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Miteinander. Manche finden übers Ehrenamt einen Job, etwa im Pflegeheim. Foto: dpa
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Selbsthilfe: Von wegen arbeitslos

Ein Ehrenamt kann Hartz-IV-Empfänger helfen, wieder einen Platz in der Gesellschaft zu finden. Über die Jobcenter sollen sie den Weg dorthin finden.

Eigentlich ist es ein ganz normaler Satz. „Ich gehe morgen arbeiten“, sagt Sabine Renner (Name geändert) oft, wenn jemand sie fragt, was sie vorhat. „Ich weiß, es klingt ein bisschen doof, aber auf das Wort Arbeit lege ich viel Wert“. Dort, wo sie hingeht, hat sie viel zu tun: Kaffee und Kuchen ausgeben, Mittagessen verkaufen, Gemüse schnippeln, Dienstpläne organisieren. Mal organisiert sie für jemanden eine bezahlbare Wohnung, mal einen Kühlschrank. Montags bis freitags, täglich sechs bis acht Stunden – obwohl die Mittfünfzigerin Hartz-IV-Empfängerin und offiziell seit fast 20 Jahren arbeitslos ist.

Seit einem Jahr engagiert sie sich ehrenamtlich in einer Einrichtung, in der Langzeitarbeitslose, Sozialhilfe- und Grundsicherungsempfänger günstig etwas zu essen bekommen, Gesellschaft und Unterstützung finden. Ein knappes Dutzend Ehrenamtliche arbeitet hier, mehr oder weniger regelmäßig. Die Mehrzahl ist selbst Grundsicherungs- oder Hartz-IV-Empfänger.

Das ist sehr ungewöhnlich. Denn generell ist die Zahl der Arbeitslosen, die sich freiwillig bürgerschaftlich engagieren, klein, und die der Hartz-IV-Empfänger unter ihnen sogar fast „verschwindend“. Das sagt Thomas Gensicke vom Institut TNS Infratest Sozialforschung, Mitautor der repräsentativen Erhebung „Freiwilligen-Survey“. Nur 22 Prozent aller ALG-2-Empfänger in Deutschland engagieren sich demnach ehrenamtlich.

Zwischen 2004 und 2009 ging die Zahl der Arbeitslosen, die aktiv „an der Infrastruktur der Zivilgesellschaft“ in Berlin teilnehmen, sogar noch deutlich zurück. Damit sind allerdings auch Menschen, die im Fußballverein spielen, gemeint, genauer wird nicht differenziert. Zwischen den Vergleichsjahren lag die Einführung von Hartz IV. Die Autoren der Studie vermuten einen Zusammenhang. „Das ist das Resultat des Ausleseprozesses“, sagt Gensicke. Menschen, die noch eine Chance auf dem ersten Arbeitsmarkt hatten, hätten oft Arbeit gefunden. Es gilt: Je weniger jemand sozial integriert ist, desto höher ist für ihn die Schwelle, sich gesellschaftlich zu engagieren.

In Treptow-Köpenick scheint sich der Trend nun umzukehren: „Mein Eindruck ist, dass die Zahl der Arbeitssuchenden unter den Freiwilligen zunimmt“, sagt Stefanie Beerbaum vom Sternenfischer-Freiwilligen-Zentrum, das Ehrenamtliche an Organisationen vermittelt. Im Vorjahr seien 11,5 Prozent ihrer „Klienten“ Arbeitssuchende gewesen. „Bislang sind sie aber von den Freiwilligenagenturen und Organisationen sehr vernachlässigt worden. Und sie sind schwer zu erreichen“, sagt die Sozialpädagogin. Beerbaum will das ändern und hat Fallmanager in den Jobcentern „sensibilisiert“. Schließlich könne ein Ehrenamt ein Weg aus der Arbeitslosigkeit sein: „Wenn sie etwa Senioren im Pflegeheim vorlesen, erfahren sie, ob die Arbeit dort für sie infrage käme.“

Nicht selten führt der Weg ins Ehrenamt über eine MAE-Stelle, auch als Ein-Euro-Job bekannt. Wie bei Sabine Renner. 180 Euro bekam sie zusätzlich zum ALG 2. Als die Stelle nicht verlängert wurde, blieb sie: „Es war schwer, auf das Geld zu verzichten. Aber mir war es wichtiger, dass wir uns hier einen Traum erfüllen können. Das Ehrenamt ist wie eine Droge für mich. Man merkt, dass man gebraucht wird und fühlt sich gut, weil man etwas Sinnvolles zu tun hat.“

Das Gefühl, auf dem „Abstellgleis“ zu stehen, sei für viele Hartz-IV-Empfänger der Grund für tiefe Frustration und Demotivierung, sagt der Neuköllner Rechtsanwalt Karsten Joppe, der sich auf Hartz-IV-Fälle spezialisiert hat.  „Es kommt im öffentlichen Bewusstsein nicht vor, dass sie Bedürfnisse außer Essen und einer Wohnung haben – und dass die fast noch wichtiger sind als die Sorge ums mangelnde Geld.“ Eine Lösung könne das Ehrenamt sein. „Aber die Menschen brauchen meist Hilfe dabei, sich wegen der oft jahrelangen Frustration aufzuraffen.“ Hinzu komme, dass ein Engagement oft mit Kosten verbunden ist – und sei es nur das Busticket.

Außerdem kann es sogar Probleme mit dem Jobcenter geben. Deshalb möchte Sabine Renner ihren echten Namen nicht in der Zeitung lesen; sie befürchtet Ärger, falls herauskommt, wie viel sie ehrenamtlich arbeitet. Grundsätzlich seien ehrenamtliche Tätigkeiten von Hartz-IV-Empfängern gern gesehen, sagt ein Sprecher der Arbeitsagentur. Aber sie dürften nicht zu viel Zeit beanspruchen, um die Integration in den Arbeitsmarkt nicht zu behindern. Darüber werde individuell entschieden.

„Ich schaffe es sowieso nicht auf den ersten Arbeitsmarkt“, sagt Renner. „Meine Hüfte und die Knie sind kaputt, ich habe einen Bandscheibenvorfall und Rheuma.“ Den ehrenamtlichen Job in der Einrichtung bewältigt sie nur, weil „wir uns dort alle gegenseitig auffangen“. Und: „Hier hat man keinen Druck und kann jederzeit Pause machen, ohne schief angeguckt zu werden.“ Nur aus ihrem Freundeskreis höre sie manchmal, es sei „bescheuert“, ohne Geld zu arbeiten. „Aber es muss auch solche Leute geben.“

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