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Von „völliger Quatsch“ bis „völlig richtig“: Was Berliner über die Initiative „Berlin autofrei“ denken
Eine Bürgerinitiative fordert, dass innerhalb des S-Bahn-Rings kaum noch Autos fahren sollen. Das Berliner Verfassungsgericht hat ihnen am Mittwoch den Weg zum Volksentscheid geebnet. Das denken Berliner.
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Seit Mittwoch ist klar: In Berlin darf es einen Volksentscheid zur autofreien Innenstadt geben. Die Initiative „Berlin autofrei“ plant, nach einer Übergangszeit von vier Jahren, fast alle Straßen, mit Ausnahme der Bundesstraßen, innerhalb des S-Bahn-Rings zu „autoreduzierten Straßen“ zu erklären. Private Autofahrten wären nur zwölfmal im Jahr möglich.
Dieser Vorschlag traf in der Berliner Politik nicht nur auf Gegenliebe. Der regierende Bürgermeister Kai Wegner (CDU) hält „die Idee eines autofreien Berlins für falsch“, Verkehrssenatorin Ute Bonde (CDU) hält die Folgen einer solchen Umstrukturierung für nicht sinnvoll und vernünftig, erklärte sie dem Tagesspiegel.
Auf den bekanntesten Straßen der Hauptstadt – dem Kurfürstendamm, der Friedrichstraße und Unter den Linden – ist die Meinung bei einer zufälligen, nicht repräsentativen Umfrage gespalten. Viele winken schon bei den Worten „autofreie“ und „Innenstadt“ entnervt ab. Manche schütteln den Kopf oder rollen mit den Augen. So auch eine junge Mutter, die vor der Fensterfront eines Juweliers interessiert entlangschlendert. In der einen Hand hat sie einen Thermobecher, mit der anderen schiebt sie einen Kinderwagen.
Berliner sind sich uneins bei der Bewertung der Initiative
Von den Plänen der Initiative hatte sie noch gar nichts mitbekommen. „Wirklich?“, fragt sie mehrmals, nachdem sie die Forderungen verstanden hat. „Völliger Quatsch“, schießt es als Nächstes aus ihr heraus. „Wie soll ich mein Kind dann zum Kindergarten fahren? Für ein Kinderwagen ist auch nicht immer Platz im Bus“, sagt sie.
Phillip Helmke bewertet den Vorstoß der Initiative etwas anders. Er kommt gerade aus einem Drogerieladen und schließt sein Fahrrad von einem Ständer ab. „Ich bin ein großer Fan von weniger Autos, der Vorschlag ist völlig richtig“, erklärt der 27-Jährige. Er habe zwar einen Führerschein, allerdings sind für ihn private Autos schon längst hinfällig.

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„Man müsste das über Car-Sharing lösen, sonst wird das für manche mit den zwölf Fahrten schon sehr schwierig. Schlussendlich ist es eben auch eine soziale Frage“, so Helmke. Eine Stadt mit mehr Fahrradfahrern und Fußgängern wäre für den Studenten sehr viel lebenswerter.
Klaus Hirschfeld kann dem nur beipflichten. Der Rentner hat vor zwei Jahren sein Auto verkauft. Seitdem sei er viel mit dem Fahrrad und den öffentlichen Verkehrsmitteln unterwegs. „Ich finde die Idee nicht schlecht, aber völlig unrealistisch“, sagt er 80-Jährige. Bei einem Volksentscheid würde er auch dafür stimmen, wenn dieser denn kommt. „Natürlich ist es blöd für diejenigen, die aufs Auto angewiesen sind, aber irgendwie muss die Politik ja mal vorankommen“, so Hirschfeld.
Ein paar Meter weiter wartet eine ältere Frau auf den Bus in Richtung Grunewald. Sie wäre gegen eine Begrenzung der jährlichen Autofahrten in der Innenstadt. „Ich wohne innerhalb des Rings und habe einen kleinen Garten außerhalb. Wenn ich jetzt nur noch zwölfmal im Jahr privat fahren dürfte, müsste ich mir genau überlegen, wann ich was mit in den Garten nehme“, erklärt die 73-Jährige.
Selbst eine dadurch leerere Stadt wäre für sie nicht überzeugend. „Während Corona hat man doch gesehen, wie gespenstisch solche leeren Straßen sind. Das wäre gar nichts für mich“, sagt sie, dann kommt auch schon ihr Bus. Auf der Friedrichstraße schließt Stefan Merz gerade sein Fahrrad vor dem Kulturkaufhaus Dussmann an. Sein Helm und seine Brille sind noch nass vom Regen.

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„Ich bin definitiv für die Initiative, dann käme man mit dem Fahrrad viel besser und vor allen Dingen sicherer voran“, so der 60-Jährige. Er wohnt mit seiner Familie in Friedrichshain und nutzt inzwischen nur noch sein Fahrrad und den öffentlichen Nahverkehr. Bei einem Volksentscheid würde er dafür stimmen, hat allerdings Bedenken. „Ich glaube nicht, dass das durchkommt. Dieses Land hat dazu einfach eine zu starke Autolobby“ sagt Merz.
Nathanael Bapst schiebt sein Fahrrad vorbei an Madame Tussauds auf der berühmten Straße Unter den Linden. „Gerade als Landschaftsarchitekt wäre ich für so ein Projekt“, erklärt der 33-Jährige. Vor allem die dadurch entstehende Ruhe würde ihn am meisten freuen. Doch an der Umsetzbarkeit zweifelt er noch: „Berlin ist eben kompliziert“.
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