichen Gefühl zur Schule schicken müssen". Der Landeselternausschuss sei "nicht in die Planungen einbezogen worden".

Auch Schulleiter und Lehrer stehen jetzt vor etlichen praktischen Fragen, die sie selbst beantworten müssen – auch deshalb, weil die neuen Pläne stellenweise vage formuliert sind.

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Beispiel: Sportunterricht

„Sofern keine ausreichende Lüftungsmöglichkeit besteht, kann die Sporthalle nicht genutzt werden“, heißt es im Musterhygieneplan. Und nun? Das fragt sich nicht nur Schulleiterin Uhlig, deren Schulhof aus einer Betonfläche besteht und deshalb nur bedingt zum Sportunterricht taugt. „Wir können schließlich nicht drei Stunden pro Woche mit den Schülern joggen oder ,Der Plumpsack geht rum‘ spielen“, zeigt Uhlig die Bandbreite ihrer Möglichkeiten auf. Sie hätte sich von der Bildungsverwaltung Antworten auf solche Konstellationen gewünscht – und sei es auch die Erlaubnis, den Sportunterricht auf zwei Stunden zu verkürzen.

Beispiel: digitaler Unterricht

Der neue Handlungsrahmen bietet den Schulen zwar viele gute Anregungen für den Tag X, an dem der nächste Lockdown kommt oder einzelne Klassen wegen akuter Infektionen in Quarantäne geschickt werden. Allerdings ist nicht klar, inwieweit Berlins Lehrkräfte imstande sind, diese Anregungen umzusetzen. „Frau Scheeres fordert zwar eine Lernstandserhebung für die Schüler, aber auf eine Wissensermittlung unter den Lehrern in Sachen ,digitaler Unterricht‘ verzichtet sie leider“, kritisiert Landeselternsprecher Norman Heise. Er hätte es für wichtig gehalten, diese Erhebung längst veranlasst zu haben. Bei der Digitalisierung habe sich in den Ferien „nichts getan“: Heise vermisst Fortschritte bei der Benutzerfreundlichkeit des „Lernraum Berlin“, der digitalen Lernplattform des Landes. Es müssten – über die abgeordneten Lehrer hinaus – mehr Vollzeitstellen für externe Fachleute geschaffen werden. Der Lernraum bekomme noch immer zu wenig Unterstützung von der Behörde, findet Heise.

Beispiel: Rückkehrer aus Risikogebieten

Noch immer wissen Schulen nicht, was sie tun sollen, wenn sie feststellen, dass Schüler geradewegs aus Risikogebieten wie der Türkei, Serbien, Russland oder den USA in ihren Klassen auftauchen, kritisieren etliche Schulleiter. Diese Schüler müssten sich eigentlich in Quarantäne begeben. Allerdings hat Scheeres bekräftigt, dass es als Schwänzen zu werten sei, wenn sie dadurch Unterricht versäumen: Die Senatorin meint, dass die Familien ihren Urlaub anders hätten planen müssen. (HIER das Anschreiben an die Schulleiter).

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„Das stimmt, ist aber realitätsfern“, sagt Schulleiterin Uhlig. Sie befürchtet, dass viele Kinder am Montag in den Klassenräumen sitzen werden, die ein großes Infektionsrisiko mitbringen. Die Lehrer werden also traditionell die Kinder fragen, was sie denn in den Ferien gemacht haben.

Die Schulleiterin will das Gespräch suchen

„Die jüngeren Schüler erzählen das noch ganz arglos“, erwartet Uhlig. Sie hat ihre Kollegen gebeten, ihnen die betreffenden Kinder zu nennen, damit sie als Schulleiterin dann mit den Eltern das Gespräch suchen kann: „Sie sollen einen Corona-Test machen oder in Quarantäne gehen“, lautet Uhligs Botschaft. Sie hat sich vorgenommen, das Ganze nicht als „Schwänzen“ zu werten, wäre aber dennoch – wie ihre Schulleiterkollegen – froh, wenn diesbezüglich noch weitere Handlungsanweisungen kämen – zumal ein Corona-Test allein ja nicht ausreiche, sondern man zur Sicherheit wegen der Inkubationszeit noch einen zweiten Test brauche.

Um 13.47 Uhr kam am Mittwoch noch eine Mail an. Allerdings nicht bei Uhlig, sondern in den Nachrichtenredaktionen. Sie kam von der FDP-Fraktion, die den Abschied der Bildungssenatorin forderte: „Scheeres hat es versäumt, die Sommerpause zu nutzen, um ein nachvollziehbares und konsistentes Hygienekonzept für den Regelbetrieb an den Schulen zu erstellen“, schrieb FDP-Bildungsexperte Paul Fresdorf. Vor dem Hintergrund von „Lehrermangel, unzumutbaren Sanitäranlagen, verschleppter Schulsanierungen und Kreidezeit statt Digitalisierung“ sei es an der Zeit, „dass Scheeres zurücktritt“.

(*Name geändert)

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