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Eingemauert. Eigentlich müsste man das kleine Haus packen und woanders hinstellen.

© Thilo Rückeis/Mike Wolff

Berliner Kulthaus- und Kneipe an den Yorckbrücken: Von Neubauten umstellt: Was nun, altes Haus?

Das kleine, alte Haus am Rand von Schöneberg steht leer. Wie ein Relikt wirkt die einstige Kultkneipe "Zum Umsteiger". Die Zukunft ist offen.

Eigentlich müsste man das kleine, alte Haus irgendwie auf einen Tieflader bugsieren und wegbringen, damit es mehr Weite um sich hat. Anderseits gehört es mit seinem Backstein-Outfit seit 113 Jahren zu diesem Kiez, es ist sein Markenzeichen, genau so wie die Yorckbrücken und die S-Bahnstation gleich nebenan. Das Haus an der Yorckstraße 56a am Rand von Schöneberg wirkt wie ein Relikt, eingeklemmt in neu hochgezogene Wohn- und Gewerbeblöcke und jüngst eröffnete Supermärkte, umbraust von Autos und Bahnen und vom Lärm der Arbeiter, die zur Zeit die Yorckbrücken-Sockel sanieren.

Viele haben das schmale, spitzgiebelige Haus schon gesehen an diesem Verkehrsknotenpunkt, aber vielleicht beim Umsteigen und im Vorbeilaufen nicht richtig wahrgenommen, obwohl es eine spannende, vor allem gastronomische Vergangenheit hat. Seit 1905 gab es dort ein Alt-Berliner Wirtshaus, mit dessen Geschichten – zwischen Kultlokal und Billig-Puff – sich ein ganzes Buch füllen ließe. Seit wann die Kneipe „Zum Umsteiger“ hieß, steht in den Sternen – jedenfalls seit langem. Aber seit drei Monaten ist sie verrammelt. Im Fenster hängt ein Zettel: „Dauerhaft geschlossen“. Was ist los? Was passiert jetzt mit dem kleinen Haus?

Ein grauer Riese machte sich hinter dem zierlichen Haus breit

Die erste Bedrohung überstand es ja schon vor drei Jahren, als direkt an seiner Westseite, auf den einstigen Bahnbrachen entlang der Bautzener Straße, die Bagger anrückten. Seither ist dort ein neuer Kiez entstanden mit sieben mehrgeschossigen Wohngebäuden, in die schon die Ersten einziehen. Auch vorn an der Yorckstraße, unmittelbar neben und hinter dem Häuschen mit der Fassade im Stil märkischer Backsteingotik, macht sich ein neuer Wohn- und Gewerbeblock breit – ein grauer Riese, den schon ein Fitnessstudio nutzt. An seinem Sockel ein hässlich-kantiges Tor zur Tiefgarage. Als „Neu-Schöneberg“ vermarktet der Investor, die „Dr. Wolfgang Schroeder GmbH & Co. KG“ aus Dortmund, das gesamte millionenschwere Projekt. Als die Bauherren Grund und Boden erwarben, kauften sie das Häuschen an der S-Bahn gleich mit. Es gab wohl Überlegungen, es abzureißen.

In letzter Sekunde wurde es unter Denkmalschutz gestellt

Aber der Bezirk stellte sich quer: Das 1905 errichte Gebäude wurde 2015 unter Denkmalschutz gestellt. Man müsse allerdings eine Menge Geld hineinstecken, um es wieder nutzen zu können, sagt der Baustadtrat von Tempelhof-Schöneberg, Jörn Oltmann (Grüne). Vermutlich gaben die allerletzten kurzfristigen Wirte des „Umsteigers“, zwei Studenten, die mal was anderes machen wollten, auch wegen des hohen Sanierungsbedarfs auf. Aber inzwischen stehen neue Interessenten vor der verschlossenen Tür. Der Kiezverein „Die kulturellen Erben e.V.“ möchte dort sein Quartier aufschlagen und gemeinsam mit anderen sozial-kulturellen Initiativen wieder authentisches Kiezleben ins Haus bringen.

Was machen die „kulturellen Erben“? Das weiß einer ihrer Gründer, der Chef des gleichfalls an den Schöneberger Yorckbrücken gelegenen Graffiti-Szeneladens „Legacy“, Ibo Omari. Die Vereinsaktivisten, fast alle „hier im Kiez großgeworden“, sagt er, wollen die „multikulturelle Schöneberger Kiezkultur“ fördern und bewahren. In diesem Sinne veranstalten sie Graffiti-, Breakdance- oder Rap-Workshops und vielerlei gesellige Events.

Rings um das Haus mit der Kneipe „Zum Umsteiger“ sind Neubauten entstanden.
Rings um das Haus mit der Kneipe „Zum Umsteiger“ sind Neubauten entstanden.

© Thilo Rückeis/Mike Wolff

Stadtrat Oltmann würde den Umzug der „Erben“ ins kleine Haus begrüßen, zumal er die Arbeit des vom Bezirk geförderten Vereins „toll“ findet. Auch die „Neu-Schöneberger“ Bauherren sagen, man sehe die Idee positiv. Der Verein müsse aber erstmal ein Konzept vorlegen, teilen Bezirk und Investor mit. Das größte Problem bei den späteren Verhandlungen, meint Oltmann, werde wohl die Miethöhe sein.

Damit hatte Jean-Luis Grandjean 1905 noch keine Schwierigkeiten. Er besaß damals das Haus an der heutigen Yorckstraße 56a und betrieb darin eine Restauration. Im Lauf der Jahrzehnte wechselten die Wirte, in den Zwanzigern zog das Rotlichtmilieu in den winzigen Gastraum ein, der gerademal an fünf Tischen Platz bietet. Danach war es lange eine reine Spelunke – bis das populäre Wirtspaar Hans-Werner und Michaela Sens 2003 den „Umsteiger“ übernahm und daraus eine legendäre Kultkneipe für gepflegte Abstürze machte. Ihre Idee: Das Haus hat Kaiser Wilhelm II., Weimar, zwei Weltkriege, die Nazis und das geteilte Berlin überstanden, nun soll es eine erfreuliche Zukunft haben.

Nette Worte über der einstigen Theke.
Nette Worte über der einstigen Theke.

© Mike Wolff

Ihr Dackel Hugo gehörte zum Inventar. U- und S-Bahnbilder schmückten die Wände und natürlich stand das „Verlobungsbänkchen“, eine gebogene Holzbank für Zwei aus den Tagen Jean-Luis Grandjeans an einer Seite. Es lohnte sich, dort bei Bier vom Faß zu stranden. Das fanden alle, die das Echte suchten. Besonders abends steppte der Bär. Doch im Jahr 2017 stieg das erfolgreiche Pächterpaar im Rentenalter aus. Die zwei Studenten übernahmen – bis der Zettel mit der traurigen Nachricht ins Fenster geklebt wurde. Nächster Umstieg? Mal sehen.

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